Buchcover Leif Wolffson – Total verpeilt im Eisbärenland

Noch ist Leif ein Jungwolf, aber eines Tages wird er die Nachfolge seines Vaters antreten und...

Rezensiert von Dominik Achtermeier

Im Wikingerland sind die Wölfe los! Der 10-jährige Leif, Sohn des Häuptlings, scheut nicht davor zurück, in jedes Fettnäpfchen zu treten. Als über Grönland ein Metallstück aus dem Hammer des Gottes Thor abstürzt, wittert er seine Chance. Kann Leif mit Hilfe seiner Gefährten das Artefakt in Sicherheit bringen und so beweisen, dass er ein wahrer Held ist? Die irrwitzige Abenteuerfahrt in Form eines Comicromans strengt jeden Lachmuskel an.

BuchtitelLeif Wolffson – Total verpeilt im Eisbärenland
AutorGary Northfield, übers. v. Karlheinz Dürr, illustr. v. Gary Northfield
GenreHumor & Komik
Anti-Helden & Schelme
Lesealter10+
Umfang319 Seite
Edition1. Auflage
Verlagcbj
ISBN978-3-570-18140-9
Preis13,00 €
Erscheinungsjahr2024

Noch ist Leif ein Jungwolf, aber eines Tages wird er die Nachfolge seines Vaters antreten und Anführer des Wikingerstamms werden. Getreu dem Motto ‚früh übt sich‘ wittert der abenteuerhungrige Leif hinter jeder Ecke eine Challenge. Allerdings bringt er mit seinen Spontanaktionen eher Fluch als Segen über seinen Stamm: Anstatt auf dem Wikinger-Langschiff die Segel zu setzen, lichtet er den Anker und zerstört infolgedessen nicht nur das Schiff, sondern zerlegt auch den Schweinestall an Land. Für Stoßgebete an den Gott Thor ist es zu spät und er muss beim Nachtgelage seinen Platz am Häuptlingstisch gegen einen Platz bei den Schweinen und Gänsen eintauschen. Mit Donnern und Blitzen wird der Geschichtenerzähler plötzlich von der Seherin Thorbjorg unterbrochen: Es droht eine Gefahr für das gesamte Volk, wenn das einer Sternschnuppe gleich vom Himmel gefallene Metall aus Thors mächtigem Hammer in die falschen Hände gerät. Da Erik der Rote ebenso wie seine kühnen Kämpfer – mit Ausnahme von Baldur – verhindert sind, lässt sich Leif von Thorbjorg und ihrer Prophezeiung (S. 54) überreden aufzubrechen. Leif will als erster das Metallstück bergen und in die Heimat bringen, um so die Gefahr, die von dem mächtigen Hammer Mjölnir ausgeht, zu bannen. Die Seherin gibt ihm genaue Anweisungen, welche Aufgaben er an welchen Wegpunkten meistern muss. Bald schon schließen sich ihm die tierischen Gefährten Olaf, Toki und Flora an, die genauso abenteuerlustig sind. 

Seine große Schwester Freydis (15), die der verbotenen Zauberei nicht abgeneigt ist und von einer dunklen Macht beherrscht wird, will weder zulassen, dass ihr vom Pech verfolgter kleiner Bruder einmal Stammesanführer wird, noch dass er die kostbare Hammerscherbe birgt. Die Abenteurer kämpfen somit nicht nur gegen Riesen, erklimmen Gletscherspalten und verwirren Eisbären, sondern müssen immer wieder vom Kurs abweichen. Auf der Flucht vor Freydis, die sich in einen Eisbären verwandelt hat, stranden sie im Bauch eines Wals. Das Abenteuer droht zu scheitern. Ein kleiner Hering zeigt ihnen, dass es doch noch einen Ausweg gibt: nur müssen sie dafür ihre Gesangskünste unter Beweis stellen. In einem spannenden Finale erreichen die Nachwuchsabenteurer das Dorf der Wikinger, in dem sich die Größten und Besten aus ganz Grönland versammelt haben, um beim jährlichen Althing Gesetze zu verabschieden. In einem spannenden Showdown gelingt es Leif die mächtige Scherbe aus den Fängen seiner Schwester zu befreien, die Prophezeiung zu erfüllen und sich kurzfristig als wahrer Held zu beweisen, ehe jedoch das nächste Unglück geschieht. Fortsetzung folgt.  

