Buchcover Pakt der Krähen

Okes ödes Leben auf dem Koberg, eine heruntergekommene Hochhaussiedlung, ändert sich schlagartig,...

Rezensiert von Kristina Schmitt

Oke und Zachy sind nur gemeinsam stark: Zusammen mit anderen Jugendlichen rufen sie die ‚Crows‘ ins Leben. Eine Gang, die das Streben nach einem besseren Leben, mehr Geld und Gerechtigkeit verbindet. Ihr Motto ist ‚Good for Good‘ – doch schnell zeigt sich ihre Doppelmoral und ihr Anführer Zachy birgt Geheimnisse, die nicht nur die Crows in Gefahr bringt. 

BuchtitelPakt der Krähen
AutorBrigitte Jünger
GenreComing of Age
Gegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter12+
Umfang144 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagJungbrunnen
ISBN978-3-7026-5980-6
Preis17,00 €
Erscheinungsjahr2023

Okes ödes Leben auf dem Koberg, eine heruntergekommene Hochhaussiedlung, ändert sich schlagartig, als Zachy mit seiner Mutter dort in eine der kleinen Wohnungen zieht und die beiden Jungen sich anfreunden. Schließlich verbindet die beiden ihr Traum von einem besseren Leben. Aus diesem Grund gründen sie die ‚Crows‘, aus dem Englischen übersetzt ‚Krähen‘. Genau wie diese Tiere, die sich auf dem Koberg besonders stark angesiedelt haben und trotz ihres schlechten Rufes sozial und intelligent handeln, wollen sie mit den anderen Jugendlichen gemeinsam agieren. Als Gang können sie sich Einfluss verschaffen und sich für das ‚Gute‘ in der Siedlung einsetzen, ganz nach dem Motto ‚Good for Good‘. So helfen die Heranwachsenden den Senior*innen bei ihren Einkäufen, übernehmen Tätigkeiten im Kiosk, überwachen die nicht immer ganz einwandfreien Arbeiten des Hausmeisters usw. Ganz so selbstlos sind ihre Absichten dabei jedoch nicht: Die helfenden Hände oder das Bewahren von Geheimnissen (die Crows kennen alle Affären und Machenschaften auf dem Koberg) haben ihren Preis und falls der nicht stimmt, bedienen sie sich einfach selbst. Nach und nach werden immer riskantere und skrupellosere Einnahmequellen in Betracht gezogen. Besonders Zachy wird übermütig und startet heimlich einen Alleingang, mit der er den ganzen Koberg in Gefahr bringt. Dieser soll nämlich für eine wohlhabendere Zielgruppe saniert und die aktuellen Bewohner*innen zum Wegzug gezwungen werden. Zachy lässt sich jedoch blenden und schlägt sich auf die Seite der Immobilienhaie, verrät seine Nachbar*innen, sperrt Oke in einen Bunker und hintergeht die Crows auf übelste Weise. Als ihn dann noch sein Vater im Stich lässt und er von Gewissensbissen geplagt wird, stürzt er sich fast von einem der Hochhauskomplexe. 


