Buchcover Guilty – Du wirst nicht entkommen

Der 22-jährige Diego sitzt wegen fahrlässiger Tötung im Gefängnis. Gemeinsam mit seiner Freundin...

Rezensiert von Franziska de Vries

Diego wird aus dem Gefängnis entlassen – aber frei ist er nicht, denn die Gesellschaft will ihn tot sehen. Drei Millionen Menschen haben auf der App GUILTY für seine Freilassung abgestimmt. Eine rasante Verfolgungsjagd beginnt und Diego muss lernen, die Meute auszutricksen, um zu überleben, denn jede*r darf ihn strafffrei töten.  

Guilty – Du wirst nicht entkommen begeistert als fesselnder Thriller, der neben Hatespeech und den Auswirkungen von Social Media auch Fragen nach Schuld und Reue tiefergehend betrachtet. 

BuchtitelGuilty - Du wirst nicht entkommen
AutorJean-Christophe Tixier, übers. v. Bernadette Ott
GenreKrimi & Thrill
Lesealter14+
Umfang256 Seiten
Edition1. Ausgabe
Verlagcbt
ISBN978-3-641-29959-0
Preis8,99 Euro
Erscheinungsjahr2023

Der 22-jährige Diego sitzt wegen fahrlässiger Tötung im Gefängnis. Gemeinsam mit seiner Freundin Mona macht er sich nach einer Party auf den Rückweg, als er die Kontrolle über das Lenkrad verliert. Mona überlebt den Unfall nicht und Diego ist schuld: Er hat das Auto gesteuert, obwohl er Alkohol getrunken und Joints geraucht hat. Eigentlich muss Diego nun für die nächsten 12 Jahre im Gefängnis bleiben, doch schon nach drei Jahren wird er entlassen – mehr als drei Millionen Menschen stimmen seiner vorzeitigen Freilassung über die App ‚Guilty‘ zu. Doch das bedeutet für Diego nicht Freiheit, sondern genau das Gegenteil: Er wird zur Jagd freigegeben. Ohne strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten, darf nun jede*r Diego töten – und kaum aus dem Gefängnis entlassen, muss er sich vor den rachsüchtigen Verfolger*innen verstecken. Jeden Abend um 19 Uhr wird Diegos Standort über eine elektronische Fußfessel geteilt, die ihm vor der Entlassung angelegt wurde. Doch er will durchhalten und trickst seine Verfolger*innen immer wieder aus, um zumindest eines zu schaffen: Er möchte die Eltern seiner Freundin Mona um Verzeihung bitten. Doch Monas Eltern reagieren voller Wut und Trauer auf Diegos Reue und kurz darauf erscheint die Meute, um ihn endlich zur Strecke zu bringen. Unter ihnen befindet sich auch die gewaltbereite Gun_27, die auf Social Media immer wieder dazu aufruft, Diego für das Bezahlen zu lassen, was er verbrochen hat. Unterwartet bekommt er Hilfe von Monas Schwester Vic. Gemeinsam begeben sie sich auf die rasante Flucht vor denen, die zu jeder Gewalttat bereit sind. Um Diego vor dem sicheren Tod zu bewahren, versucht die Gruppe ‚Partisanen für mehr Gerechtigkeit‘ um Aktivistin Helena, ihn zu sich zu bringen. Diego muss sich nun entscheiden: Möchte er sich in ein im Untergrund liegendes Gefängnis retten, um dort seine gerechte Strafe abzusitzen? Oder möchte er weiter vor seinen gewaltbereiten Verfolger*innen und seiner Schuld flüchten? 

Eine Leseprobe lässt sich hier einsehen.

Außerhalb der Gefängnismauern erwartet den nach drei Jahren aus dem Gefängnis entlassenen Diego nicht die Freiheit. Mehr als drei Millionen Menschen haben auf Plattform ‚Guilty‘, der offiziellen App des Justizministeriums, für Diegos Freilassung gevotet, doch damit ist seine Schuld nicht abgesessen, sondern die Jagd auf ihn eröffnet. Rachsüchtige Menschen warten nur darauf, ihn endlich zur Strecke bringen zu können, ohne eine Strafe dafür zu fürchten. Wie schafft es Guilty, Lesende von Beginn an in die actionreiche Geschichte zu saugen und trotzdem Fragen nach Schuld und Reue tiefgründig nachzugehen? 