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Gary Northfield schreibt und zeichnet seit 2002 Comics, dabei zählen Tiere und ihr lustiges Leben zu seinen Lieblingsthemen, und oft fragt er sich, was sie wohl über die Welt denken, in der sie leben, so stellt der Verlag seinen Autor vor. Nach den beliebten Comicromanen rund um Julius Zebra – die Bände 1-4 liegen ebenfalls bei cbj in deutscher Übersetzung vor – stellt Northfield mit dem frechen, manchmal vorlauten, aber stets wagemutigen Leif Wolffson einen neuen Antihelden vor, dessen Abenteuer in der Wikingerzeit spielen. Die rasant erzählte Abenteuergeschichte umfasst 20 Stationen bzw. Kapitel, die in der Kombination von Text- und Bildebene junge Leser*innen zum Miterleben einlädt. Für die Gestaltung der Erzählwelt greift Northfield auf die historisch belegte Lebenswelt der Wikinger zurück. Auch die Schauplätze sind von ihrem Lebensraum in Nordeuropa und Grönland besetzt. Doch die Wikinger sind Wölfe und somit treten ausschließlich Tierfiguren in Erscheinung. Mithilfe dieses Settings gelingt es dem Comicroman nicht nur, Wissen über die Wikingerzeit sowie die nordische Götterwelt, insbesondere Thor und Loki, in einer fiktionalen Geschichte einzubetten, sondern auch den Lesenden liebenswerte wie irrwitzige Figuren zu präsentieren, die leicht zugänglich sind und bei denen es nicht schwerfallen wird, sie ins Herz zu schließen.

Verhaltensweisen und Eigenarten der Figuren zeugen von einer Komik, die heranwachsende Leser*innen sehr gut zu unterhalten weiß. Für die Reise der (Anti-)Helden ins wilde und gefährliche Grönland findet Leif im redseligen und neunmalklugen Erpel Olaf einen Gleichgesinnten. Olaf ist der festen Überzeugung, für das Abenteuer unverzichtbar zu sein, schließlich hat er Federn, ohne die der Zauberspruch von Thorbjorg nicht wirken kann. Weiterhin sind das Haar von einem Ochsenfell und eine Fischschuppe notwendig. Und so schließen sich ihnen bis zur Ankunft bei einem magischen Steinkreis, dem ersten Ziel auf der Reise, weitere Gefährten wie das müffelnde Moschusrind Flora und die überambitionierte Papageientaucherin Toki, die zugleich Göttin und Wikingerin werden möchte, an. Freundschaft, Zusammenhalt und Gerechtigkeit treiben die Handlung vordergründig voran, doch hintergründig wird auch Geschlechter(un)gerechtigkeit thematisiert. 

Die als starke und tapfere Kämpferin vorgestellte Freydis (15), die nicht nur aufgrund ihres Namens, sondern auch ihrer Kampfeskunst der nordischen Göttin Freya nahesteht, findet es ungerecht, dass sie als ältestes Kind des Häuptlings später nicht in seine Fußstapfen treten darf. Die Tradition sieht es vor, dass der älteste männliche Nachkomme, also ihr kleiner Bruder Leif, Anspruch auf den Thron hat. Diese Kritik ist aus gendersensibler Sicht durchaus berechtigt, jedoch lässt sich der Vater auf keine Diskussion ein. Schade, denn hier verspielt der Comicroman Potenzial! Vielmehr weist Erik der Rote an, sie solle ihr Geschick einsetzen, um Leif bei seiner Ausbildung zum nächsten Herrscher unterstützend zur Seite zu stehen (vgl. S. 27). So wird die weibliche Figur im Handlungsverlauf mehr und mehr zu einer Gegenspielerin, die ihrem Bruder nicht so einfach das Feld überlassen will und daher ebenso aufbricht, um das mächtige Artefakt als Erste zu finden. Diese Entscheidung zeugt von Stärke der heranwachsenden Kriegerin, die ihrem tollpatschigen kleinen Bruder weit überlegen ist und mit Wikingerklischees und Vorstellungen hegemonialer Männlichkeit bricht, die ihr Vater noch hochleben lässt. Die Zeiten, in denen der Häuptling mit seinen Männern auf Beutezug ging, sind vorbei! In der Auflösung zeigt sich dann, dass Freydis als Marionette Lokis instrumentalisiert und fremdbestimmt handelte, wofür sie am Ende mit einem Zauber bezahlt, der sie in Panik geraten lässt. Sie kann das Bärenfell nicht mehr ablegen und bittet ihren Bruder um Vergebung. Die Gestaltung der Figur lässt sich unter dieser Perspektive durchaus weiter diskutieren. Dass die titelgebende Hauptfigur, der als Retter gefeierte Jungwolf Leif, am Ende doch wieder ein Pechwolf ist, sorgt dafür, dass das Finale nicht zu kitschig gerät und ein schöner Rückbezug zum Erzählbeginn gegeben ist.


