Buchcover Antonia Michaelis: Minik – Aufbruch ins weite Meer

Als ein junger Seehund sich ganz allein – angezogen vom geheimnisvollen Klang des Meeres – auf seine...

Rezension von Doris Schmitt-Constabel

Eine Reise fern von seiner Heimat bringt den neugierigen Seehund Minik zu den schönsten, aber auch zu den gefährlichsten Orten unter Wasser. Zum Glück ist der erfahrene Buckelwal Lottazwei an seiner Seite, der auch in brenzligen Situationen weiß, was zu tun ist. Die beiden treffen nicht nur auf allerlei Meeresbewohner, sondern auch auf Menschen, die nicht immer umsichtig mit dem Leben in den Tiefen des Ozeans umgehen.

Ein spannendes Umweltabenteuer für all diejenigen, die sich für das geheimnisvolle Leben im weiten Meer interessieren und es schützen möchten.  

BuchtitelDas geheime Leben der Tiere (Ozean, Band 1) – Minik – Aufbruch ins weite Meer
AutorAntonia Michaelis
GenreAbenteuer
Lesealter8+
Umfang192 Seiten
EditionErste Auflage 2022
VerlagLoewe
ISBN978-3-7320-1711-9
Preis9,95 €
Erscheinungsjahr2022

Als ein junger Seehund sich ganz allein – angezogen vom geheimnisvollen Klang des Meeres – auf seine erste Reise fern von seiner Seehundkolonie begibt, ist er zunächst bloß fasziniert von der magischen Schönheit unter und über Wasser. Neugierig lässt er sich begeistern von allem, was glitzert und verlockend aussieht. Noch ahnt er nichts von den zahlreichen Gefahren, die vor allem von Seiten des Menschen auf ihn lauern. Bis er direkt vor einem Fischer aus dem Wasser taucht und von diesem mit einer Flinte bedroht wird. Gut, dass Buckelwal Lottazwei heranschwimmt und mit seinem gewaltigen Körper eine Welle auslöst, die den Fischer über Bord gehen lässt. Der ahnungslose Seehund kommt mit dem Schrecken davon. Von nun an ist der freundliche und weise Buckelwal oft an der Seite des kleinen Seehunds. Er ist es, der ihm den Namen Minik gibt und ihn mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen unterstützt. Und eines Tages wird auch der junge Seehund zum Retter seines riesigen Freundes, als dieser auf einer Sandbank feststeckt und zu ersticken droht. Minik gelingt es Hilfe zu holen: Menschliche Hilfe, die den gestrandeten Wal schließlich befreien kann. Als Lottazwei nun naturgemäß zu seiner Wanderschaft ins Nordmeer aufbrechen will, lässt es sich Seehund Minik nicht nehmen seinen Freund zu begleiten. Gemeinsam wagen die beiden den Aufbruch ins weite Meer und erleben hautnah wie die Menschen mit ihren Gasleitungen und Kraftwerken dem Ozean und seinen Bewohnern schaden, aber auch, wie Menschen sich für den Erhalt und den Schutz des Meeres und seiner Lebewesen einsetzen.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Wie ist es eigentlich das Leben im und unter Wasser – genauer gesagt in den Tiefen des Ozeans? Gerade Kinder der Altersgruppe 8+ interessieren sich sehr für die Antwort auf diese Frage und darüber hinaus für die vom Menschen verursachten Probleme im Lebensraum Meer. 

Die Autorin Antonia Michaelis lässt in ihrer neuen Buchreihe die Leser*innen gemeinsam mit dem neugierigen Seehund Minik tief in diese nicht gerade leichte Materie eintauchen und gibt dabei umfangreich und detailliert Auskunft zu vielen Rätseln, Problemen und Sachverhalten unter Wasser. Der zunächst sehr unbedarfte und naive tierische Protagonist bricht ganz alleine auf, um das Meer zu erforschen. Die Leserschaft erlebt dies zwar in auktorialer Erzählweise, so doch aus der ganz spezifischen Perspektive dieses hervorragenden Schwimmers. Nicht selten weist die Autorin gezielt daraufhin und macht durch Wortumschreibungen (z.B. „Algen auf der Haut“, „künstliches Fell“ für Kleidung) Unterschiede in der Tier- und Menschenwelt deutlich. Sie erreicht dadurch, dass sich die Leser*innen zum Rätsellösen und Mitdenken aufgefordert fühlen und sich besonders empathisch in die Situation des Seehundes hineinversetzen können. 

Minik und somit auch die Leser*innen begegnen im Verlauf der Geschichte allerlei abenteuerlichen Situationen, die sich nicht selten als gefährlich für den unerfahrenen Meeresbewohner herausstellen. Episoden, die von Ostseefischern handeln, welche die Robben als Konkurrenz ansehen, aber auch zahlreiche Umweltprobleme, mit denen der Protagonist konfrontiert wird, werden mitsamt ihren Auswirkungen auf das Leben der Meerestiere ausführlich und eindringlich geschildert. So lernt auch der*die Lesende beispielsweise viel über den von Schiffen, Kraftwerken und Maschinen verursachten Lärm unter Wasser, der das Navigationssystem vieler Lebewesen außer Kraft setzt. Er*sie erfährt, dass Reste von Schmierfetten, die an den Strand gespült werden, Schnäbel und Gefieder der Vögel verkleben oder dass die durch das Meer gebauten Autotunnel den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zerstören. Auch die Verunreinigung der Meere durch Plastik ist selbstverständlich ein großes Thema in Michaelis Roman. Denn Minik und Lottazwei strudeln nicht selten genau in diese Umweltgefahren. Mal hängt der neugierige Seehund in einer Plastiktüte fest oder der Buckelwal kann durch störende, vom Menschen verursachte Unterwassergeräusche seinen Weg nicht mehr orten. 