Der vom Franzosen Jean-Christoph Tixier verfasste und von Bernadette Ott ins Deutsche übertragene Thriller beginnt mit den Download-Infos zur App ‚Guilty‘ und einem Auszug aus dem Gesetzestext, der die strafrechtlichen Regelungen wiedergibt. Lesende haben dadurch einen direkten Überblick über die dystopische Rahmenhandlung und wissen, in welch dramatischer Lage sich Protagonist Diego befindet. Der 22-Jährige ist kurz davor, aus dem Gefängnis entlassen zu werden und kann sich zu Beginn der Geschichte nicht vorstellen, was dies für ihn bedeuten wird. Doch sobald der Zähler die drei Millionen Marke geknackt hat, können Lesende Diegos Angst mitfühlen: „Rot blinken ihm die Ziffern entgegen. Tränen füllen seine Augen, gleich werden sie ihm übers Gesicht strömen. Hastig fährt er mit der geschlossenen Faust darüber. Für Tränen ist es jetzt zu spät“ (S. 19). Der Thriller folgt einer personalen Erzählweise und die Dramatik um Diegos Flucht drängt sich immer wieder in den Vordergrund. Neben der Angst vor den gewaltbereiten Verfolger*innen kommen auch andere Emotionen und Diegos Willenskraft zum Vorschein, die ihn als vielschichtigen Charakter zeigen. Lesende erfahren im Verlauf des Buches von seiner Vergangenheit. Geschickt bindet der Autor Polizeiberichte und Verhörprotokolle ein, die in Zeitsprüngen die Leser*innen über die Gründe aufklären, weshalb Diego überhaupt verurteilt wurde. Diese Einschübe sind in unterschiedlichen Schriften gestaltet und unterstützen die temporeiche Handlungsführung, ohne sie zu stören. Die Gewaltbereitschaft der Verfolger*innen wird durch Chatgespräche in der App ‚Guilty‘ deutlich: „Gun_27@Eagle421Hey, Leute, der ist für mich! Dass mir keiner in die Quere kommt! 12:06 Dragon_13@Eagle421 So ein Typ wie der, mit dem, was er getan hat, der soll verrecken! 12:07“ (S. 39). Spannung bauen zudem Radiobeiträge auf, die das aktuelle Geschehen kommentieren. Die Beiträge geben einen Einblick in die teilweise perfide und anheizende Berichterstattung einer dystopischen Welt. 


Der Thriller zeichnet größtenteils eine klare Geschichte rund um Gut und Böse. Diese Trennung wird allerdings an unterschiedlichen Stellen passend gebrochen. Eine Ebene, die dem Protagonisten Tiefe verleiht, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld. Diego ist geplagt von Selbsthass und Trauer. Nach einer Party stieg er unter Alkohol- und Drogeneinfluss gemeinsam mit seiner Freundin Mona ins Auto und steuerte gegen einen Baum. Nun muss er fortan damit leben, seine Freundin bei diesem selbstverursachten Unfall verloren zu haben. Auf der Flucht vor der vergeltungssüchtigen Meute gibt ihm ein Ziel besonderen Überlebenswillen: Er möchte bei Monas Eltern um Verzeihung bitten. „Muss ihnen sagen, wie sehr ihm das alles leidtut, wie untröstlich er ist und dass er sich selbst nie verzeihen wird, was passiert ist. Dass er alles geben würde, um Monas Tod ungeschehen zu machen.“ (S. 82) Dieses Ziel hält ihn anfangs davon ab, sich den ‚Partisanen für mehr Gerechtigkeit‘ anzuschließen. Ihm wird von Partisanin Helena angeboten, sich in ein Untergrundgefängnis der Gruppe zu begeben und dort seine gerechte Strafe abzusitzen, abseits der herrschenden, menschenverachtenden Justiz. 


Sein Wille, Reue zu zeigen, wird ihm im Laufe der Geschichte zum Verhängnis, denn Monas Eltern können Diego natürlich nicht ohne weiteres verzeihen. Unerwartet unterstützt ihn Monas Schwester Vic. Durch sie lernt Diego, mit der eigenen Schuld umzugehen und dass er es verdient hat, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Die ‚Partisanen für mehr Gerechtigkeit‘ sind für das Genre eine zwar recht vorhersehbare Einflechtung, dennoch wird dies jugendliche Lesende nicht stören. Es bietet vielmehr eine Möglichkeit, sich genauer mit dem politischen System zu befassen, das der Roman hätte tiefergehend thematisieren können.  


Der Thriller besticht sprachlich durch kurze Kapitel, die durchschnittlich vier bis fünf Seiten lang sind. Kurze Sätze und ein einfacher Satzbau erleichtern außerdem die Lesbarkeit des Textes. Zeitangaben zu Beginn jedes Kapitels geben Leserinnen und Lesern Orientierung. Auch die eingeschobenen Kommentare aus dem Chatverlauf der App ‚Guilty‘ machen den Text zugänglicher und stellen einen Lebensweltbezug zu unserem Kommunikationsverhalten dar. 


Guilty überzeugt durch die rasante Handlungsführung sowie einen reflektierten Protagonisten. Der Roman überzeugt durch eine Storyworld, in der eine Hemmschwelle zwischen Recht und Gerechtigkeit kaum noch vorhanden ist und in der vor allem Sozialen Medien eine enorme Macht zukommt. Leseanfänger*innen ab 14 Jahren verheißt der Thriller spannungsgeladenen Lesegenuss.

Als spannender Thriller lässt sich Guilty insbesondere in der privaten Leseförderung einsetzen. Durch den Fokus auf die actionreiche Verfolgungsjagd werden sich Lesende schnell in die Geschichte einfinden. 

Im schulischen Kontext bietet sich eine Auseinandersetzung mit der Macht von Social Media an, beispielsweise in Bezug auf Meinungsbildung. Auch wenn das im Thriller dargestellte politische System nur am Rande des Erzähltextes tiefergehend betrachtet wird, lässt sich dennoch u.a. über das direkt am Anfang des Buches angeführte Gesetz zur vorzeitigen Haftentlassung im Vergleich zum deutschen Strafrecht bzw. Rechtssystem diskutieren. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem politischen System ist im zweiten Band zu erwarten, der unter dem Titel Guilty – Dafür wirst du zahlen im November 2023 in deutscher Übersetzung erscheint. Darin wird man vermutlich auch noch mehr über die ‚Partisanen für mehr Gerechtigkeit‘ erfahren.