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Rüdiger Bertram – Ein ‚Superheld‘ der Erstleseliteratur

Der Autor Rüdiger Bertram kann tolle, witzige Superhelden-Geschichten schreiben und das hat er auch schon vielfach bewiesen – erinnert sei nur an seine Serie Coolman und ich, in der der Junge Kai aufgrund des unsichtbaren Coolman immer wieder in peinliche Abenteuer schlittert. Mit dieser Serie haben das Duo Bertram und Schulmeyer, der für die anregend-humorvollen Illustrationen der meisten Bücher Bertrams verantwortlich ist, den Comic-Roman neu gedacht und die Welt der Bücher auch jenen Kindern geöffnet, die noch Probleme mit dem Lesen haben. Die Kombination von Text und Bild einerseits, aber andererseits auch die Auswahl der Figuren sowie die spannende Handlung fördern die Lesefreude. Gerade mit seinen männlichen Protagonisten gehört Bertram zu jenen Autoren, die von Beginn an sich gängigen Klischees widersetzten und Jungenfiguren facettenreich darstellten. Dass Bertram jedoch auch anders kann, hat er unlängst mit seinem zeitgeschichtlichen Roman Der Pfad bewiesen, in dem er sich mit Exil, Flucht und NS-Zeit auseinandersetzt.

In Die Superhelden-Schule lernt man ganz besondere Kinder kennen: Afeni ist stark, Ida kann fliegen, Kamal besitzt Geisteskräfte. Bereits die Namen deuten die Diversität an, die den Leser*innen im Laufe der spannenden Geschichte begegnen. Ein Schulausflug ins Museum, ein Diebstahl und die Frage, ob man auch ohne Superheldenkräfte einen Fall lösen kann, beschäftigt nicht nur die Figuren im Buch. Letztendlich wird aber klar, dass jede*r etwas Besonderes kann und man gemeinsam einen Fall löst.

Dem Duo Bertram & Schulmeyer ist ein besonderes Erstlesebuch gelungen, denn hier werden Lesefreude, Lesenlernen und eine spannende Geschichte miteinander kombiniert. Bertram denkt jedoch noch etwas, was in der aktuellen Erstleseliteratur leider viel zu selten bedacht wird: Diversität wird mit Blick auf people of colour explizit berücksichtigt und die Kinder haben eben nicht ‚typisch‘ deutsche Namen, sondern die Eigennamen sind sehr bedacht ausgewählt: „Kamal“ ist ein arabischer Name (dt.: ‚Vollkommenheit‘), „Afeni“ ein afrikanischer Name (dt.: ‚ein lieber Mensch‘), „Bao“ ist ein chinesischer Name (dt.: ‚Leopard‘; ‚Panther‘) und mit „Ida“ (dt.: ‚Seherin‘, ‚Weise‘) ist auch ein althochdeutscher, nordischer, skandinavischer Name vertreten, den viele deutschsprachige Mädchen tragen. So ist diese multikulturelle Schule, in die Kinder „aus der ganzen Welt“ (S. 6) kommen, ein zeitgemäßes Spiegel-, Leit- und Wunschbild unserer inklusiven Gesellschaft, in der alle Kinder ihre „Kräfte“ vereinen, voneinander lernen und sich gegenseitig helfen. Denn: Vorurteile mit Blick auf die Herkunft gibt es in diesem Werk nicht. Jedes Kind hat eine ganz spezifische Superkraft, mithin also spezifische Stärken, die ihn oder sie besonders auszeichnen: Afeni ist „superstark“ (S. 8) und kann sogar Schulen und Autos hochheben, Kamal kann „Sachen bewegen, ohne sie zu berühren“ (S. 9), Ida ist eine Superfliegerin und fliegt gut „wie ein Vogel. Vielleicht sogar noch besser“ (S. 7) und Bao hat die besondere Gabe, „alles zu Eis“ zu machen und dafür reicht es aus, wenn er die Dinge nur ansieht. Auch wenn diese Besonderheiten der einzelnen Kinder mitunter dazu führen, dass es Tumult beim Spielen gibt (Afeni kann z.B. beim Versteckspielen die ganze Schule hochheben und ihre Kräfte für ihre Suche raffiniert einsetzen), nutzen sie ihr Superhelden-Dasein doch insbesondere dafür, um ihre Mitmenschen zu retten (bspw., indem sie Unfälle verhindern; siehe S. 23) oder um gemeinsam – frei nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ / „Gemeinsam schaffen wir das“ – einem Museumsdieb auf die Spur zu kommen. Hier trägt jeder mit seinen individuellen Kräften dazu bei – einmal wird eher die Kraft des einen Kindes gebraucht und an anderen Tagen eher die Kraft eines anderen Kindes. Lediglich der Lehrer Herr Müller hat keine besondere „Superkraft“, die den Fähigkeiten der Kinder ähnelt, es sei denn, man versteht die Dinge, die in der Schule vermittelt werden, auch als „Superkräfte“ – eine schöne und geschickte Anspielung auf das, was Kinder in der Schule lernen und was ebenso wichtig für unser Leben ist: Lesen, Schreiben und Rechnen. Jeder kann dem Anderen helfen und so kann der Lehrer auch seinen Schüler*innen noch viel beibringen. Diese ‚Botschaft‘ allerdings kommt nur latent zum Vorschein und wird weder mit einem pädagogischen Zeigefingergestus noch allzu direkt vermittelt, denn die humorvolle Komponente dominiert im Erstlesebuch – und das ist gut so, denn das Werk soll den Mädchen und Jungen in erster Linie Lesefreude schenken und zur intrinsischen Lesemotivation beitragen.

