Buchcover Louis Jensen: 33 Cent um ein Leben zu retten

„Warum jeden Tag in die Schule kommen, wenn jeder zweite auch reicht? Warum 30 Hemden haben, wenn 15...

Rezension von Sandra Thompson

„Warum jeden Tag in die Schule kommen, wenn jeder zweite auch reicht? Warum 30 Hemden haben, wenn 15 auch reichen? Warum haben einige zu viel, während andere nicht einmal genug zum Überleben haben?“ Diese Fragen bewegen den namenlosen Ich-Erzähler, als er in der Schule von seinem Klassenlehrer Herr Olsen erfährt, dass 33 Cent genug sind, um einem Kind in Afrika einen Tag lang das Überleben zu sichern. Er beschließt, nur noch jeden zweiten Tag in die Schule zu gehen, um an den freien Tagen im Supermarkt zu jobben und Spenden zu sammeln. Mehr und mehr von dieser Idee fasziniert und vereinnahmt, gründet er schließlich die „Kasse-der-hungrigen-Kinder“ (KHK).

Buchtitel33 Cent um ein Leben zu retten
AutorLouis Jensen
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter14+
Umfang155 Seiten
Edition2013
VerlagCarl Hanser Verlag
ISBN978-3-446-24177-0
Preis12,90 €

„Warum jeden Tag in die Schule kommen, wenn jeder zweite auch reicht? Warum 30 Hemden haben, wenn 15 auch reichen? Warum haben einige zu viel, während andere nicht einmal genug zum Überleben haben?“ Diese Fragen bewegen den namenlosen Ich-Erzähler, als er in der Schule von seinem Klassenlehrer Herr Olsen erfährt, dass 33 Cent genug sind, um einem Kind in Afrika einen Tag lang das Überleben zu sichern.

Er beschließt, nur noch jeden zweiten Tag in die Schule zu gehen, um an den freien Tagen im Supermarkt zu jobben und Spenden zu sammeln. Mehr und mehr von dieser Idee fasziniert und vereinnahmt, gründet er schließlich die „Kasse-der-hungrigen-Kinder“ (KHK) und beginnt, Diebstähle zu begehen. So stiehlt er beispielsweise Kleidung bei großen Geschäften und verkauft sie dann weiter oder nimmt Geld von den Konten seines Vaters.

Dadurch hat er mit der Zeit immer mehr Geld zur Verfügung, aber für den Ich-Erzähler ist es noch lange nicht genug, denn er will immer mehr für die Kinder in Afrika. Dieser Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, Leben zu retten, nehmen im Verlauf der Geschichte überhand und gleichen beinahe einer Sucht. Anne, die Freundin des Erzählers, ist die einzige, die zu ihm hält. Und so kommt es, dass er eines Tages einen Kühllaster voller Lebensmittel aus dem Supermarkt stiehlt, in dem er arbeitet, und mit Anne nach Afrika zu den hungrigen Kindern aufbricht.

»Schon möglich«, sagte Herr Olsen. »Aber du darfst nicht fehlen. Nur wenn du krank bist. Bist du krank?«
»Nicht krank«, sagte ich. »Nicht ich bin krank.«
»Wer ist dann krank?«
»Ziemlich viele«, sagt ich. »Sehr viele sind krank.«
»Aber du nicht.«
»Gesund und munter.«
»Warum also?«, fragte er Olsen noch einmal.
»Weil einige«, sagte ich, »ziemlich krank sind, so krank, dass sie daran sterben. Nicht einmal den zweiten Schritt dürfen sie tun, ehe sie sterben.«
»Deshalb kommst du nicht?«
So war`s. Ich musste den Kranken helfen. Herr Olsen selbst hatte mir das beigebracht. Er hatte viel von denen gesprochen, die starben. Die nicht genug zu essen hatten. Nicht die ganze Zeit, aber oft. Die brauchten Hilfe.
Herr Olsen hatte Broschüren ausgeteilt. Afrika. Kinder. Hunger. Diarrhö. Es sah nicht gut aus. Große Köpfe. Fliegen in der Nase und einprägsame Zahlen: 33 Cent. Ich ging zum Schrank und zog eine Schublade auf. Dort lagen die Broschüren. Ich nahm eine, ging zu Herrn Olsen und deutete darauf. Dort stand es schwarz auf weiß: Für 33 Cent kann man einem Kind Essen für einen ganzen Tag kaufen, für morgens, mittags und abends. Für 33 Euro kann man ein unterernährtes Kind vorm Verhungern retten.
Und dort stand, wie viele jedes Jahr sterben. Nicht eins, nicht hundert, nicht tausend, sonder hunderttausend. Jeden Tag, jede Stunde!
»Denen muss ich helfen.«
»Du musst zur Schule gehen«, sagte Herr Olsen.
»Ziviler Ungehorsam«, sagte ich. Herr Olsen selbst hatte der Klasse erklärt, in manchen Fällen sei es in Ordnung, gegen das Gesetz zu verstoßen, etwas Verbotenes zu tun, was man eigentlich nicht darf. Dann, wenn sonst jemand sterben würde und wenn man nur helfen könnte, indem man gegen das Gesetz verstößt. Dann was das nicht verkehrt.
»Ziviler Ungehorsam«, wiederholte ich.
Herr Olsen und ich redeten mehrfach darüber, immer wieder, aber ich blieb dabei, dass ich helfen müsse und deshalb nicht jeden Tag zu Schule gehen könne.

