Buchcover Das Tierheim der seltsamen Wesen. Das Geheimnis der Harpyie

Levi und Lulu sind Zwillinge und haben in der Schule nichts als Streiche im Kopf. Als sie im...

Rezensiert von Stefanie Boor

Schulausschluss? Levi und Lulu haben in ihrer Klasse wieder mal für Chaos gesorgt. Nun müssen die Zwillinge Sozialstunden im Tierheim auf der Burg von Einöd ableisten. Die Zwillinge sollen bei der Futtervorbereitung helfen, zu den Tieren selbst dürfen sie nicht. Als der grummelige alte Tibert sich verplappert, dass die ‚Wesen‘ zu ihrem Schutz eingesperrt seien, werden Levi und Lulu stutzig. Warum Wesen? Die beiden schleichen sich nachts zur Burg und trauen ihren Augen kaum… Ein magisch-tierisches Lesevergnügen.

BuchtitelDas Tierheim der seltsamen Wesen. Das Geheimnis der Harpyie
AutorBritta Sabbag, illustr. v. Igor Lange
GenreFantasy
Lesealter8+
Umfang173 Seiten
VerlagEdel Kids Books
ISBN978-3-96129-293-6
Preis14,99 €
Erscheinungsjahr2023

Levi und Lulu sind Zwillinge und haben in der Schule nichts als Streiche im Kopf. Als sie im Biologieunterricht Kröten im Klassenraum freilassen, reißt ihrer Lehrerin der Geduldsfaden. Sie zitiert sofort den alleinerziehenden Vater der beiden zum Gespräch, der dafür seine Arbeit als Bauleiter unterbrechen muss. Die Strafe: Schulausschluss für zwei Wochen und Sozialstunden im Tierheim auf Burg Einöd für diese Zeit. 

Die Zwillinge sind zwar zunächst wenig begeistert, lieben aber Tiere und blicken eher gespannt auf ihren Einsatz. Die Burg erscheint ihnen nach der Ankunft zunächst irgendwie merkwürdig. Der alte Herr Tibert versorgt die Tiere und erklärt Levi und Lulu auf grummelige Art, wie sie das Futter vorbereiten sollen. Zu den Tieren selbst dürfen die Kinder nicht. ‚Die Wesen‘ seien zu ihrem Schutz eingesperrt, so der alte Tibert. Und genug Geld für Futter wäre auch nicht mehr da.

Die Kinder sind verständnisvoll, bleiben aber skeptisch an ihrem ersten Tag. Da waren doch auch merkwürdige Geräusche!

Levi und Lulu schleichen sich in der Nacht zur Burg zurück. Im Schein der Taschenlampe begegnet ihnen etwas Großes, das sie nicht eindeutig zuordnen können. Mit diesem Wissen konfrontieren sie Herrn Tibert, der sie schließlich in fast alle magischen Geheimnisse um das Tierheim einweiht. Nur die größte Gefahr im Keller verschweigt er den beiden. Als sich dieses Wesen eines Tages befreit, müssen die Zwillinge auf sich allein gestellt herausfinden, was stärker als Magie ist.

Auf den ersten Blick anders als die meisten Kinderbücher – das ist eines der Hauptmerkmale von Das Tierheim der seltsamen Wesen der Autorin Britta Sabbag. Optisch ist das zunächst Illustrator Igor Lange zu verdanken, der die beiden Protagonist*innen mit dunkler Haut sympathischerweise von den hellhäutigen, blonden Kindern in der Kinderliteratur deutlich absetzt. Und das, obwohl der alleinerziehende (!) Vater der Zwillinge durchaus helle Haut hat. Warum das bemerkenswert ist? Weil es wichtig ist, Kindern mit Migrationshintergrund geeignete Bilder zur Identifikation anzubieten. Und weil genau diese Kinder oftmals hinsichtlich Leseförderung und somit des Erwerbs einer sicheren Lesekompetenz benachteiligt sind. 

Überhaupt ist die Gestaltung und Typografie für leseschwächere Kinder – also für unsere Zielgruppe – sehr gut geeignet: Große Schrift, weiter Zeilenabstand, textarme Seiten, viele großflächige und farbige Illustrationen unterstützen das Textverständnis. Oft wird die vielversprechende Formel eine Seite Text, daneben eine Seite Illustration angewendet. Die Kapitelüberschriften erscheinen fast riesig und es gibt großzügige Weißflächen.

