Buchcover Andrea Lienesch: Wie ich in den Sommerferien aus der Geisterbahn fiel und eine Elektrikerin entführte

Urlaub in London, auf Mallorca oder wenigstens an der Ostsee? Pustekuchen, Collin Schmitz soll – so...

Rezensiert von Bartholomäus Figatowski

So hat sich Collin den Ausflug zum Vergnügungspark nicht vorgestellt: Die Geisterbahn hat plötzlich einen Defekt und Collin fällt aus dem Waggon. Als er wieder zu sich kommt, wird er von einem sprechenden Skelett und seinen Geisterfreunden gefangen genommen. Zum Glück hat Collin jedoch eine Idee: Er schlägt den Geistern vor, gemeinsam einen Handwerker zu entführen, und hofft, dass die Geisterbahn-Gang ihn dafür freilässt. Doch wird sein Plan tatsächlich aufgehen? Die rasante und unterhaltsame Entführungsgeschichte eignet sich für alle Leser*innen ab 10 Jahren.

BuchtitelWie ich in den Sommerferien aus der Geisterbahn fiel und eine Elektrikerin entführte
AutorAndrea Lienesch
GenreAbenteuer
Horror & Grusel
Lesealter10+
Umfang190 Seiten
EditionErstausgabe
VerlagEdition Pastoralplatz
ISBN978-3943833492
Preis14,00 €
Erscheinungsjahr2021

Urlaub in London, auf Mallorca oder wenigstens an der Ostsee? Pustekuchen, Collin Schmitz soll – so lautet der feste Wunsch seiner Mutter – seine einwöchige Ferienfreizeit in einer stinknormalen Jugendherberge in Hopfenhausen verbringen. Folgerichtig hält sich Collins Begeisterung sehr in Grenzen. Und schon bei der Abfahrt geht jede Menge schief. So steht Collin zunächst gar nicht auf der Teilnehmerliste, auch muss er im Bus ausgerechnet neben einem Jungen Platz nehmen, der unter Reiseübelkeit leidet und nur einen löchrigen Brechbeutel dabei hat.

Noch während der Busfahrt ereilt Collin die nächste Hiobsbotschaft: Die Jugendherberge ist noch nicht bezugsfertig und die Freizeitgruppe muss zunächst in einem abgelegenen Waldhotel übernachten. Als Ausgleich für die Strapazen dürfen die Kinder gleich nach der Ankunft im Hotel einen Ausflug zu einem nahegelegenen Freizeitpark in Südhessen unternehmen. Anders als der Werbeprospekt verheißt, ist „Fun City“ ziemlich marode und menschenleer. Und natürlich geht auch dort Collins Pechsträhne weiter. So hat die Geisterbahn plötzlich einen Defekt und Collin fällt aus dem Waggon. Als er wieder zu sich kommt, traut er seinen Augen nicht. Ein sprechendes Skelett namens Jack und seine Geisterfreunde nehmen Collin gefangen. Es stellt sich heraus, dass die Geister-Gang die – wenig erfolgreichen – Betreiber des Freizeitparks sind. Nach ihrer Enttarnung halten die Geister natürlich nicht viel davon, Collin einfach laufen zu lassen. Zum Glück hat dieser jedoch einen formidablen Einfall: Er schlägt den Geistern vor, gemeinsam einen Elektriker zu entführen, der den Freizeitpark in Ordnung bringt, sodass wieder mehr Besucher*innen angelockt werden. Collin hofft so natürlich, dass er im Anschluss aus Dankbarkeit freigelassen wird. Die Geister sind einverstanden und sogleich steigen Jack, die Dämonin Dagmar und Collin in ein ziemlich verrostetes Auto, um die nähere Umgebung nach einem Handwerker abzuklappern. Obwohl auf ihrer Reise so gut wie alles schiefgeht, was schiefgehen kann, ist die Handwerkersuche letztlich erfolgreich, und Collin kann wohlbehalten zu seiner Ferienfreizeitgruppe zurückkehren. 