Der 309 Seiten starke Comicroman ist voll von cartoonartigen und auf diese Weise leicht zugänglichen Illustrationen, die den Leseprozess auflockern. Auf jeder Seite finden sich teils großflächige Illustrationen, die auch einmal eine ganze Doppelbuchseite in Anspruch nehmen. Wie für den Comic(roman) typisch finden sich in Sprechblasen und im Fließtext lautmalerische Begriffe, die sich auch durch die Schriftgröße vom Erzähltext abheben. Im Land der Riesen (Kap. 8) etwa wird die wörtliche Rede der Riesen entsprechend durch größere Letter repräsentiert. Situationen, in denen die Handlungsträger*innen in einer Gefahrenlage sind, werden als gebrüllte Aussagen durch eine reine Schreibung in Großbuchstaben realisiert. Mithilfe dieser und anderer typografischen Möglichkeiten, die Rezipient*innen anderer Comicromane nicht neu sein werden, kann die situative Stimmung noch lebendiger nachempfunden werden. Die Sprache ist insgesamt leicht verständlich, wozu der parataktische Satzbau beiträgt. Der Übersetzer Dr. Karlheinz Dürr sorgt dafür, dass auf der Wortebene (z.B. durch komplexe Wörter) keine Barrieren gegeben sind, die das Leseverstehen erschweren. Ein sechsseitiges Glossar unterstützt Leser*innen Eigennamen und Begriffe nachschlagen zu können. Wesentliche Begriffe (u.a. aus der Wikingerwelt) werden kindgerecht und mittels kindgerechter Zeichnungen erklärt. Wenn man das Glossar erst am Ende entdeckt, ist dies kein Problem, da alles im Zusammenhang der Geschichte erlesen und verstanden werden kann.

Als besonders ansprechend und originell ist „Das große Kartenlesespiel“ (S. 152-157) zu bewerten, welches Leser*innen eine abwechslungsreiche Möglichkeit bietet, den Fortgang des Abenteuers während der Suche nach der verloren gegangenen Karte spielerisch und anders als das Lesen, welches in der Regel alleine stattfindet, in Gemeinschaft mit anderen zu erleben. Die Buchseiten werden somit zum Spielbrett. Nur ein Würfel und Spielfiguren sind zu besorgen.


Als Auftaktband einer neuen Serie bietet Leif Wolffson – Total verpeilt im Eisbärenland Leser*innen, die bereits Leseerfahrungen mitbringen und keine Furcht vor etwas dickeren Büchern haben, vor allem eins: spannungsreiche Unterhaltung und durch den humorvollen Erzählton in Text und Bild jede Menge Lesespaß!

Der Comicroman eignet sich unbedingt als Freizeitlektüre, kann aber auch in lesemotivierenden Vielleseverfahren Einsatz finden. Im Rahmen einer lektürebegleitenden Leseförderung bietet es sich an, den großen Themenkomplex ‚Wikinger und die nordische Mythologie und Götterwelt‘ etwas genauer unter die Lupe zu nehmen: Was hat es mit dem Kampf zwischen den Göttern Thor und Loki auf sich? Wie könnte Mjölnir, der Hammer Thors, genau aussehen? Warum ist dieser so mächtig? Ausgang einer Klärung dieser und weiterer Fragen bietet das Glossar, welches als implizite Aufforderung an Leser*innen verstanden werden kann, sich weiter schlau zu machen. Darüber hinaus lassen sich neben dem Comicroman adressat*innengerechte Sachbücher in handlungs- und produktionsorientierte Verfahren einbinden. Unter Einsatz von Tablets können im Anschluss an eine Recherche beispielsweise kleine audiovisuelle Kurzfilme gedreht werden, in denen bildgestützt die Vegetation und Tierwelt Grönlands, die Eroberungszüge der Wikinger und ihre Schiffe oder auch nordische Götter (z.B. Thor, Loki, Freya) vorgestellt werden. Den Wissenshunger über die Lebenswelt von Wikingern können ebenso fiktionale Geschichtserzählungen für Heranwachsende stillen. Hierzu empfiehlt sich beispielsweise Dominic Sandbrooks Sachroman Eroberer der Meere: Die Wikinger (cbj), der die Leser*innen in historische Ereignisse, Schauplätze und Einzelschicksale hineinkatapultiert. Im von boys & books empfohlenen Kinderbuch Halvdan der Wikinger (Ueberreuter) von Martin Widmark kämpfen zwei Wikingerstämme gegeneinander. Dabei geraten die im Zentrum der Erzählung stehenden Figuren Halvdan und Meia in Gefahr. Die Geschichte kann nicht nur durch das Lesen der Lektüre, sondern auch unter Einsatz der gleichnamigen Romanverfilmung rezipiert werden. 

Auch der spielerische Gedanke des Comicromans (Kap. 11) kann aufgegriffen bzw. adaptiert werden, indem die Heranwachsenden ein eigenes Brettspiel oder ein Wikingerquartett gestalten. Das Brettspiel kann im Sinne literarischen Lernens dazu beitragen, eine Sequenz der Handlung wiederzugeben. Das Quartett fokussiert stärker die Auseinandersetzung mit Haupt- und Nebenfiguren, die (ab-)gezeichnet und mit zentralen Charaktereigenschaften beschrieben werden. Hier bestünde somit auch die Möglichkeit eines integrativen Deutschunterrichts, da das Thema „Beschreibung“ Gegenstand der Orientierungsstufe ist. Neben den Wikingerwölfen Leif, Freydis, Thorbjorg und Erik der Rote sowie den tierischen Abenteurern Olaf, Flora und Toki ließen sich weitere Figuren erfinden, denen die Hauptfiguren auf ihrem nächsten spannenden Abenteuer begegnen. Dies überbrückt die Wartezeit auf den Folgeband.