„Die sind schlau. Schlauer als manche Leute auf dem Koberg!“ Dann schaute er weiter der Krähe zu, die einige Flips aus der Tüte fischte und den Rest der nächsten überließ. „Superschlau!“[…] „Eine hochintelligente Crew, die uns vormacht, wie das Leben sein soll!“[…] „Die sind solidarisch, halten zusammen und teilen ihre Beute, so, wie es in einer richtigen Family laufen soll.“ (S.36) Zachys Beobachtungen der Krähen resultieren in der Idee von den ‚Crows‘, mit der er nicht nur Oke, sondern elf weitere Jugendliche auf dem Koberg, überzeugen kann. Alle Mitglieder der neuen Gang sehnen sich nach Zugehörigkeit, Freundschaft, Zusammenhalt, Sicherheit und besseren finanziellen Möglichkeiten. Ein Wunsch, den sicher viele junge Leser*innen nachvollziehen können. Die Perspektivenwechsel aus der Sicht der unterschiedlichen Charaktere der Mitglieder, bestehend aus zehn Jungen und einem Mädchen, laden zur weiteren Identifikation ein. Die Leser*innen gewinnen vor allem Einblick in die innere und äußere Welt von Zachy und Oke, aber auch die Crows Ida, Adil, Pat, Oskar und Mo sowie Nathan, der Kioskbetreiber und Leo, eine Kindheitsfreundin von Oke werden näher beschrieben und können als Identifikationsfiguren dienen. Authentisch werden die jeweiligen Hoffnungen und Ängste, Schwächen und Stärken der Jugendlichen dargestellt und spiegeln die Gefühlswelten vieler junger Menschen wider.
Im Zentrum stehen Zachy und Oke. Zachys Emotionen drehen sich insbesondere um seine psychisch kranke Mutter und seinen Vater, der die Familie verlassen hat und immer wieder Hoffnung in dem Jungen pflanzt mit dem Versprechen, sie aus dem Koberg herauszuholen oder ihn mit in den Urlaub zu nehmen. Die Enttäuschungen durch seinen Vater und eine Mutter, die ihn völlig vernachlässigt und um die er sich kümmern muss, erzeugen in ihm das Gefühl des Alleinseins und der Hilflosigkeit. Umso wichtiger sind für ihn die Crows, die als Familienersatz das Gefühl des Zusammenhalts und der Solidarität kompensieren sollen. Auch Oke trägt eine komplexe Familien- und Beziehungsgeschichte mit sich, in der seine verstorbene Freundin Leo eine dominierende Rolle spielt. Hierbei geht es um die Themen Verliebtheit und Vertrauen, aber auch Verrat, Krankheit und Tod. Darüber hinaus erfahren die Leser*innen insbesondere Okes Gedanken zur Freundschaft mit Zachy, die ambivalente Emotionen in ihm hervorruft. Dies zeigt sich auch in der Extremsituation, in der sich Oke befindet: Von Zachy in einen geheimen Bunker eingesperrt, zweifelt er an dieser Freundschaft, die von Anfang an auch von  Misstrauen geprägt war. Dabei wird das Kennenlernen und die Gründung der Crows in Retrospektive erzählt. Die Zeitsprünge sind auch für ungeübte Leser*innen gut nachvollziehbar. 


Etwas schwieriger hingegen sind die vielen Perspektivwechsel: Kapitelweise wechselt die Erzählperspektive zwischen einigen Mitgliedern der Crows sowie dem Kioskbetreiber Nathan. Neben Oke und Zachy sind es vor allem Ida, Adil, Pat, Oskar und Mo, aus deren Blickwinkel die Geschichte weitererzählt wird. Die vielen kleinen Einblicke bleiben eher an der Oberfläche und lassen immer wieder Fragen offen. Junge Leser*innen gewichten diesen Aspekt jedoch vermutlich nicht so stark. Gelingt das Nachvollziehen der Perspektivwechsel, können die vielen verschiedenen Charaktere für Heranwachsende auch interessante Betrachtungen ermöglichen.


Die anderen Mitglieder Sam, Luke, Tom und Minh werden nur am Rande am Anfang der Geschichte erwähnt. Wieso diese Charaktere eingeführt werden, erschließt sich im Laufe der Geschichte nicht. Insgesamt wirkt die Gruppierung der Jugendlichen eher lose, der versprochene Zusammenhalt oberflächlich und es scheint, als würden sich die Mitglieder der Crows in Wirklichkeit kaum kennen. Dies zeigt sich auch durch die Geheimnisse der Einzelnen, die Sticheleien untereinander und das Konkurrenzdenken bezüglich der Einnahmen. 


Sprache und Stil des Romans sind auch für leseschwache Jugendliche geeignet. Lediglich die Jugendsprache in den direkten Reden wirkt zum Teil etwas konstruiert. Dennoch entsteht ein guter Lesefluss, der durch den überzeugenden Spannungsbogen und die kurzen Kapitel getragen wird.


Insgesamt ist Pakt der Krähen ein spannender Coming-of-Age-Roman, der viele interessante Themen und Perspektiven für junge Leser*innen bereithält.


Paket der Krähen eignet sich mit dem geringen Umfang und den vielen Identifikationsfiguren auch als Klassenlektüre. Die Geschichte bietet viele moralische Fragen, die im Klassenverband besprochen werden können. Gesellschaftskritische Aspekte wie die geplante Sanierung und Aufwertung des Kobergs durch Investoren, die ein Umzug der Bewohner*innen mit sich bringen soll, könnten diskutiert werden. Das offene Ende lässt zudem Schüler*innen die Möglichkeit, Vermutungen anzustellen, wie es mit den Crows weitergehen könnte und empfiehlt sich somit für verschiedene kreative und handlungsorientierte Formate. Auch die Thematik der Gruppenbildung und -dynamik kann mit den Heranwachsenden behandelt werden, schließlich ist dies ein wichtiges Thema aus dem Alltag der Jugendlichen und an Schulen durch Cliquen etc. ein relevanter Aspekt.