Buchcover Sabine Engel: Bühne frei für Ben!

Auf der Brüder-Grimm-Schule finden jedes Jahr „Märchentage“ statt, und Bens Klasse 4b soll in diesem...

Rezension von Christine Garbe

Der Viertklässler Ben kriegt die Krise: Bei der alljährlichen Märchenaufführung seiner Schule soll er den rettenden Märchenprinzen spielen, in Glitzer-Leggins auftreten und am Ende sogar die nervigeMitschülerin Melissa alias Schneewittchen küssen. Ausgerechnet er, ein großer Star Wars Fan! Ein Plan muss her, denn Ben wird sich auf keinen Fall gefallen lassen, dass nur die Mädchen die Regie übernehmen… Das Buch ist witzig, pfiffig und kurzweilig erzählt, mit 71 Seiten kurz, in einfacher Sprache verfasst und hat am Schluss eine überraschende Pointe – bester Lesestoff für Leseanfänger*innen wie Fortgeschrittene. 

BuchtitelBühne frei für Ben!
AutorSabine Engel
GenreHumor & Komik
Lesealter8+
Umfang71 Seiten
VerlagGulliver (Beltz)
ISBN978-3-407-75479-0
Preis9,95 €

Auf der Brüder-Grimm-Schule finden jedes Jahr „Märchentage“ statt, und Bens Klasse 4b soll in diesem Jahr ein Märchen als Theaterstück aufführen. Ben schlägt „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ aus ‚Star Wars‘ vor. Er sieht sich schon in der Rolle seines Idols Kylo Ren mit coolem Laserschwert, aber da hat er die Rechnung ohne die Lehrerin und die Mitschülerinnen gemacht: „Schneewittchen“ soll aufgeführt werden, und ausgerechnet Ben soll den Prinzen spielen und das vergiftete Schneewittchen am Ende durch einen Kuss erlösen. Zu allem Überfluss wollen die Mädchen das Märchen im Sinne der Frauenemanzipation modernisieren und Ben in ein lächerliches Glitzerkostüm stecken – wie kann er diese Schmach bloß abwenden? Gemeinsam mit seinem besten Freund Anton ersinnt er verschiedene Auswege. Doch nichts funktioniert: Lehrerin, Eltern, Mitschülerinnen – alle scheinen sich gegen ihn verschworen zu haben. Der Tag der Aufführung kommt und mit ihm eine überraschende Wende, die hier nicht verraten werden soll, aber unserem Protagonisten einen unerwarteten Triumph beschert.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden. 

Die humorvolle Schulgeschichte Bühne frei für Ben wird in der Ich-Form aus der Perspektive des Viertklässlers Ben erzählt, der für junge Leser ein hohes Identifikationspotential bietet. Er ist – zusammen mit seinem Freund Anton – ein glühender Star-Wars-Fan, der besonders für den „Handlanger des Bösen“ und „größten Schurken aller Zeiten“ (S. 7) Kylo Ren schwärmt und sein eigenes Problem in seinen Helden hineinprojiziert: Kylo sei gar nicht wirklich böse, sondern nur überfordert durch die hohen Erwartungen seines Vaters und der ganzen Galaxis, dass er dazu ausersehen sei, das Böse für immer zu besiegen. Ganz so hohe Erwartungen hat Bens Vater zwar nicht an ihn, aber auch Ben fühlt sich von den Mathe-Ambitionen des Vaters unter Druck gesetzt. Doch seine größte Angst ist sich in seiner (männlichen) peer group für alle Zeiten zu blamieren, wenn er die ihm von der Lehrerin zugedachte Rolle des Märchenprinzen spielt, der mit einem Kuss seine schmachtende Mitschülerin Melissa (als Schneewittchen) wieder zum Leben erwecken soll. Und das auch noch in einem lächerlichen Kostüm aus Glitzerleggins und himmelblauem Duschvorhang! 

Die Geschichte ist nicht nur witzig und kurzweilig erzählt, sondern wirft auch einen entlarvenden Blick auf die Geschlechterstereotypen, die die Konflikte im Klassenzimmer in diesem Alter prägen: Die immer stärker werdenden Mädchengruppen – hier auch noch unterstützt durch die Deutschlehrerin – werden aus der Sicht der „untergebutterten“ Jungen anschaulich und humorvoll beschrieben, ohne dass dabei ein moralischer Zeigefinger im Spiel wäre. Der „Befreiungsschlag“ am Ende, der die Star-Wars-Referenz augenzwinkernd wieder aufnimmt, rehabilitiert die drangsalierten Jungen und erfüllt auch den Vater unseres Protagonisten mit Stolz – sicher ein Grund mehr dafür, dass sich Jungen mit dieser Geschichte werden identifizieren können. 

