Buchcover Sieben Tage Mo

Karl hat einen Zwillingsbruder und erzählt auf liebvolle Weise von ihrem gemeinsamen Alltag, der...

Rezensiert von Nicole Bachor-Pfeff

Lustig - abenteuerlustig - spontan - herzlich - liebevoll, das ist Mo und noch viel mehr. Aber er ist auch anstrengend, vor allem, wenn man sich als Bruder fast den ganzen Nachmittag alleine um ihn kümmert. Aber eines ist Mo ganz sicher nicht: Jemand, den man vor seinen Freunden verstecken muss. Aber das muss Karl erst noch lernen, und davon erzählt dieser Roman auf berührende, einfühlsame, humorvolle und spannende Weise.

BuchtitelSieben Tage Mo
AutorOliver Scherz, illustr. v. Philipp Waechter
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter10+
Umfang176 Seiten
VerlagThienmann
ISBN978-3-522-18648-3; E-Book: 978-3-522-61132-9
Preis16,- €; E-Book: 11,99 €
Erscheinungsjahr2023

Karl hat einen Zwillingsbruder und erzählt auf liebvolle Weise von ihrem gemeinsamen Alltag, der alles andere als alltäglich ist, denn Mo ist besonders: abenteuerlustig und oft unberechenbar, spontan, lustig und manchmal sehr weise, ungemein herzlich und liebesbedürftig, aber in manchen Situationen auch mal überfordert oder sehr wütend. So beginnt das Buch auch spontan und mitten in einer Beinah-Katastrophe, nämlich damit, dass Karl seinen Bruder gerade noch rechtzeitig vor einem Zugunglück rettet. Solche kleinen Abenteuer und Schreckmomente ziehen sich durch das ganze Buch und halten die Leser*innen damit immer auf Spannung, obwohl Karl eigentlich nur über seinen Alltag mit Mo erzählt. 

Alles was Mo bewegt, bekommt Karl in unmittelbarer Art und Weise sofort gespiegelt. Das strengt ihn natürlich auch an, vor allem, weil er sich nach der Schule nicht wie andere Kinder seines Alters mit seinen Kumpels treffen kann, sondern die Verantwortung für Karl tragen muss, während seine Mutter als Krankenschwester arbeitet und sein Vater weit weg an Staudamm-Projekten beteiligt ist. 


Bei aller Liebe zu seinem Bruder gerät er immer wieder in Interessenskonflikte, so dass die Verantwortung nicht immer gelingt und er oft hin- und hergerissen ist zwischen Überforderung, Liebe, Spaß und ganz anderen Bedürfnissen, die ein Junge in diesem Alter hat. Er schwärmt für Nida, mit der ein Treffen beinahe unmöglich ist, vor allem, weil er versucht, die Existenz seines Bruders vor ihr zu verheimlichen. Das führt dazu, dass er Mo mittags alleine lässt, um sich mit ihr zu treffen, woraufhin eine weitere Beinah-Katastrophe passiert, die Mos Hamster das Leben kostet.

Am Ende stellt er fest, dass seine Angst, Nida könnte ihn wegen seines Bruders nicht cool finden, ganz unbegründet war und dass er gemeinsam mit seinem Bruder und seinen Freunden auf dem Fußballplatz Spaß haben kann. Seine Mutter wiederum lernt, dass auch Karl Grenzen und Bedürfnisse hat, die sie ernst nehmen muss.

Sieben Tage Mo ist eine berührende, einfühlsam geschriebene und an vielen Stellen humorvolle Geschichte über eine besondere Familie und ein bisschen auch über das Erwachsenwerden. Sie erzählt von absolut liebenswerten Protagonisten, die sehr authentisch agieren und charakterisiert werden. Bei allem Tiefgang und trotz dramatischer Momente gibt es viele Gelegenheiten zum Schmunzeln. 


Das Buch bietet neben guter Unterhaltung einen sehr wichtigen Perspektivwechsel: Mo als starke Persönlichkeit, die nicht versteckt werden muss, sondern Teil der Peergroup sein darf, der man nicht mit Mitleid, sondern mit Akzeptanz begegnen muss, Karl, der Bruder ohne Behinderung mit viel Verantwortungsgefühl, Empathie und Demut gegenüber Mo, Mitgefühl suchend, weil er an seine Grenzen stößt, und eine Mutter, die lernt, ihren Blick zu weiten, um die Bedürfnisse beider Kinder zu sehen. Hier gelingt, was oft an Kinder- und Jugendliteratur zum Thema Behinderung kritisiert wird, dass Mo als eigenständiges, starkes Subjekt und nicht als 'Objekt des Mitleids' erscheint. Diese Problematik wird auch im Buch implizit in einer Szene mit der Nachbarin aufgegriffen. In seiner Überlastung, manchmal fast Verzweiflung und seinem Nicht-gehört-Werden handelt Karl jederzeit nachvollziehbar und so, dass man sich mit ihm identifizieren kann. 


Der Kinderroman ist mit seinem überschaubaren Umfang, der großen Schrift, der lebensnahen Handlung und dem Sprachstil auch für weniger geübte Leser*innen sehr gut geeignet, da sie auf sprachlicher Ebene meist einfache Satzkonstruktionen und ein bekanntes Vokabular vorfinden, denn Karl erzählt aus seiner Perspektive in einfachen parataktischen Sätzen und die Dialoge wirken jederzeit glaubwürdig.


Als Buch hat Sieben Tage Mo nicht nur ein sehr handliches Format und eine sehr angenehme Haptik. Philipp Waechter ergänzt die Erzählung mit einigen wunderschönen, mit schwarzem Filzstift gezeichneten Illustrationen, die sowohl der Komik als auch der Gefährlichkeit mancher Szenen gerecht werden, aber auch die Sensibilität widerspiegeln, die den ganzen Roman trägt.


Der Roman ist für geübte Leseanfänger*innen und fortgeschrittene Leser*innen zu empfehlen. 

Auch wenn die Thematik des Buches anspruchsvoll ist und die beiden Brüder einige knifflige Situationen zu meistern haben, erfordert das Buch kein betreutes Lesen. Vielmehr ist es insbesondere durch seine durchaus spannende Handlung, die beiden liebenswerten Protagonisten und die einfache sprachliche Gestaltung sowohl für die private Lektüre als auch für freie Lesezeiten in der Schule zu empfehlen. Aber auch als Klassenlektüre ist Sieben Tage Mo durchaus geeignet. 

In den letzten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts wurde das Thema Behinderung in der KJL immer wieder aufgegriffen, z.B. Peter Härtlings Erzählung Das war der Hirbel (1973), Max von der Grüns Vorstadtkrokodile (1976), Angelika Kutschs Eine Brücke für Joachim (1980) und ganz aktuell Andreas Steinhöfel mit seinem Dreamteam Rico, Oskar und die Tieferschatten (2008). Die AG Jugendliteratur und Medien hat 2014 das Themenheft Hirbel, Kurt und die Tiefbegabten herausgegeben, in dem sie sich dem Phänomen auf vielfältige Weise nähert und Impulse gibt. 


Nicht nur durch inklusive Unterrichtsmodelle hat das Thema Behinderung an Aufmerksamkeit gewonnen, sondern auch dadurch, dass es nicht mehr an den Rand gedrängt wird. So bietet uns Karl mit seiner Geschichte viel Gesprächsstoff auch für den Unterricht, viele Gelegenheiten, intertextuelle Bezüge zu suchen, aber auch einfach Lesevergnügen zum Schmunzeln und Schaudern. So spannend kann der Alltag sein.