Rezensiert von Felix Grießhammer
In einer mittelalterlichen Welt lebt der junge Milan am Rande eines düsteren Moores. Dort wird der Torf gewonnen, um die Magie der Alchimisten entfachen zu können. Irrlichter, menschenfressende Tiere und das totbringende Wasser selbst: Das Leben am Moor wäre bereits gefährlich genug, doch wütet dort auch noch der sagenumwobene, hungrige Nachtwyrm, der letzte Drache seiner Art. Als Milans Schwester von diesem zerfleischt wird, beginnt für Milan eine Suche nach Antworten.
Buchtitel | Moorläufer – Im Reich des letzten Drachen |
Autor | Boris Koch |
Genre | Fantasy |
Lesealter | 14+ |
Umfang | 392 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | Knaur |
ISBN | 978-3-426-52910-2 |
Preis | 16,99 Euro |
Erscheinungsjahr | 2023 |
Milan lebt in einem Dorf am Rande eines gefährlichen Moores, in dem Irrlichter und der Drache Nachtwyrm ihr Unwesen treiben. Um die Magie der Alchimisten entfachen zu können, wird im Dorf Torf gewonnen. Beim Torfstechen im Moor finden sich ab und an wertvolle Moordiamanten, die jedoch der Fürstin gehören. Zu Beginn der Geschichte findet Milans Schwester einen Diamanten und flieht damit ins Moor, wo sie vom Nachtwyrm ermordet wird. Das Dorf bestraft die Familie daraufhin mit Ausgrenzung. Milan wird zum Außenseiter und streift Monate allein durchs Moor und schnitzt kleine Holzfiguren des Nachtwyrms. Doch bald darauf bekommt Milan endlich eine Möglichkeit, sich das Ansehen im Dorf zurückzuerobern: Er muss die Aufnahmeprüfung der Torfstecher bestehen und sich dafür für eine Nacht den Gefahren des Moors stellen. Tatsächlich schafft er es nicht nur, die Prüfung zu bestehen, sondern fängt sogar ein begehrtes Irrlicht, was er auf Anraten von Kyra, einem Mädchen aus dem Dorf, nicht an die Fürstin, sondern an den Alchimisten verkauft. Obwohl er nun offiziell ein Torfstecher ist, bleibt er in der Rolle des Außenseiters verhaftet. Deshalb entscheidet er sich dafür, beim Alchimisten in Lehre zu gehen. Der Meister benötigt Milan zur Herstellung von realistischen Holzfiguren, da er mithilfe der Seelen von eingefangenen Irrlichtern seine tote Frau zum Leben erwecken will. Mit der Zeit erkennt Milan die Wahrheit des Moores: Der Nachtwyrm ist kein echter Drache, sondern eine Figur, die von früheren Alchimisten mit Irrlichtern am Leben gehalten wurde. Die Kraft des Zaubers schwindet jedoch, weshalb der Drache immer unkontrollierter und gefährlicher für das angrenzende Dorf wird. Milan entscheidet, sich dem Nachtwyrm entgegenzustellen und kann diesen letztlich besiegen. Die Fürstin verweigert ihm eine Rückkehr ins Dorf, woraufhin er mit Kyra flieht.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Für Lesende begeben sich auf eine Reise in die fantastische Alterität eines Fantasyromans, der mit düsterer Stimmung fasziniert: Moorläufer – Im Reich des letzten Drachen ist für junge Lesende, die in ihrer Vergangenheit zwar Leseerfahrung gesammelt, jedoch durch den Leseknick ihre Lesemotivation verloren haben. Der Roman eignet sich aufgrund seiner Einfachheit, seiner interessanten Aufmachung und der spannenden Erzählwelt hervorragend für die private Lektüre. Bereits das Buchcover ist sehr passend gestaltet: In der Mitte blickt das knöcherne Gesicht des Nachtwyrms dem Lesenden entgegen. Seine Erscheinung charakterisiert den Drachen gleich als furchteinflößende Bestie. Im unteren Bereich prangert der Titel des Romans, der sich von einem düsteren Moor abhebt. Das mystisch gestaltete Buchcover sorgt mit seinem kontrastreichen Farbspiel für einen Blickfang, der das Interesse der Lesenden weckt und einen ersten Vorgeschmack auf die erzählte Welt vermittelt.
Bereits die ersten Seiten ziehen Lesende in den Bann einer Welt, die sowohl durch Bezüge auf historisch-gesellschaftliche Strukturen als auch durch fantastische Elemente überzeugen kann. Das Setting erinnert an eine mittelalterliche Feudalgesellschaft, die sich in eine Adelsschicht, eine geistige Schicht (hier: Alchimisten) und eine Arbeiterschicht unterteilt; wobei in der Geschichte weniger Bauern, sondern vielmehr Torfstecher den dritten Stand bilden. Insbesondere an historischen Themen interessierte Leser, finden hier eine ihnen aus dem Geschichtsunterricht vertraute Gesellschaftsstruktur vor, an der sie sich orientieren können. Der Stand der Torfstecher ist streng hierarchisch organisiert, die eigene Ehre steht häufig über vernunftorientierten Entscheidungen. Dadurch wirken die Abläufe im Dorf anfangs vielleicht noch befremdlich, mit dem Fortgang der Geschichte jedoch zunehmend interessant, kontrovers und anziehend. Doch nicht allein die realistischen Elemente bereichern die erzählte Welt in Boris Kochs Roman, sondern ganz gewiss auch die fantastischen Elemente: z.B. das sagenumwobene Moor, der geheimnisvolle Nachtwyrm oder der mysteriöse Alchimistenturm. Als erzähltechnische Stärke des literarischen Textes ist hervorzuheben, dass dieser durch einfache Beschreibungen und eine klare Sprache die Fantasie des Lesenden anzuregen weiß. Vor allem in der ersten Hälfte des Romans wird man so in diese magische, fantastische Welt gezogen.
