Rezensiert von Dominik Achtermeier
Wer steckt hinter der Entführung des Orang-Utan Babys? Und warum kann Eddie mit allen Tieren kommunizieren und versteht sie besser als kaum ein zweiter? Eddies Ferien bei Tante Budge in Amsterdam werden zu einer witzigen wie actiongeladenen Verfolgungsjagd für Mensch und Tier. Paul O’Gradys filmreife Detektivgeschichte zeigt, dass man seine Talente nicht verstecken muss, sondern stolz darauf sein darf, besonders zu sein.
Buchtitel | Eddie Albert und die Tierbande – Das Amsterdam-Abenteuer |
Autor | Paul O’Grady, übers. v. Katharina Naumann, illustr. v. Sue Hellard |
Genre | Abenteuer Fantastische Literatur |
Lesealter | 10+ |
Umfang | 349 Seiten |
Verlag | Von Hacht |
ISBN | 978-3-96826-019-8 |
Preis | 18,00 Euro |
Erscheinungsjahr | 2023 |
Eddie Albert stellt mit sechs Jahren bei einem Zoobesuch fest, dass er mit Tieren sprechen kann. Diese Begabung ist einzigartig, was ihn dazu veranlasst, diese Fähigkeit lieber als Geheimnis für sich zu behalten. Doch seine Begabung wird ihm in der Schule zum Verhängnis: einer verzweifelten Maus, die sich verlaufen hat, erklärt er mitten im Unterricht den Weg aus dem Klassenzimmer zurück in den Heizungsraum. Das sorgt für Tumult und einmal wieder heißt es: „Schon wieder Eddie Albert“. Eddie wird von Mitschülern gemobbt und in eine Außenseiterposition gedrängt.
Zum Glück stehen die Sommerferien kurz bevor und eine beruflichen Weiterbildung seines Vaters ermöglicht es Eddie, diese bei seiner Großtante Budge (Lady Buddleia) in Amsterdam zu verbringen. Die Tante seiner Mutter kennt er bislang nur vom Hörensagen. Vor der Abreise stellt er die Bedingung, nur zu verreisen, wenn seine Tiere – Hund Butch, Hamster Bunty, die Fische Dan und Jake, mit denen er wie mit einem Menschen kommunizieren kann, mitkommen dürfen. Tante Budge hat nichts dagegen. Im Unterschied zu seinem Leben in England präsentieren sich ihm sein Feriendomizil als eine ganz andere Welt. Tante Budge wohnt in einem imposanten Herrenhaus gleich an der Keizersgracht, hat ihr eigenes Personal, ein Motorboot und erhält Einladungen zu High Society-Events. Kurz nach seiner Ankunft lernt Eddie Flo kennen, die trotz anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten schnell zu einer Bezugsperson für ihn wird. Nachdem Eddie nachts die Entführung eines Orang-Utan Babys auf dem Kanal beobachtet hat, nehmen er und Flo die Ermittlungen auf. Auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung stellen sie fest, dass die exzentrische Society-Dame Vera van Loon, die sich mit höchst merkwürdigen Gestalten umgibt, in die Entführung des Affenbabys verwickelt sein muss. Veras Papagei Casey bringt die Kinder auf die Spur zu Dr. Lockjaw. Außerhalb Amsterdams führt er Tierversuche durch, um der alternden Vera durch Injektionen ewige Jugend verleihen zu können. Mithilfe des aus dem Zoo gestohlenen Orang-Utan-Babys, das dort in einem Käfig eingesperrt ist, soll für Vera ein Serum hergestellt werden, welches ihr Haarwachstum regenerieren soll. In nächtlicher Mission gelangen die Kinder und Tiere zum Labor und riskieren ihr Leben, um das Baby zu retten – Mensch und Tier agieren gemeinsam. Zum Glück bekommen sie im finalen Showdown Unterstützung von Tante Budge und ihrer Köchin Miss Schmidt. Am nächsten Tag werden sie als Helden gefeiert und von Presseleuten interviewt, bevor die Ferien in Amsterdam zu Ende gehen.
„Eddie hatte schon sehr früh sprechen gelernt, seine Mum nannte ihn immer ihre kleine Plauder-tasche. Aber als sie starb, hörte er auf zu sprechen. Lange Zeit sagte er kein einziges Wort, weil irgendwo in seinem kleinen Hirn die Frage herumgeisterte, ob sein ständiges Geplapper vielleicht der Grund dafür war, dass sie nicht mehr lebte.“ (S. 58)
In dieser spannungsgeladenen Abenteuergeschichte mit fantastischen Elementen begleiten die Leser*innen den zehnjährigen Jungen, Eddie, dem bisher wenig Glück in seinem Leben widerfahren ist. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen erfährt er neben dem schweren Verlust seiner Mutter in der Schule Ausgrenzung, weil er Selbstgespräche zu führen scheint. Glücklicherweise ist er zuhause nicht alleine, selbst wenn sein Vater den ganzen Tag im Supermarkt arbeitet. Eddie lebt in Gesellschaft seiner Haustiere, durch die er irgendwann in seiner Kindheit wieder angefangen hat zu sprechen. Als ‚Intuitiver‘ kann er mit allen Tieren kommunizieren; eine Begabung, die er mit Tante Budge teilt, wie die Lesenden im Laufe der Geschichte erfahren. Seine Tierbande besteht aus liebenswerten, doch recht unterschiedlichen Charakteren, die sich – ebenso wie Eddie und jeder andere Mensch – durch recht individuelles Sprechen, aber auch durch andere Eigenschaften und Weltanschauungen voneinander unterscheiden lassen. Oft bekommen Eddie, sein Hund Butch, sein Hamster Bunty sowie die Goldfische Dan und Jake Besuch von Krähe Stanley. Stanley kann kein H aussprechen, weiß dafür aber sehr viel und ist redselig. Zum Beispiel erklärt er, dass der Name Amsterdam auf die Millionen von Hamster zurückzuführen sei, die damals die Stadt bevölkerten (S. 72).
