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Gamebooks: Spiele-Bücher, Escape-/Exit-Bücher

Autor*in: Dr. Ines Heiser

Was sind eigentlich Escape-/Exit-Bücher bzw. Gamebooks?

Im Zuge der aktuellen Begeisterung für Escaperoom-Abenteuer – einem Gesellschaftsspiel, bei denen eine Gruppe Spieler*innen durch das Lösen von Rätseln den Ausweg aus einem verschlossenen Raum finden muss – hat begleitend ein ergänzendes Merchandising-Segment von Escape-Brettspielen und auch Escape-/bzw. Exit-Büchern an Popularität gewonnen.

Diese Bücher zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht chronologisch durchgelesen werden sollen: Der/die Leser*in verfolgt eine Geschichte bis hin zu bestimmten Knotenpunkten, an denen entweder ein Rätsel gelöst werden muss, um herauszufinden, auf welcher Seite es weitergeht, oder wo er bzw. sie eine Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsoptionen für den/die Protagonist*innen trifft und abhängig davon dem Verweis auf unterschiedliche Folgeseiten nachgehen kann. 

Das Genre an sich ist nicht neu: Eine erste Welle solcher Gamebooks, damals im deutschen Sprachraum häufig auch noch „Spielebücher“ genannt, entstand ab den ausgehenden 1970er Jahren in der USA (vgl. Heiser 2020, 229f.). Als Erfinder kann Edward Packard gelten, der die Idee zur stilbildenden Reihe Choose Your Own Adventure Books entwickelte, die er seit 1980 gemeinsam mit seinem ersten Verleger Raymond Montgomery schrieb und publizierte (vgl. Hendrix 2011). Der Hintergrund dürfte darin zu sehen sein, dass das damalige Aufkommen erster narrativer Computerspiele die Frage nach interaktiven Möglichkeiten in verschiedenen narrativen Medien neu aufwarf und insofern auch im Printmedium verschiedene Möglichkeiten der Interaktion zwischen Text und Leser*innen neu ausgelotet wurden (vgl. Montford 2005 und Heiser 2020, 232f.).

Varianten

Demian Katz, der eine Datenbank zu v.a. englischsprachigen Gamebooks betreibt, unterscheidet zwischen drei Gamebook-Kategorien (vgl. Katz 2022, FAQs 1.1). Als älteste nennt er das Auswahl-Gamebook (branching-plot novel), wie es von Packard/Montgomery etabliert wurde. Bei dieser klassischen Variante besteht das interaktive Engagement der Leser*innen darin, verschiedene Entscheidungen in Bezug auf den weiteren Verlauf der Handlung zu treffen. Damit die Konsequenzen der Auswahlentscheidung nicht direkt offensichtlich sind, sind die einzelnen Handlungsabschnitte in zufälliger Reihenfolge in den Büchern angeordnet und können nur über Verweise angesteuert werden. Abgesehen davon lesen sich entsprechende Bücher „like a regular novel“ (Katz, ebd.), sie enthalten aber parallel zueinander mehrere alternative Handlungswege, so dass bei wiederholter Lektüre verschiedene Handlungszweige rezipiert werden können.

Als zweiten Typus beschreibt Katz Gamebooks, die als Bestandteil von Pen und Paper-Rollenspielen angeboten werden, um als Ein-Personen-Adventure (role-playing game solitaire adventure) Spieler*innen die Möglichkeit zu bieten, auch ohne Gruppe bzw. ohne Spielleiter*in zu spielen. Dieser Typus lässt sich nur dann lesen bzw. spielen, wenn der/die Akteur*in über Zusatzinformationen und -materialien verfügt, die das Regelwerk der betreffenden Spielwelt erklären.

