Buchcover Erin Entrada Kelly: Die Nelsons greifen nach den Sternen

Die Geschwister Bird, Cash und Fitch sind mit ihren Sorgen und Nöten mehr oder minder auf sich...

Rezensiert von Ina Brendel-Kepser

Wir schreiben das Jahr 1986, in dem das Challenger-Space- Shuttle in den Weltraum starten sollte und unerwartet in Flammen aufging – und zwar vor den Augen zahlreicher amerikanischer Schülerinnen und Schüler, die das Unglück per Satellitenübertragung in ihren Schulen mitverfolgten. Das Leben der drei Geschwister Fitch, Bird und Cash aus dem Roman Die Nelsons greifen zu den Sternen verändert sich durch dieses Ereignis ganz gewaltig.

BuchtitelDie Nelsons greifen nach den Sternen
AutorErin Entrada Kelly
GenreComing of Age
Gegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter12+
Umfang304 Seiten
Edition1. Auflage
Verlagdtv
ISBN978-3-423-64089-3
Preis14 €
Erscheinungsjahr2022

Die Geschwister Bird, Cash und Fitch sind mit ihren Sorgen und Nöten mehr oder minder auf sich gestellt, da in der Familie Nelson Thomas die elterliche Fürsorge für die Kinder eine Nebensache zu sein scheint.  Jedes der Geschwisterkinder kämpft mit ganz unterschiedlichen Problemen: Fitch steht sein unkontrolliertes Temperament im Weg, Cash droht das erneute Sitzenbleiben in der 7. Klasse, und die 12-jährige angepasste Bird versucht die Familie zusammenzuhalten. Als der in den USA mit großer öffentlicher Erwartung begleitete Start des Challenger-Space-Shuttles in eine tödliche Explosion mündet, verfolgen viele amerikanische Schüler*innen dieses Unglück über eine Fernsehsatellitenübertragung in ihren Schulen. Für Bird, die davon träumt, die erste Shuttle-Kommandantin der NASA zu werden, bricht eine Welt zusammen – wie gut, dass nun ihre Brüder am Start sind, um ihr beizustehen.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

„Familien sind komplizierte Maschinen“ (S. 34)… Kelly erzählt in diesem Roman die Geschichte einer solch komplizierten Familie aus der Perspektive der drei Geschwisterkinder: Fitch verbringt seine komplette Freizeit in der Spielhalle am Flipperautomaten, sein soziales Verhalten ist unkontrolliert und er lässt sich eines Tages dazu hinreißen, eine übergewichtige Mitschülerin öffentlich zu demütigen. Cash hat massive Schulprobleme und interessiert sich vor allem für Basketball, doch aufgrund seines schulischen Versagens scheinen alle Träume zu platzen und auch die von ihm angebetete Mitschülerin würdigt ihn keines Blickes. Bird ist angepasst, fleißig und in der Schule erfolgreich. Zudem bemüht sie sich immer wieder darum, das schwierige Räderwerk ihrer Familie am Laufen zu halten; doch wirklich wahrgenommen wird sie von keinem Familienmitglied. Birds Leidenschaft gilt der Raumfahrt, der Erforschung des Weltalls und sie will später Astronautin werden. Dazu passt, dass der bevorstehende Start des Challenger-Space-Shuttles in ein Schulprojekt mündet, in das sie ihre ganze Energie steckt – bis die Challenger am 28. Januar 1986 in Flammen aufgeht und Birds Vorbild, die Astronautin Judith Resnik, sowie alle anderen Crew-Mitglieder in den Tod reißt. Mit diesem tragischen Wendepunkt kommt es auch in der Familie Nelson Thomas zu einer Wendung, denn Cash und Fitch bemerken endlich, dass Bird nun ihre Hilfe braucht, und so werden die beiden Jungen aktiv, um ihre Schwester vor dem Absturz zu bewahren. Ein heiles Familienleben wird daraus noch nicht, aber ein Anfang ist gesetzt.

Die Handlung des Romans spielt im Zeitraum zwischen 1. Januar und 1. Februar 1986. Jedes Kapitel trägt ein Datum als Überschrift, was die chronologische Struktur sichtbar macht und überschaubare Textabschnitte zum Lesen anbietet. Zudem werden die wechselnden Perspektiven von Bird, Fitch und Cash als Zwischenüberschriften markiert; auch dies erleichtert das Leseverstehen und die leserseitige Übernahme des Perspektivenwechsels. Die Sorgen und Nöte der drei sehr unterschiedlichen Kinder sind authentisch und glaubhaft, und wenngleich die zeitliche Entrücktheit in die 1980er Jahre durchgehend aufscheint (es gibt kein Internet und keine entsprechenden Kommunikationsmittel), können auch heutige Leser*innen sich sicher gut in die drei Figuren einfühlen, deren jeweilige Probleme Adoleszenz-typisch und zeitlos sind. Die Handlungsspannung ergibt sich aus einzelnen Alltagsepisoden, ist jedoch insgesamt weitgehend psychologisch motiviert. Dass Jungen und Mädchen an diesem Buch Gefallen finden können, liegt nicht zuletzt an den drei angebotenen Erzählperspektiven, die sprachlich sehr zugänglich vermittelt werden. Auch wenn es Bird ist, die das Thema Raumfahrt interessiert, wird dieses genderübergreifend und anschaulich dargestellt, nicht zuletzt durch umfängliches Faktenwissen, das in die Geschichte einfließt. Anschaulich und verständnisunterstützend sind darüber hinaus die zahlreichen Illustrationen, denn Bird liebt es, Schemazeichnungen von Geräten und Maschinen zu produzieren. Diese technische Komponente dürfte auch das Interesse vieler Jungen ansprechen.

Ein insgesamt berührendes und zugleich beklemmendes Leseerlebnis und ein beeindruckender Roman über das Aufwachsen in einer komplizierten Umgebung mit einem Hoffnungsschimmer am Ende: ein Buch, das Mädchen und Jungen gleichermaßen ansprechen kann.   

Der Roman eignet sich als Leseempfehlung für die Freizeit, für freie Lesezeiten im Unterricht sowie als Klassenlektüre. Vor allem das Thema Weltraum und Raumfahrt bietet ein passendes Themenspektrum für ein fächerübergreifendes Projekt, zu dem insbesondere das Nachwort über das Unglück des Challenger-Space-Shuttles sowie den Lebenslauf von zwei Astronautinnen, darunter Judith Resnik, die bei dem Unglück ums Leben kam, anregt. Erweiternd dazu sollten andere Medien zum Thema (Sachbücher und Filme) einbezogen werden.

Wer dieses Buch mag, sollte auch Kellys Roman Vier Wünsche ans Universum (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis) kennen lernen.