Der Titel des Romans erfasst die Gedankengänge und Handlungsanstöße, die den Ich-Erzähler treiben und leiten nur zu gut. Als der 14-jährige namenlose Protagonist von seinem Klassenlehrer erfährt, dass man mit 33 Cent pro Tag das Leben eines afrikanischen Kindes retten kann, verändert sich sein Leben mit einem Schlag. Getrieben von dem Wunsch nach Gerechtigkeit und einer besseren, lebenswerteren Welt, beschließt er zu helfen und geht fortan nur noch jeden zweiten Tag zur Schule. Die anderen Tage widmet er sich den Kindern aus Afrika und jobbt im Supermarkt oder sammelt Spenden. Dieser auffallende Gerechtigkeitssinn entwickelt sich im Laufe des Romans zu einem Gerechtigkeitsfanatismus, der den kompletten Alltag des Ich-Erzählers vereinnahmt. Er beginnt, aus großen Kaufhäusern und von dem Konto seines Vaters zu stehlen. Dieses moralisch verwerfliche Handeln bringt den Jungen in einen zentralen Konflikt. So weiß er auf der einen Seite sehr wohl, dass sein Tun falsch und verboten ist und wird von seinem Gewissen und von Schuldgefühlen geplagt. Diese Gewissensbisse werden nicht zuletzt von seinem Vater, einem Richter, und dessen extrem ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht und auch durch das siebte Gebot, "Du sollst nicht stehlen", verstärkt. Auf der anderen Seite versucht er, sich gegen die bestehenden, sozialen Normen aufzulehnen und seine Vorgehensweise zu rechtfertigen. Dabei bezieht er sich immer wieder auf die Geschichte von Robin Hood und macht diesen zum Vorbild für seinen Lebensentwurf. Der innere Konflikt und die daraus resultierende Angst und Herausforderung, nicht entdeckt zu werden, ergreift auch den Leser und trägt zum Spannungsaufbau bei. Entsprechend groß ist schließlich die Ernüchterung und Enttäuschung, als der Ausflug nach Afrika mehr oder weniger in einer Katastrophe endet und der Kampf des Ich-Erzählers somit sinnlos erscheint.

Neben den Kindern in Afrika spielt seine Freundin Anne noch eine wichtige Rolle im Leben des Ich- Erzählers. Mit ihr erlebt er zum ersten Mal eine Liebesbeziehung und im Laufe des Romans wird Anne zu seiner engsten Vertrauten und zu einer Art Helferfigur, die ihn schließlich auf seiner Reise begleitet. Außer Anne hat der Protagonist kaum Bezugspersonen. Seine Mutter, eine Lehrerin, und sein Vater, ein Richter, spielen eine untergeordnete Rolle, wobei er oft dazu neigt, das überkorrekte und disziplinierte Verhalten seines Vaters zu hinterfragen und zu kritisieren. Die Tatsache, dass er seine Eltern nie beim Namen nennt oder gar mit Mama und Papa anredet, drückt sein distanziertes Verhalten zu ihnen aus.

Im Verlauf der Handlung entsteht immer mehr der Eindruck, dass der Ich-Erzähler sich in einer Idee und Vision verrennt, die ihn vom Alltagsgeschehen isoliert. Selbst in der Schule wird er schon belächelt, als er beispielsweise im Mathematikunterricht nur an die afrikanischen Kinder denken kann und sie zum Gegenstand einer Rechnung macht.

Die unzähligen, kurzen Kapitel schildern chronologisch die Entwicklung des Erzählers, vom ersten Aufkommen seiner Idee über die Durchführung bis hin zur Katastrophe am Ende des Romans. Der Erzähler berichtet dabei rückblickend, was gleich zu Beginn des ersten Kapitels verdeutlicht wird.  Der Leser wird bereits durch die ersten Zeilen angesprochen. Die Handlung hat einem überzeugenden Spannungsbogen, der den Leser mitfiebern und hoffen lässt, dass der Protagonist unentdeckt bleibt und sein Handeln Erfolg haben wird. 

Erzählt wird die Geschichte konsequent aus der Perspektive des namenlosen Ich-Erzählers, wobei seine Gedankengänge immer wieder von direkter Rede unterbrochen werden. Durch diese Erzählperspektive kann der Leser sich sehr gut mit ihm identifizieren und eine Art Betroffenheit entwickeln. Zudem sind einige intertextuelle Bezüge erkennbar, die beispielsweise auf die Bibel oder auf die Erzählung von Robin Hood verweisen.


Jensen verwendet eine sehr schlichte und einfach Sprache, die sich in kurzen und knappen Sätzen ausdrückt. Allerdings wird die Syntax auch des öfteren von sprunghaften Gedanken- und Themenwechseln durchzogen.

Fazit: Die Auseinandersetzung mit der Frage nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in unserer Welt sowie die erste Liebesbeziehung zu einem Mädchen gehören zum Erwachsenwerden dazu und sind auch für männliche Leser ein interessantes Thema. Die Geschichte über den Kampf des Ich-Erzählers, bei dem er sich letztendlich selbst verliert, verschafft geübten Lesern ein nachhaltiges Leseerlebnis.

„33 Cent um ein Leben zu retten“ wurde mit etlichen Preisen wie beispielsweise dem "Nordic Childrens Book Prize" und dem "Buchpreis der Leser 2011" ausgezeichnet.

Das hochaktuelle Thema um Recht und Unrecht auf der Welt bietet einen anspruchsvollen Lesestoff, der als Klassenlektüre sehr gut geeignet erscheint, da die Thematik sich auch fächerübergreifend behandeln lässt.

Hinweise auf den Medienverbund: L. Jensen: 33 Cent um ein Leben zu retten. Gelesen von Dominik Freiberger. Ungekürzte Lesung. Igel- Records 2013.