Buchcover Das Geheimnis von Nox. Licht, Schatten – Flederraten!

Fill Willekin lebt mit seinem Vater und seinen Freunden Lenia und Borre in Rudeling. Wie für alle...

Rezensiert von Anja Sieger

Ein voller Mond, funkelnde Sterne und dekorative Glühwürmchen – was für ein idyllisches Bild. Zunächst aber nicht für Fill und schon gar nicht für die anderen Taglinge, für die es nur eine Devise gibt: Meide die Nacht, wenn dir dein Leben lieb ist. Fill begibt sich dennoch in die verbotene Welt von Nox und nimmt die Lesenden mit auf ein spannendes, gruseliges, mitunter aber auch lustiges Abenteuer, das neben Weiß und Schwarz auch Grautöne kennt.

BuchtitelDas Geheimnis von Nox. Licht, Schatten – Flederraten!
AutorClaudia Scharf, illustr. v. Lisa Forsch
GenreAbenteuer
Fantasy
Lesealter10+
Umfang304 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagCarlsen
ISBN978-3-551-65288-1
Preis14,00 €
Erscheinungsjahr2023

Fill Willekin lebt mit seinem Vater und seinen Freunden Lenia und Borre in Rudeling. Wie für alle Taglinge gilt für ihn das Gesetz, die Nacht (= Nox) zu meiden und so immer vor Sonnenuntergang zu Hause zu sein, da die Welt von Nox eine sehr bedrohliche ist. Obwohl Fill durch den Tod seiner Mutter vor den dort herrschenden Gefahren gewarnt sein sollte, übt die Nachtwelt einen verbotenen Reiz auf ihn aus. Zunächst kommt er ein erstes Mal nach Sonnenuntergang nach Hause, da er den Sonnenpixie Bodi rettet. Dann sorgt die magische Pfanne Pfannika dafür, dass sich Fill trotz angebrochener Nacht aus dem Fenster lehnt, um Lavendel zu pflücken. Diese Situation nutzt sein Kater Tatz, um in die Nacht zu entkommen. Nach einem kurzen Zögern begibt sich Fill ebenso in die verbotene Welt, um Tatz wieder nach Hause zu bringen. Zunächst ängstlich, ist Fill auch verzaubert vom Sternenhimmel und dem Mond. Auf der Suche nach Tatz lernt er zudem das Glühwürmchen Glyxi, ein sehr freundliches und ihm wohlgesonnenes Nachtwesen, kennen, welches in den folgenden Nächten zu seiner treuen Begleiterin wird. Glyxi ist es auch, die Fill verrät, dass ein Mädchen aus Nox sein im Zusammenhang mit der Katerrettung verlorenes Amulett mit dem Foto seiner Mutter an sich genommen hat. Das Glühwürmchen hilft ihm, die geheime Welt von Silberhag zu betreten und das Nachtling-Mädchen Issa ausfindig zu machen. Im Tausch gegen ein Buch erhält Fill sein Amulett zurück. Issa hilft Fill und seiner Tagling-Freundin Lenia zudem, den durch Magie vergifteten Quaschelgarten seines Vaters zu retten. Mit ihrer Unterstützung schaffen es Fill und Lenia nicht nur die gefährlichen Angriffe diverser Nachtling-Wesen zu überstehen, sondern auch mit der Gewitterziege Xippe die Lösung des Quaschelproblems zu finden. Da Gewitterziegen sehr eitel sind, gelingt es Fill mit einem magischen Kamm Xippe als Helferin zu gewinnen und so die Quascheln von dem magischen Unkraut zu befreien. Diesbezüglich gehen die nächtlichen Abenteuer für Fill gut aus; Lenia hat allerdings einen Biss von einer Flederratte erlitten und Fill hat auch noch nicht sein Versprechen eingelöst, Issa bei der Suche nach dem verschwundenen Makikobi zu helfen. Die nächsten Abenteuer warten also auf den Tagling Fill.


Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Ist die Nacht nur unheimlich, gefährlich und von angsteinflößenden Wesen bewohnt? Oder ist sie ein geheimnisvoller, gar wunderbarer Ort? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, so wie eine Palette mit Schwarz und Weiß auch ganz viele nuancenreiche Zwischentöne ergeben kann? 