Diese Weißflächen sind wiederum ein Gestaltungsmerkmal aus der Werbung, um dort den Kunden ausreichend Raum zur eigenen Interpretation zu lassen. So werden mehr Kunden erreicht. Im vorliegenden Buch ist dieses Merkmal hilfreich, um unerwähnte Details der jeweiligen Leserfantasie zu überlassen. Dadurch werden mehr Kinder angesprochen und in ihrer Lebenswelt abgeholt. Beispielsweise wird nicht weiter erläutert, warum die Zwillinge bei ihrem Vater allein aufwachsen. Die Mutter ist nicht da – und fertig. Jedes Kind kann sich den Hintergrund selbst im Rahmen der eigenen Erfahrungs- und Wissenswelt ausmalen.

Die reichhaltige Gestaltung unterstützt wiederum die Textzugänglichkeit sowie das Textverständnis. Wichtig, weil die Sätze zwar vielfach kurz und einfach gebaut sind, vereinzelt jedoch für leseschwache Kinder eher ungebräuchliche Begriffe verwendet wurden. Wörter wie „Einöd“, „imaginär“, „Courage“, „Dickicht“ oder „Gewerke“ könnten von manchen Schülern*innen nicht verstanden werden. Zudem setzen „Arche Noah“ und „Hänsel und Gretel“ literarisches Vorwissen voraus, das nicht von allen erwartet werden kann. 

Und dennoch – der Titel ist eine gelungene Mischung aus lockerer Gestaltung und einem Text, der nicht erschlägt, sondern Mut macht weiterzulesen. Hinzu kommt der inhaltliche Aufbau. Die Lesenden sind sofort mittendrin in der Geschichte – und im Klassenzimmer. Gespannt können junge Leserinnen und Leser mit Levi und Lulu mitfiebern, welche Standpauke sie nach ihrem Krötenstreich wohl erhalten werden. Dass die Strafe sogar ein Schulausschluss mit Sozialstunden ist, dürfte manchen Kindern (oder ihren Eltern?!) in unserer Altersgruppe 8+ vielleicht einen kleinen Schreck einjagen, aber ohne wirklich abschreckend zu wirken. 

Die beiden Protagonist*innen sind überaus liebenswert und empathisch beschrieben. Die einzelnen Kapitel leuchten nicht jedes Detail aus, stellen damit jedoch übersichtliche Handlungsstränge über allzu komplexe Informationen. Der Handlungsort und die magischen Wesen sind nicht unbedingt herausragend spannend, aber die liebevollen Tiernamen ähneln fast Zungenbrechern oder wortakrobatischen Nomenketten. Das kann auch bei der Leseförderung aufgegriffen werden. 

Die Zwillinge werden ohne Überfrachtungen oder pädagogischen Zeigefinger authentisch als freche und gleichzeitig mit viel Verantwortung zurechtkommende, selbständige Kinder beschrieben. Mit ihrer Art gewinnen sie auch den alten Tibert für sich, und übernehmen nebenbei noch seine Aufgaben, während er mit Fieber kämpft.

Abschließendes Fazit: Levi und Lulu bieten den Leserinnen und Lesern einfache Identifikationsmöglichkeiten – gestalterisch und inhaltlich. Ein Buch, das sicherlich ohne Zögern in die Hand genommen wird und nach der Lektüre kleine Lesemuffel mit Stolz erfüllt, ein „richtiges“ Buch gelesen zu haben.


Das Tierheim der seltsamen Wesen bietet sich sowohl zur eigenen Lektüre als auch zum Vorlesen an. Die Darstellung der Protagonist*innen weist bereits auf dem Cover dezent auf die Vielfalt von Kulturen hin und bietet so großartige Anknüpfungsbrücken für multinationale Klassen.

Die Kapitel sind übersichtlich und mit großzügiger Typografie gestaltet. Sprachlich könnten einzelne Begriffe etwas knifflig werden – im Klassenverbund sollten sie flott geklärt sein.

Der Titel ist folglich als passende Klassenlektüre für das dritte oder vierte Schuljahr sehr gut geeignet. Einer Verlängerung der Lesebegeisterung steht nichts im Wege, weil bereits ein zweiter Teil erhältlich ist.


In Anlehnung an die Tiere bzw. Namen der Wesen des Tierheims können mit den Schüler*innen eigene Tierschöpfungen entwickelt werden. Das kann von der Erfindung von Namen aus kreativ zusammen gesetzten Nomen reichen bis hin zum detaillierten Malen (Schuppen, Krallen, Fell etc.) oder sogar zum Gestalten eines eigenen Klappbuchs.

Das Buch eignet sich zudem gut zum Einsatz bei einem Vorlesewettbewerb, da die einfachen Satzstrukturen Sicherheit beim Vorlesen bieten.


Auch ein Lesesteckbrief mit vielen Beispielen der großzügigen Illustrationen ist eine gute Möglichkeit, das Buch kleinen Lesemuffeln schmackhaft zu machen.


Je nach Interesse der Klasse kann von diesem Titel aus auf Tier-Fabeln übergeleitet werden.