Auch in sprachlicher Hinsicht ist das Erstlesebuch wohlgefeilt konstruiert und es bietet den Lesenden nicht nur vielfältige Vergleiche an („schnell wie ein Falke“, S. 29; „wie eine Mauer aus Eisen“, „wie ein Fisch im Meer“, „wie ein Drache im Märchen, S. 11), sondern setzt ebenfalls auf den Einsatz von parallelen Satzstrukturen, anaphorischen Satzanfängen, vielfältigen Wortwiederholungen und der inhaltlichen Wiederholungsstruktur mit Blick auf die Märchenzahl 3, was wiederum der Bedeutungssteigerung dient, aber auch das Dechiffrieren des Textes erleichtert. Dennoch ist der Satzbau sehr einfach gehalten und der Text ist für Kinder der 2. Lesestufe in der Regel sehr gut zu lesen; teilweise ist das Werk sogar auch für Leseanfänger*innen ab der 1. Klasse geeignet – je nach individuellem Leseniveau. 

Das Erstlesebuch ist eine der ersten Publikationen des neuen Konzepts vom Verlag Ravensburger unter dem Motto „Lesen lernen wie im Flug. In drei Stufen zum Überflieger“, in dem es auch erstmals eine ‚Vorlesestufe‘ gibt (vgl. hierzu insbesondere auch die Homepage des Verlages). Bertrams Erstleseliteratur ist der 2. Lesestufe zugeordnet, die für ‚geübtere‘ Leseprofis ab der 2. Klasse konzipiert ist und nicht mehr mit Belohnungsstickern, wie in der ersten Lesestufe, sondern mit Verständnisfragen zum Text arbeitet.

Die Superhelden-Schule ist in einer bereits langjährig erprobten Teamarbeit entstanden, denn für die Illustrationen war – wie so häufig bei den literarischen Texten von Bertram – der Comiczeichner und Illustrator Heribert Schulmeyer zuständig. Die locker-leichten, oftmals rasanten humorvollen Zeichnungen, die sich mitunter geschickt um den Text schlingen und verschiedene Perspektiven nutzen (von der Frosch- bis zur Vogelperspektive), zeigen ganz deutlich: Hier gibt es viel zu entdecken und zu bestaunen. So sind beispielsweise die Reaktionen der Mitmenschen auf die Superkräfte der Kinder nicht im Text beschrieben, dafür aber in vielen Bildern angedeutet, was die Kinder wiederum zum Schmunzeln einlädt (vgl. z.B. den alten Mann mit Hund auf S. 22f. oder die Frau, die aus dem Fenster schaut, auf der S. 24). Ebenfalls als sehr gelungen stellt sich die Illustration auf der Seite 24 dar: Hier ist ein Kind mit einer kleinen Spielzeug-Lokomotive am Wegesrand zu sehen, das gemütlich durch die Gegend stolziert und um einiges schneller als die im Stau stehenden Autos vorankommt.