Eine solche Welt mit zahlreichen Zwischentönen findet sich im Kinderbuch Das Geheimnis von Nox. Licht, Schatten – Flederratten von Claudia Scharf, gleichwohl in der Gegenüberstellung der Tag- und der Nachtwelt zunächst nur die beiden Pole dargestellt werden und das Buch mit einer deutlichen Warnung beginnt, wenn es heißt „Halt dich fern von der Nacht, für Taglinge ist der Tag gemacht.“ (S. 11) und weiterführend erzählt wird, dass diese Regel zu allen Zeiten eingehalten worden sei, dann aber Fill kam (ebenda). Dieser Beginn sorgt für Spannung, wird doch für die Lesenden gleich am Anfang klar, dass von Nox eine Gefahr ausgeht und Fill sich dieser stellen wird. Dadurch wird zudem aber auch der durch die schrittweise Einführung in die fantastische Welt zunächst etwas langsamere Spannungsaufbau relativiert und die Handlung nimmt dann mit Fills wiederholten Grenzüberschreitungen zunehmend an Fahrt auf. Diese Art des Spannungsaufbaus benötigt aber unter Umständen geübtere Leserinnen und Leser, die es aufgrund ihrer Leseerfahrungen aushalten können, dass sich eine Erzählung kleinschrittiger entwickelt. Dass am Ende die aktuellen Probleme von Fill – Finden des Amuletts und v.a. Rettung des Quaschelgartens – gelöst sind, gleichzeitig aber weitere Aufgaben und Herausforderungen für ihn und seine Freundinnen anstehen, schließt zum einen den ersten Band überzeugend ab und sorgt zum anderen dafür, dass man neugierig auf den folgenden wird. Diese Neugier wird zusätzlich dadurch angestachelt, dass es im Buch bereits eine Leseprobe des zweiten Bands Das Geheimnis von Nox. Aufgewacht, Schule der Nacht gibt. 

Das Geheimnis von Nox. Licht, Schatten – Flederratten erzählt aber nicht nur eine fesselnde, durch verschiedene Nachtwesen mitunter auch recht gruselige Geschichte, sondern vermag es auch, die Lesenden durch lustige Momente zu unterhalten. Amüsant ist es beispielsweise, wenn die magischen Haushaltsgeräte ein Eigenleben entwickeln und der Teekessel ob der schlechten Arbeitsbedingungen im Hause Willekin statt heißes Wasser zuzubereiten, Eiswürfel spuckt (S. 43). Oder wenn die angsteinflößende Gewitterziege ihrer Eitelkeit erliegt und auf einmal ganz zahm wird (S. 271). Zudem gibt es immer wieder situationskomische Momente. So fragt zum Beispiel die neue Pfanne Fill nach seinem ersten unerlaubten Abenteuer in Nox, ob er den Lavendel mitgebracht habe (S. 103). 

Leserbindend ist darüber hinaus und vor allem, dass Fill von Beginn an ein Abenteurer ist und durch das mehrfache Überschreiten der Grenzen zunehmend zu einer echten Heldenfigur wird, die sowohl Jungen als auch Mädchen durch ein mutiges und uneigennütziges Handeln ein Identifikationsangebot unterbreitet. An Fills Seite finden sich mit Issa und Lenia zwei ebenfalls unerschrockene Mädchen.

Positiv hervorzuheben ist zudem die sprachliche Gestaltung. So finden sich diverse Ausdrücke der fantastischen Welt, die der Duden nicht kennt, die im Zusammenhang mit der erzählten Geschichte aber unproblematisch zu verstehen sind und ihr einen ganz eigenen Ton verleihen; Formulierungen wie „vernoxt“ (z.B. S. 211 „Vernoxt noch mal: […].“), „Schlund“ (z.B. S. 183 „‘Schlund!‘, fluchte Issa […].“) oder auch „Spotz“ (z.B. S. 184 „‘Astor hat sie gesehen mit irgendeinem Spotz.‘“) sollten den Lesenden nicht nur keine Probleme bereiten, sondern auch die Freude am Lesen weiter steigern. In diesem Kontext sind auch die adaptierten Redewendungen wie zum Beispiel „Der frühe Frosch quetscht die Quaschel.“ erwähnenswert. Darüber hinaus ist die Sprache durch die gelungenen Vergleiche sehr anschaulich und durch den Wechsel von eher längeren Satzkonstruktionen und einem hypotaktischen Stil wird Spannung erzeugt bzw. Anspannung deutlich gemacht (z.B. S. 131). 