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Ob Tschick von Wolfgang Herrndorf oder Martin Musers Kannawoniwasein – sogenannte Roadnovels, in denen die Protagonisten unterwegs sind und Abenteuer bestehen müssen, sind mittlerweile aus der Kinder- und Jugendliteratur nicht wegzudenken. Erfreuen sich solche Reiseabenteuer ohnehin großer Beliebtheit bei jungen Leser*innen, wird die Lesemotivation in Andrea Lieneschs Abenteuerroman zusätzlich durch ein phantastisches Figureninventar gesteigert. Auch für eine solche literarische Verbindung gibt es Vorbilder, man denke etwa an Jack, der Monsterschreck von Max Brallier. Dennoch vermag Lieneschs Roman besonders aufgrund seines skurrilen Humors eigene Akzente zu setzen. Collins Autoreise durch Südhessen führt zudem auf der Handlungsebene zu vielen spannenden Situationen und sorgt für eine abwechslungsreiche Lektüre. Dabei ist bereits die Ausgangsprämisse – der Freizeitpark ist marode und muss von einem Elektriker instandgesetzt werden – durchaus originell. Dass die jungen Leser*innen weiterlesen wollen, hat auch mit der überzeugenden episodischen Handlungsstruktur zu tun. Die relativ kurzen und sprachlich gut verständlichen Kapitel schließen oft mit einem Cliffhanger ab, der auf den Fortgang der Geschichte neugierig macht, sodass selbst hartnäckige Lesemuffel zum Weiterlesen motiviert werden.

Collin ist ein sympathischer Protagonist, mit dem sich die jungen Leser*innen – Collins Pechsträhne zum Trotz – gerne und manchmal sicherlich mit einem Fünkchen Schadenfreude identifizieren werden. Dass die Reiseabenteuer immer altersangemessen erzählt werden und auch Leseanfänger*innen nicht überfordern, liegt auch an den anderen Mitreisenden. Besonders Jack schafft es regelmäßig, brenzlige Situationen mit einem witzigen Spruch aufzulockern und Collin so einige emotionale Unterstützung zu gewähren: Als etwa Collin kurz vor der Entführung des Elektrikers besorgt ist, ob ihr Plan wirklich aufgeht, antwortet Jack: „Du machst dir zu viele Gedanken [...]. Das liegt nur daran, dass ihr Menschen so viel Gehirn habt. Ich habe überhaupt kein Gehirn und komme trotzdem prima zurecht.“ (S. 71)

Andrea Lienesch kann die Erwartungshaltung der Leser*innen an einen spannenden Abenteuerroman einlösen. Schnell schließen die Leser*innen Collin ins Herz und fiebern spätestens dann mit ihm mit, wenn ihm auf der maroden Geisterbahn ein Scheinwerfer auf den Kopf fällt und er den Freizeitpark-Geistern begegnet. Die Idee, dass Collin im Anschluss mit den phantastischen Wesen sein Reiseabenteuer erlebt, verleiht der Handlung zusätzlichen Witz, da die Handlung so noch skurriler und unterhaltsamer wird. Erwähnenswert ist schließlich der von Mele Brink illustrierte Buchumschlag, der sehr stimmungsvoll und dynamisch die Reise Collins und seiner Freunde in einer alten Rostlaube darstellt und so die Leser*innen neugierig auf den Buchinhalt machen wird.

Dank einer einfachen Sprache und leserfreundlichen Kapiteleinteilung lädt Andrea Lieneschs Abenteuerroman Wie ich in den Sommerferien aus der Geisterbahn fiel und eine Elektrikerin entführte selbst ausgesprochene Lesemuffel dazu ein, das Buch bis zum Ende zu lesen. Durch die Verwendung eines phantastischen Figurenarsenals und viel skurrilem Humor wird der Reiseplot auf originelle Weise variiert. Daher ist dieser Roman sicherlich eine Bereicherung für jede Klassen- bzw. Schulbibliothek.

In der Grundschule und zu Beginn der Sekundarstufe I kann er zudem für eine Vielzahl von leseanimierenden Verfahren – wie z.B. die Lesekiste – empfohlen werden. Selbstverständlich eignet sich der Roman auch für die Privatlektüre; zusätzliche Leseanreize entstehen außerdem, wenn die Leser*innen zuvor bereits mit anderen Roadnovels (wie z.B. Jack, der Monsterschreck von Max Brallier) oder phantastischen Kinderromanen in Berührung gekommen sind oder diese gar favorisieren.