Insgesamt handelt es sich, wie insbesondere auch bei den Büchern rund um die Familie Monster und den Coolman-Bänden, um ein sehr gelungenes Erstlesebuch, das sicherlich von seinem Anspruchsniveau her nicht überfordert, dafür aber jede Menge Lesefreude und didaktisches Potential für literarische Anschlusskommunikation bereithält. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bände der Superhelden-Schule erscheinen!

Auch mit seinem aktuellen Werk Mega dumm gelaufen setzt Bertram neue Akzente, denn gemeinsam mit Horst Hellmeier entwickelt er einen Comic, der sich bestens für Erstleser*innen eignet und das Genre der Erstleseliteratur weitet. Im Mittelpunkt stehen die beiden Jungen Kalle und Alex, die am Anfang einer ungewöhnlichen Freundschaft stehen. Doch zunächst deutet nichts darauf hin, denn Alex, der Ich-Erzähler, wartet ängstlich nach der Schule auf Kalle. Denn, „wenn Kalle sagt, man soll warten, wartet man“ (S. 3), heißt es und die Leser*innen blicken aus der Vogelperspektive auf einen Jungen, der auf einem Basketballfeld steht. Erst im zweiten Panel nähert man sich der Figur und sieht aufgeschreckte Augen. Und tatsächlich eilt Kalle ein gewisser Ruf voraus, dem die Leser*innen auf den nächsten Seiten folgen können. Einschränkend verweist Alex jedoch darauf, dass er nichts davon „mit eigenen Augen gesehen“ habe, aber „wenn es alle sagen, wird es schon stimmen“ (S. 9). Er glaubt den Gerüchten, begegnet Kalle mit Vorsicht und lernt ihn von einer ganz anderen Seite kennen. Im Laufe der Geschichte kommt es zu zahlreichen Verstrickungen, kleineren und größeren Abenteuern und am Ende werden die Jungen sogar Freunde.

Das Werk behandelt auf eine problemsensible Weise der Thema Mobbing, das gekonnt und mit viel Humor literarisch so dargestellt wird, dass klar wird: Mobbende Kinder sind häufig gar nicht so, wie sie sich präsentieren und im ‚inneren Kern‘ sind sie oftmals viel ‚weicher‘. So macht das Werk Rezipient*innen Mut, sich nicht von Kindern, die ihnen Angst machen möchten, abschrecken zu lassen, denn sie haben in Wahrheit viele Probleme und vertuschen ihre eigenen Sorgen und Unfähigkeiten. Durch das befreiende Lachen über Kalle wird die eigentliche Absurdität seines Verhaltens entlarvt und es wird deutlich: So stark, überlegen und unbesiegbar ist der Junge letzten Endes nicht und auch er wünscht sich im tiefsten Inneren eigentlich nichts sehnlicher als einen wahren Freund.

Gelungen ist besonders auch die Kombination von Bild und Text, denn beides erleichtert den noch unerfahrenen Leser*innen den Zugang zur Geschichte. Diese wiederum ist spannend und voller überraschender Wendungen. Es ist eine Geschichte aus dem Alltag der Kinder, dürfte den meisten vertraut sein und die Lösung überrascht!  Großartig ist auch, dass einfache, kurze Sätze so viel erzählen können. Die Bilder unterstützen den Text, nehmen den Humor auf und lassen so den Leseanfänger*innen Raum, sich mit dem Buch zu beschäftigen. Kinder ab dem ersten Lesejahr werden die Wörter gut entschlüsseln können, ihr mentales Lexikon wird gleichzeitig erweitert.