Der dritte Typus entscheidet sich von der zweiten Kategorie dadurch, dass hier innerhalb der Buchserie ein eigenes Regelwerk entwickelt wird, das auch in den jeweiligen Bänden enthalten ist. Diese Gamebooks entwerfen damit eigene, unabhängige Spielwelten, für das Spiel bzw. die Lektüre sind keine Zusatzmaterialien erforderlich. Dieses Konzept wurde Katz zufolge erstmals in der sehr erfolgreichen Fighting Fantasy-Serie von Steve Jackson/Ian Livingstone umgesetzt. Handlungswege werden hier nicht ausschließlich über Auswahlentscheidungen der Lesenden bzw. Spielenden festgelegt, sondern zusätzlich durch weitere Spielregeln bestimmt. So können etwa Ausrüstungsgegenstände erworben werden, die den Spielverlauf beeinflussen oder der Fortgang der Handlung wird durch Zufallstabellen, Würfelergebnisse o.ä. entschieden.

Der Status von Rätselgeschichten bzw. Mitrate-Krimis (solve-it-yourself-mysteries) als Gamebook, zu denen die aktuell breit vermarkteten Exit-bzw. Escape-Bücher zu rechnen sind, ist Katz zufolge umstritten. Er attestiert diesem Subgenre zwar ebenfalls einen spielerischen Charakter („it is sort of gamelike“, Katz ebd.), allerdings liege keine gesteigerte Interaktivität vor, da es auch bei normalen Krimis dazu gehöre, die Lösung des Falles möglichst frühzeitig zu erraten; verschiedene mögliche Lösungen bzw. Handlungswege bieten die Escape-Bücher in der Regel nicht an. 

Ergänzend zu dieser Systematik ist anzumerken, dass zu fast allen Varianten inzwischen auch multimodale Spielarten existieren, so dass z.B. Auswahl-Gamebooks auch in Form von Bilderbüchern oder Mitrate-Rätsel als Comics angeboten werden. Zudem finden sich zunehmend gerade auf dem Gebiet der Bücher für junge Leser*innen Mischformen, bei denen etwa in ein Auswahlbuch einzelne Rätsel integriert werden, deren Lösung jedoch keine Auswirkung auf den Handlungsverlauf hat.

In der neueren Generation der Gamebooks sind zudem Bücher zu finden, die nur in Verbindung mit digitalen Erweiterungen rezipiert werden können (Hybrid-Gamebooks). Hier sind etwa über links oder QR-Codes, teils auch über eine verbindlich zu nutzende App digitale Bestandteile in die zu rezipierende Handlung eingebunden, so dass ein Internetzugang eine Voraussetzung für die Nutzung darstellt.

Ebenfalls als Weiterentwicklung sind Gamebooks aus der Kategorie der Mitraterätsel einzustufen, die nur einmal rezipiert werden können, weil es für die Lösung erforderlich ist, Formen aus dem Buch auszuschneiden oder Seiten zu knicken – man könnte sie als „Einweg-Mysteries“ bezeichnen. Auch die frühen Rätsel-Gamebooks waren bezogen auf jeden/jede Rezipient*in nur einmal sinnvoll zu spielen, da sie nur einen zu erschließenden Lösungsweg enthalten; eine erneute Nutzung durch andere Personen war aber ohne Schwierigkeiten möglich. Diese Weitergabe-Option besteht bei der neuen Variante nur sehr eingeschränkt, da kleine Teile leicht verloren gehen können und durch die Eingriffe während der ersten Rezeption Lösungswege für spätere Leser*innen vorab verraten werden. In einigen Fällen zerstört ein Eingriff, der chronologisch später vorgenommen werden muss, Materialien, die während der ersten Lösungsschritte benötigt werden.

Beitrag zur Leseförderung

Äußerungen von Nutzer*innen legen nahe, dass Gamebooks deutlich lesefördernde Effekte entwickeln und dass sie gerade auch Kinder und Jugendliche ansprechen, die sich selbst als ansonsten nicht besonders leseaffin empfinden (vgl. Heiser 2020, 231). Breitere empirische Untersuchungen zu diesem Bereich wie auch solche zu der Frage, ob Gamebooks die Funktion eines Brückenmediums hin zu traditionellen Print-Romanen erfüllen können, liegen allerdings bis jetzt nicht vor.