Von Anfang an überzeugt die Geschichte durch die Konzentration auf eine Handlung mit klarem Spannungsbogen, der durch die knappe Erzählung trägt: Wird es dem ‚Antihelden‘ Ben gelingen, sich nicht als glitzernder und die schmachtende Mitschülerin küssender Märchenprinz in seiner peer group lächerlich zu machen? Die verschiedenen Drückeberger-Strategien, die er (teilweise zusammen mit seinem Freund Anton) dazu ersinnt, scheitern immer wieder, so dass man ihn bereits in der ‚looser-Rolle‘ sieht, bis es zu einer überraschenden (von Anton eingefädelten) Wende kommt. Bens und Antons – logischerweise subjektiv-parteiliche – Sicht auf die Mädchen und die Lehrerin bieten dabei guten Gesprächsstoff, um sich über die typischen Geschlechterkonflikte in diesem Alter im Unterricht oder innerhalb der peer group zu verständigen. Die Geschichte ist im Sprachstil, im Vokabular und in der Syntax der Zielgruppe von Leseanfänger*innen und Wenigleser*innen der Reihe „Super lesbar“ angemessen: mit einem Lesbarkeitsindex (LIX) von 25 und im Durchschnitt recht kurzen Sätzen von 8 bis 9 Worten pro Satz weist sie eine geringe sprachliche Komplexität auf, ohne dabei auf Lebendigkeit und Witz in den Dialogen und Beschreibungen zu verzichten. Die große Schrift mit Flattersatz und großem Zeilenabstand sowie die Gliederung in acht kurze Kapitel tragen darüber hinaus zur leichten Lesbarkeit des Buches bei.

Die durchgängigen Referenzen auf Bens Idol Kylo Ren – eine ambivalente Figur, die im Star Wars-Epos aus dem Reich der Guten ins Reich der Bösen (und zurück) wechselt – verleihen der Erzählung zudem eine zweite ironische Ebene, über die auch Erwachsene schmunzeln können. 

Weniger gelungen sind leider das Cover und die Illustrationen: Sie wirken kindlich-naiv und viel zu harmlos; es ist zu befürchten, dass das violett-gelb-schwarze Cover wenige Jungen dazu motivieren wird, zu diesem Buch zu greifen, was wirklich schade ist. Dem Buch wäre zu wünschen, dass es mit anderen Illustrationen und einem „coolen“ Cover in einer Neuauflage erscheint. 

Bühne frei für Ben ist auf Grund seiner erzählerischen und sprachlichen Einfachheit sehr gut für die private Lektüre (auch von Leseanfänger*innen und Wenigleser*innen) sowie für offene Formate der Leseförderung wie Vielleseverfahren und Verfahren der Leseanimation geeignet. Das Buch lässt sich gut vorstellen in einer Klassenzimmer- bzw. Schulbibliothek oder Lesekiste, die gendersensiblen und nach Schwierigkeiten differenzierten Lesestoff für alle Schülerinnen und Schüler enthält. Es ist sicher auch geeignet für eine Buchvorstellung durch einen Schüler oder ein Schüler-Tandem (z.B. im Format der Leserolle o.a., siehe: www.boysandbooks.de/lesefoerderung/schule/leseanimation/) oder für die individuelle Auseinandersetzung mit dem Buch durch die Gestaltung eines Lesetagebuches.

Als Klassenlektüre eignet sich das Buch eher weniger, da es sehr parteilich aus der Sicht des männlichen Protagonisten erzählt ist. Denkbar wäre allerdings, es im Kontext eines Unterrichtsprojektes zur „Genderkompetenz“ der SuS einzusetzen (vgl. Müller, Decker, Krah & Schilcher 2016), wo es mit einem Paralleltext aus Mädchensicht kombiniert werden könnte: In gender-homogenen Mädchen- und Jungengruppen könnte jeweils zunächst das Buch aus der eigenen Perspektive erarbeitet und in einem zweiten Schritt im Klassenverband gegenseitig vorgestellt und diskutiert werden. Dabei käme es darauf an, männliche und weibliche Geschlechterklischees, die in diesem Alter oft besonders ausgeprägt sind (vgl. Garbe in Garbe, Gürth, Hoydis, Münschke, Seidler & Woiwod 2018), einer Analyse und Reflexion zugänglich zu machen.

Im Kontext eines Unterrichtsprojektes wäre es aber auch möglich, in „philologisches Arbeiten“ einzuführen, indem die intertextuellen Referenzen der vorliegenden Erzählung erarbeitet werden. So könnte man das Originalmärchen „Schneewittchen“ der Brüder Grimm lesen bzw. in verschiedenen medialen Varianten (als Bilderbuch, Hörspiel, Trickfilm von Walt Disney und späteren Verfilmungen etc.) miteinander vergleichen, was genügend Stoff für eine interessante intermediale Auseinandersetzung mit literarischen Gegenständen bietet. Im Rückbezug auf die Erzählung von Sabine Engel würde man erkennen, dass die hier vorgestellte Variante – Schneewittchen wird durch den Kuss des Prinzen erlöst – gar nicht der Originalversion entspricht, sondern dem Märchen „Dornröschen“ entlehnt ist. Ferner wäre es im Rahmen einer „philologischen Vertiefung“ auch denkbar, eine Auseinandersetzung mit dem neunteiligen Filmepos Star Wars mit einzubeziehen, indem man einen der Filme (etwa den hier erwähnten „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“) gemeinsam im Unterricht anschaut, eine Expertengruppe von Star-Wars-Fans auf vertiefende Hintergrund-Informationen ansetzt und anschließend gemeinsam die Bezüge auf Kylo Ren in Sabine Engels Erzählung genauer untersucht und in ihren Bedeutungsnuancen erarbeitet; auch das ergäbe sicherlich ein spannendes Unterrichtsprojekt, sofern unter den SuS Star-Wars-Fans vorhanden sind.