Es sollte erwähnt sein, dass Boris Kochs Bemühen, eine raue, mittelalterliche Feudalgesellschaft abzubilden, dazu führt, dass manche Figuren(handlungen) problematisch erscheinen können:
Nichtsdestotrotz erzeugt der Autor durch eine interessant gestaltete Figurenkonstellation Neugierde. Die Fehler von Milans Schwester führen dazu, dass er als Hauptfigur aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt und zum Einzelgänger, dem Moorläufer, wird. Das Figurentableau innerhalb des Dorfes ist leicht nachzuvollziehen und überschaubar. Interessant für den Lesenden ist hierbei immer wieder die Konfrontation zwischen Milan und dem Rest der Gemeinschaft. Häufig stellt er sich Fragen, wie er seine verlorene Ehre wiederherstellen und wie er sich in der Gesellschaft integrieren kann. Im Romanverlauf wird Milan somit immer wieder mit den Erwartungen und Schuldzuweisungen der Dorfgemeinschaft konfrontiert. Die verhandelten Themen Schuld, Ausgrenzung und Zugehörigkeit erzeugen beim Lesenden das Bedürfnis, auf allgemeinerer Ebene über derartige Wirkungsmechanismen zwischen Individuum und Gesellschaft nachzudenken. Doch nicht nur der Gegensatz zwischen Milan und seinem Dorf macht den Roman thematisch lesenswert. Milan selbst ist eine durchweg sympathische, freundliche und passende Hauptfigur, die zur Identifikation einlädt. Als Lesender begleitet man ihn auf seinen Wanderungen durch das Moor, seiner Auseinandersetzung mit dem Dorf, der Annäherung an das Mädchen, in welches er sich verliebt, sowie seiner Ausbildung beim Alchimisten. Dabei ist es immer wieder spannend, seinen Gedanken zu folgen, sein Handeln in Interaktion mit anderen nachzuvollziehen und seine selbstreflexiven Gedanken zur eigenen Schuld zu hinterfragen.
Deshalb rückt die Handlung für den Lesenden zunächst in den Hintergrund. In der ersten Hälfte des Romans entschleunigt der Autor Boris Koch die Erzählung, indem er sich Zeit nimmt, die einzelnen Aspekte der fantastischen Welt vorzustellen. Facettenreich schildert er zunächst die Stimmung nach dem Tod von Milans Schwester, den Konflikt zwischen ihm, seinen Eltern und dem Dorf sowie seine Einsamkeit während den Moorwanderungen. Erst in der zweiten Hälfte beschleunigt sich das Erzähltempo, die Handlungsabfolge wird spannender, sodass die Geschichte in einem gelungenen, logisch nachvollziehbaren und interessanten Höhepunkt gipfelt.
Letztlich ist Moorläufer – Im Reich des letzten Drachen ein Roman, der sich für eine Zielgruppe besonders gut eignet: Junge Lesende, die prinzipiell bereits Leseerfahrungen gesammelt haben, aber sich aufgrund ihrer Entwicklung nicht mehr so sehr mit dem Lesen identifizieren können. Für Jugendliche, die bereits früher begeistert Klassiker wie Eragon oder Percy Jackson gelesen haben, ist Moorläufer ein toller Roman, da er erwachsener wirkt als andere Fantasyromane. Die angesprochenen Themen bieten die Möglichkeit, nicht nur Fantasy zu genießen, sondern über ernsthafte Themen – auch mit Bezug zum eigenen Leben – nachzudenken. Die Auseinandersetzung mit Moorläufer dient somit als geeignete Wiedereinstiegslektüre und Vorarbeit für die Rezeption von Literatur, die einen erwachsenen Adressat*innenkreis anspricht.
Der Roman ist als private Lektüre für Jugendliche ab 14 vollends zu empfehlen. Vor allem Jungen, die gerne Fantasy gelesen haben, aber keine neuen Stoffe mehr finden, werden am Roman Freude haben, da die einzelnen Kapitel kurz sind und sich somit schnell ein Lesefortschritt bzw. Leseerfolg einstellt. Die Figuren handeln vertraut, die erzählte Welt ist interessant und erzeugt dadurch einen Sog, sodass das Ende des Romans zügig erreicht ist.
Im schulischen Kontext bietet sich der Roman als Klassenlektüre zwar für leseschwache Klassen an, jedoch ist er derzeit nur für 16,99 Euro verfügbar.
Über den Einsatz als Klassenlektüre hinaus eignet sich das Buch auf jeden Fall als freie Lektüre im schulischen Kontext. Der Roman sollte in der örtlichen Schulbücherei nicht fehlen. Ist der Roman in den Bestand der Schulbücherei aufgenommen, so kann er auch bei einem leseanimierenden Verfahren (beispielsweise einem Book-Slam oder der Erstellung eines Buchtrailers) eingesetzt zu werden.