Systematisch lassen sich mehrere Faktoren beschreiben, die für die Intention der Leseförderung günstig sind. So sind die kurzen Leseabschnitte gut zu überschauen: Die Bewältigung der Leseherausforderung wird schon nach einer kurzen Zeit damit belohnt, dass der/die Lesende eine Auswahlentscheidung treffen oder ein Rätsel lösen darf (Heiser 2020, ebd.). Durch das ständige Springen zwischen verschiedenen Abschnitten kann der Lesefortschritt gerade von langsam Lesenden bewusster wahrgenommen werden, weil im Rezeptionsvorgang selbst deutlich markiert wird, wann wieder eine Lese-Teilaufgabe bewältigt wurde.

Durch das Treffen der Entscheidung bzw. das Lösen des Rätsels können Lesende auch ein stärkeres Gefühl der Selbstwirksamkeit entwickeln: Anstatt sich einer langen Lektüre ausgeliefert zu fühlen, können sie sich selbst als aktiven Einfluss auf den Fortgang der Handlung wahrnehmen.

Neben diesen psychologischen Effekten, die dazu geeignet sind, Motivation aufzubauen und aufrecht zu erhalten, werden im Umgang mit Gamebooks selbstverständlich auch technische Lesefertigkeiten wie etwa Leseflüssigkeit trainiert und ausgebaut. Es findet eine Gewöhnung an das Medium Buch und an den Umgang damit statt – so wird z.B. die Orientierung im Buch durch das Heraussuchen des jeweils nächsten Leseabschnitts geübt.

Und nicht zuletzt greift das Format bereits bestehende Interessen junger Leser*innen auf: Da die Gamebooks dezidiert als Unterhaltungsangebot vermarktet werden, verwenden die Anbieter*innen populäre Themen und Erzählstoffe, u.a. aus dem Bereich der Fantasy, der Agenten- oder Gruselgeschichte. Nicht selten werden auch bereits bekannte Figuren wie etwa Sherlock Holmes oder Robin Hood als Protagonisten genutzt, was die Geschichten für Leser*innen interessant macht, die den jeweiligen Kontext ohnehin bereits kennen und schätzen.

 

Empfehlungsrahmen

Da für den Bereich der Leseförderung insbesondere der spielerische Charakter der Rezeption von Interesse ist, werden bei den von uns angebotenen Empfehlungen auch die Rätsel-Geschichten berücksichtigt. Den bei Katz als zweite Variante gelisteten Typus des rollenspielbezogenen Ein-Personen-Adventures lassen wir außen vor: Zwar ist selbstverständlich auch hier von lesefördernden Effekten auszugehen, allerdings ist die Rezeption insofern voraussetzungsreich, als dass zusätzlich Kenntnisse und Materialien zu den häufig sehr komplexen Regelwerken der Spielwelt, auf die sich das Gamebook bezieht, vorhanden sein müssen. 

Einweg-Mysteries, die nur einmal gespielt werden können und Hybrid-Gamebooks, für deren Rezeption ein Internetzugang erforderlich ist, werden ebenfalls aufgenommen. Die besonderen Eigenschaften finden sich jeweils entsprechend in der Beschreibung, da z.B. eine Anschaffung von Einweg-Mysteries für Bibliotheken nicht sinnvoll erscheint oder die Nutzung von hybriden Angeboten bei besonders jungen Leser*innen ggf. mit Erziehungsberechtigten abzustimmen ist.

 

Quellen:

  • Grady Hendrix: Choose Your Own Adventure. How The Cave of Time taught us to love interactive entertainment. In: SLATE vom 17.2.2011. Online unter http://www.slate.com/articles/arts/culturebox/2011/02/choose_your_own_adventure.html (Letzter Zugriff: 31.1.2019).
  • Ines Heiser: „Du allein hast in der Hand, wie das Abenteuer ausgeht!“ Abenteuerkonzeptionen in Gamebooks mit Mittelalterbezug und ihr didaktisches Potenzial. In: Karla Müller/Andrea Sieber (Hgg.): âventiure/Abenteuer – Literarisches Lernen mit mittelalterlichen und modernen Medienverbünden. Frankfurt a. M. u.a. 2020 (Germanistik – Didaktik – Unterricht), S. 227-243.
  • Nick Montfort: Twisty Little Passages. An Approach to Interactive Fiction. Cambridge/London 2005
  • Demian Katz: Demian´s Gamebook Web Page. gamebooks.org [englischsprachige Bibliografie der populärsten Serien]