Der 2023 verstorbene Autor Paul O’Grady nimmt sich zu Beginn des Romans Zeit, alle Figuren sehr humorvoll einzuführen. Heranwachsende mit geringen Leseerfahrungen könnten aufgrund der Beschreibungen im ersten Teil der Narration gegebenenfalls die Spannung vermissen, die erst mit der Handlung in Amsterdam einsetzt. Der Raumwechsel bedeutet für die Lesenden, die sich mit Eddie auf die Reise machen, eine wahrliche Wendung: Nach etwas mehr als 100 Seiten beginnt die Verbrechersuche im Grachtenlabyrinth.
Doch die Leser*innen, die eine gewisse Ausdauer und Durchhaltevermögen in die Lektüre investieren, kommen dank der Figuren, der Themen Freundschaft und Zusammenhalt sowie der temporeichen Ermittlungsarbeit auf ihre Kosten.
Paul O’Grady, der in Großbritannien ein berühmter Schauspieler war und sich in den Medien für den Tierschutz eingesetzt hat, gestaltet seinen Roman sehr bildhaft. Das auktoriale Erzählen ist stark filmisch geprägt, wodurch Lesende unterstützt werden, in die Storyworld einzutauchen sowie über kleinteilige Beschreibungen, den Figuren und Handlungsräumen sehr nah zu kommen. Sowohl die einsträngige und chronologische Handlung, als auch Sprache und Satzbau zeichnen sich durch eine kindgerechte wie leicht zugängliche Gestaltung aus, wozu natürlich auch die Übersetzerin Katharina Naumann einen großen Beitrag leistet. Die Illustrationen von Sue Hellard unterstützen die Lesenden bei der Geschichtenrezeption, ohne deren Imaginationskraft zu stark zu beeinflussen.Stellvertretend für alle Figuren soll an dieser Stelle die Figur der Antagonistin Vera van Loon herausgegriffen werden, die als überzeichnete Nebenfigur eine Art moderne ‚böse Hexe‘ ist und an die literarische Sozialisation junger Lesenden anschließt. Vera ist durch ihre überzeichnete Art und clowneske Erscheinung einerseits urkomisch, andererseits wirft sie bei jungen Leser*innen Fragen auf. O’Grady verleiht ihr Tiefe, indem er uns Lesende in Veras Seele Einblicke gewährt. In einer Rückschau zeichnet der Autor Veras Leben nach und verhilft den Leser*innen ein Verständnis zu gewinnen, weshalb sie zu einer Frau wurde, die skrupellos und egoistisch ist.
Fazit:
Der Roman liest sich sehr flüssig und wird gleichermaßen Jungen wie Mädchen fesseln. Die Lektüre empfiehlt sich für etwas geübtere Leser*innen, die nach dem nächsten spannungsreichen und actiongeladenen Abenteuerroman suchen, in dem Tierfiguren zu den menschlichen Figuren gleichgestellten Protagonisten werden. Zusammenhalt und der Einsatz unterschiedlicher Fähigkeiten und Talente wird über den fiktionalen Text als wichtiges Gut für den Kampf gegen Ungerechtigkeiten vermittelt. Ferner widmet sich der Kinderroman den Themen Natur- und Artenschutz sowie der Frage, wie weit der Mensch gehen darf, Tiere für Medizinversuche einzusetzen.
Eddie Albert und die Tierbande – Das Amsterdam-Abenteuer ist ein Roman für alle, die sich über die Ermittlung von jungen Detektiv*innen hinaus auch von fantastisch angehauchten Welten verzaubern lassen möchten, aber auch interessiert sind, sich mit Themen wie Anderssein und Vielfalt auseinanderzusetzen. Insofern bietet der Roman etwas mehr, als es klassische Detektivgeschichten tun, indem er unterschwellig etwa soziale Herkunft und Rassismus thematisiert.
Ein besonderes Identifikationspotenzial hält die im Roman thematisierte Mehrsprachigkeit vor. Einerseits bieten die Tiere sehr unterschiedliche Sprachvarietäten an, über die sie auch charakterisiert werden. Andererseits erfährt Eddie durch seine ‚Mehrsprachigkeit‘ Ausgrenzung. Ein Thema, für welches das Buch auch im schulischen Kontext einen interessanten Gesprächsimpuls setzen kann, im privaten zumindest ein implizites Angebot macht.
Der Roman empfiehlt sich für Heranwachsende mit gefestigten Lesefähigkeiten insbesondere als Freizeit- oder gar Urlaubslesestoff und schafft es in jeglicher Hinsicht, seine Leser*innen zu unterhalten. Durch einen kleinen Ausblick am Ende der Geschichte, wird ein Wiedersehen der Figuren den Leser*innen in Aussicht gestellt.
Der zweite Band ist in Großbritannien bereits unter dem Titel Eddie Albert and the amazing Animal Gang – The Curse of the Smugglers‘ Treasure erschienen und ermöglicht es Heranwachsenden durch eine hoffentlich zeitnah auch in deutscher Sprache erscheinende Übersetzung, mit den liebgewonnenen Figuren ein weiteres Abenteuer zu erleben.