Buchcover Helen Endemann: Todesstreifen

Berlin im Jahre 1985: 1400 km Grenzstreifen sind für Marc nicht bloß eine innerdeutsche Grenze und...

Rezension von Nicola König

Du kannst deinen Mund nicht halten, dich nicht kontrollieren und willst nicht dopen. Seit deiner Geburt ist die DDR dein Gefängnis und plötzlich steht sie vor dir, die Möglichkeit zur Flucht. Du kannst den Todesstreifen überwinden, wenn ein anderer dein Leben lebt. Deutsche Geschichte atemlos und spannend erzählt.

BuchtitelTodesstreifen
AutorHelen Endemann
GenreKrimi & Thrill
Gegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter12+
Umfang252
VerlagRowohlt
ISBN978-3-499-21841-5
Preis14,00

Berlin im Jahre 1985: 1400 km Grenzstreifen sind für Marc nicht bloß eine innerdeutsche Grenze und somit Daten eines Geschichtsbuchs – sie bestimmen sein Leben. Sie stehen für das System, das ihn jeden Tag neu einengt, ihn daran hindert, frei seine Meinung zu äußern und das ihn als Sportler nahelegt zu dopen. Und die Grenze trennt ihn von seiner Mutter, die er nie kennengelernt hat und die im Westen lebt.

Als er dann im Rahmen eines Sportwettkampf zusammen mit Westberliner Mannschaften einen Jungen entdeckt, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, fasst er gemeinsam mit seinen Freunden einen gefährlichen Plan. Sie zwingen den 15-jährigen Ben, mit Marc die Kleider zu tauschen und nehmen ihm seinen Ausweis ab. Während Marc es tatsächlich in den Westen schafft, glaubt niemand Ben seine wahre Identität und er landet in einem Umerziehungslager der DDR, in dem er die Schrecken deutscher Geschichte hautnah erlebt.

Doch auch Marc ist im Westen nicht erfolgreich; er findet seine Mutter nicht und er erfährt, dass Ben in der DDR gefangen gehalten wird. Eine spannende Befreiungsaktion beginnt, die offenbart, warum Ben und Marc einander zum Verwechseln ähnlich sehen: Sie sind Brüder, die die deutsche Geschichte getrennt hat.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden: bit.ly/339arGI

Für die meisten Jugendlichen, die heutztage aufwachsen, ist die DDR eine wenig vertraute Historie, von der häufig nur noch bauliche Überreste zeugen. Für viele Bürger der DDR aber war ihr Land nicht nur eine Heimat, sondern auch ein Gefängnis. Endemann nimmt die jugendlichen Leser*innen mit auf eine Reise in das Ostberlin von 1985: Persönliche Schicksale, Familiengeschichten und politische Ereignisse werden in „Todeststreifen“ zu einem Krimi verwoben. Dies erzeugt ein hohes Maß an Spannung, das die Leser*innen in ihren Bann zieht.

Aber auch die dominate Rolle des Sports und der Freundschaft erzeugen ein hohes Identifikationspotential. Dabei sorgen das Nebeneinander der Geschichten von Marc und Ben dafür, dass nicht die Wertung der jeweiligen gesellschaftlichen Entwürfe, sondern die Beschreibung und ein Verständis der unterschiedlichen Systeme im Vordergrund stehen. Gelungen ist in diesem Zusammenhang der Wechsel der Erzählperspektiven: Die Kapitel werden abwechselnd aus der Sicht von Ben und Marc erzählt. Auf diese Weise erhalten die Lesenden anschaulich Einblicke in das Leben im Westen und Osten Deutschlands in den 1980er Jahren. Da die beiden Protagonisten jeweils fremd in der Welt sind, in der sie sich zur Zeit aufhalten, schildern sie die Handlung aus der Perspektive des Außenstehenden und nehmen so die Lesenden mit in eine ihnen unbekannte Welt.

Dominierendes Lesemoment ist in dem Roman die Spannung, die durch die Flucht und Befreiung aus der DDR bis zum Ende des Romans anhält. Dass am Ende des Romans das Familiengeheimnis gelüftet wird und Marc und Ben als Brüder identifiziert werden, wirkt zwar etwas konstruiert, stört aber die Gesamtkonzeption des Romans nicht.

Dieser Roman spricht vor allem Leser*innen an, die an Sachthemen interessiert sind. Der explizite Bezug zur (inner)deutschen Geschichte, die anschaulich und vor allem durch die Perspektive des Außenstehenden voraussetzungslos erzählt wird, ermöglicht neben den kriminalistischen Elementen einen leichten Eintritt in die Handlung. Über die Bedeutsamkeit des Sports - der Wettkampf in Ostberlin stellt den Rahmen der Geschichte dar - wird zudem eine breite Leserschaft angesprochen. Damit ist der Roman sowohl für die häusliche als auch die schulische Lektüre geeignet. Titel und Titelbildgestaltung wecken zudem das Interesse der jugendlichen Leser*innen.

Für eine unterrichtliche Gestaltung bietet sich eine fächerübergreifende Kooperation mit dem Fach Geschichte an. Aber auch für das Fach Deutsch bietet der Roman zahlreiche Ansatzpunkte: So ermöglicht der Wechsel der Erzählperspektive nicht nur literarisches Lernen, sondern auch verschiedene Identifikationsmöglichkeiten und Ansätze zur Differenzierung. Denkbar ist zudem eine ergänzende Lektüre zu T. Brussigs Roman Am kürzeren Ende der Sonnenallee.