Ein ganz besonderes Augenmerk verdient die außergewöhnliche Gestaltung des Buches. Die Geschichte der Taglinge und Nachtlinge wird optisch sehr ansprechend unterstrichen durch den Wechsel von Weiß und Schwarz; sobald sich Fill in Nox bewegt, findet sich weiße Schrift auf schwarzem Grund oder eine schwarze Rahmung der Seiten. Und auch der Bewölkungszustand von Nox wird auf diese Art und Weise veranschaulicht und bei genauem Hinsehen entdeckt man, wie sich der Mond hin zu einem Vollmond entwickelt. Hinzu kommen die überzeugenden Illustrationen von Lisa Forsch, wobei man bereits auf den einführenden Seiten auf den „Tag unter der Sonne“ und die „Welt unter dem Mond“ durch die Darstellung und Steckbriefe der Figuren auf die Geschichte eingestimmt wird. Dies gepaart mit dem aufwendig gestalteten Cover macht große Lust auf das Lesen des Buches, wobei man dabei auf grafischer Ebene immer wieder Überraschendes – wie zum Beispiel den Weg des Katers Tatz von der Tag- in die Nachwelt auf dem Inneneinband oder die fehlenden Seiten des Großen Kompendiums der Tag- und Nachtwesen – entdecken kann.


Der spannende Fantasy-Roman Das Geheimnis von Nox. Licht, Schatten – Flederratten von Claudia Scharf zeigt auf überzeugende Art und Weise, dass es gar nicht nur Schwarz (Nacht = böse und gefährlich) oder Weiß (Tag = gut und ungefährlich) gibt, sondern ganz viele Grautöne; Fill hat sowohl in der Welt des Tages als auch in der Welt der Nacht zwei mutige Mädchen an seiner Seite, in beiden Welten leben sympathische und unsympathische Zeitgenossen und es gibt ebenso jeweils gegenseitige Hilfe, Unterstützung und Freundschaft. Das ist eine schöne Botschaft, die aber ohne eine Belehrung daherkommt und somit sehr angenehm zu lesen und zu erleben ist.


Durch sein Genre, den fesselnden Plot und die abenteuerlustige und mutige Hauptfigur Fill, aus deren Perspektive überwiegend erzählt wird, aber auch in Hinblick auf den subtilen Spannungsaufbau spricht das Buch Jungen wie Mädchen an, die auf der Prozessebene des Lesens keine Probleme haben, denen aber unter Umständen geeigneter Lesestoff fehlt, um auch lesemotiviert zu sein. Diesbezüglich ist das Buch v.a. für die private Lektüre, aber auch für die Klassenbibliothek (Lesestoff für freie Lesezeiten / Vielleseverfahren) zu empfehlen.


In eher lesestärkeren und diesbezüglich homogenen Lerngruppen ist aber auch eine unterrichtliche Behandlung sehr gut möglich. Hier sind es zunächst Aspekte wie Freundschaft und Überwindung von Vorurteilen, die das Buch thematisch interessant für den Unterricht werden lassen. Dass diese Themen im Setting einer fantastischen Erzählung präsentiert werden, ist vor allem für Jungen wichtig, da diese von einer problemorientierten-realistischen Darstellung oftmals nicht angesprochen werden. Fantastische Literatur wird aber auch von Mädchen sehr gerne gelesen und mit Fill, Lenia und Issa gibt es ob ihrer Eigenschaften und Verhaltensweisen ein breites Identifikationsangebot, wodurch das Buch sowohl Jungen als auch Mädchen begeistern wird und somit für eine Klassenlektüre geeignet ist. Darüber hinaus besitzt das Buch aber auch in Hinblick auf seine sprachliche Gestaltung Potenzial für den Deutschunterricht, weist es doch viele gelungene Wortneuschöpfungen sowie Sprachspiele auf, die nicht nur einer Untersuchung wert sind, sondern auch zum eigenen kreativen Tätigwerden einladen. 

Sehr gut denkbar wäre zudem eine Verbindung mit dem Kunstunterricht. Zum einen, um die gestalterischen Aspekte des Buches vollumfänglich zu würdigen und diesbezüglich deren Funktion zu besprechen, zum anderen, um auch hier kreativ tätig zu werden, gibt es doch auch im Bereich der Kinderliteratur Bücher, die weniger überzeugend gestaltet sind und / oder keine Illustrationen aufweisen. In diesem Zusammenhang könnten also alternative Titelbilder und Illustrationen für das eigene Lieblingsbuch entworfen und diese im Anschluss in der Lerngruppe präsentiert werden. Angebunden an das eigene Lieblingsbuch, kann das Ganze zu einer besonderen Form der Buchvorstellung werden und im besten Fall eine leseanimierende Funktion übernehmen.


Lesemotivation kann aber auch dadurch entstehen, dass mit Das Geheimnis von Nox. Aufgewacht, Schule der Nacht! bereits der zweite Band im Buch angekündigt und mit der Frage, wie es weitergehe, neugierig auf diesen gemacht wird. Um die Vorfreude auf die Fortsetzung weiter zu steigern, gibt es zudem eine Leseprobe, die an einer sehr spannenden Stelle endet („Unter Lennys Kopf breitete sich ein roter Fleck aus.“) und die ein weiteres aufregendes Abenteuer um Fill, Lenia und Issa verspricht.