Durch diese spannenden und bewegenden Abenteuer gelingt es der Autorin, die Leser*innen gefühlsmäßig anzusprechen, sie zu sensibilisieren und dadurch für die Umweltbedrohungen und deren Hintergründe zu öffnen. Vertieft wird dies durch kurze informative Sachtexte, die jedem Kapitel nachgestellt sind. Die zuvor angesprochenen Inhalte werden darin aufgegriffen, genauer beleuchtet und um einige interessante Zusatzinformationen ergänzt, von denen vor allem themenversiertere Leser*innen profitieren dürften. 

Kinder reagieren empört und sind entsetzt, wenn sie von Lebewesen hören, die mit ölverklebtem Gefieder verenden oder im Plastikmüll ersticken. Sie sind damit die ideale Zielgruppe des vorliegenden Umwelt- und Tierabenteuers. Dennoch bleibt auch zu erwähnen, dass dieses Buch ein ernstes ist und vielleicht bei einigen Themen Erklärungs- und Gesprächsbedarf bei den jungen Leser*innen aufkommen könnte. 

Die Geschichte selbst folgt einem chronologischen Ablauf, so dass Kinder der Altersgruppe 8+ nicht von der Erzählstruktur überfordert werden. Ein übergreifender Spannungsbogen macht es möglich sich mitreißen zu lassen und mit den Protagonisten mitzufiebern. Die Kapitel bauen aufeinander auf und behandeln doch auch in sich ein kleines abgeschlossenes Abenteuer. 

Die typographische Besonderheit, welche die Sprache des Buckelwals durchgehend in Versalschrift darstellt, hat lautmalerische Funktion und macht deutlich, dass nur der ‚Große’ unter Wasser echte Töne sendet. Der Nebeneffekt ist leserfreundlich: die optische Orientierung wird erleichtert und lässt auf einen Blick den ‚Sprecher’ erkennen. 

Das einladend gestaltete meeresblaue Cover, das die beiden Protagonisten in einer Unterwasserwelt abbildet, dürfte zum Lesen animieren. Zahlreiche schwarz-weiß-Illustrationen im Buchinneren lockern auf und unterstützen das Leseverständnis. Die im Vorsatzpapier abgedruckten Karten, die die Reise von Minik und Lottazwei skizzieren, ermöglichen den Leser*innen sich die Größe des Ozeans und die Weite der abenteuerlichen Reise vorzustellen.

Durch die gelungene Mischung aus Roman und informativen Sachtexten gelingt es der Autorin möglicherweise zwei Leserschaften gleichzeitig anzuziehen: diejenigen, die Sachtexte präferieren ebenso wie Fans von Abenteuern und Tiergeschichten. 

Zu hoffen bleibt einfach, dass es viele seien, die sich von dem kleinen Seehund und dem großen Buckelwal für die Schönheit und Einmaligkeit unserer Erde und hier im Besonderen dem Lebensraum Ozean begeistern lassen. Vielleicht gelingt es ein wenig aufzurütteln und zum Umdenken zu bewegen, bewusster mit der Natur umzugehen und sich auch aktiv für Umweltschutz einzusetzen. 

Ein wichtiges, für unsere Zeit notwendiges und zugleich bewegendes Buch, das Lesefreude bereitet, informiert und zu umweltbewussterem Handeln ermutigt.

Michaelis Roman ist auf Grund seines Umfanges vor allem für die schon erfahreneren Leser*innen der Alterskategorie 8+ geeignet. Es lädt zur privaten Lektüre zu Hause oder auch in freien Lesezeiten in der Schule ein. Die klare formale und inhaltliche Unterteilung in zehn Kapitel, die stets einen eigenen Themenschwerpunkt behandeln, ermöglicht selbstständige Orientierung. Für all jene, die zwar das Thema interessiert, aber das doch recht umfassende Lesepensum von 192 Seiten noch nicht selbstständig bewältigen können, sei die von Julian Horeyseck sehr angenehm und eindringlich gesprochene ungekürzte Hörbuchfassung empfohlen. 

Für Schulbibliotheken ist Minik – Aufbruch ins weite Meer, aber wohl auch die gesamte Reihe Das geheime Leben der Tiere, durchaus empfehlenswert. Lässt es sich besonders zu thematischen Schwerpunkten des Sach- oder Ethikunterrichts wie Umwelt, Müll, Tiere, Ozean etc.  heranziehen. Somit ist das Buch besonders passend für thematische Bücherkisten und -ausstellungen, aber auch als Vorlesebuch geeignet. Mit Sicherheit bietet das Buch Grundlage für Gespräche, Diskussionen und Projekte. 

Die insbesondere in den Sachtexten behandelten Themen sind informativ und verständlich gestaltet und könnten auch unabhängig vom eigentlichen Roman als Grundlage für das Erarbeiten der Umweltprobleme im Lebensraum Meer dienen. In arbeitsteiligen Gruppenarbeiten könnten so kleine Vorträge, Lapbooks oder Plakate entstehen. Auch Lesestrategien zur Informationsentnahme könnten daran gezielt geübt und erprobt werden.

Das Buch ist bereits bei antolin gelistet. Der Folgeband ist für August 2022 angekündigt.