Buchcover Rita Falk: Hannes

Die beiden jungen Erwachsenen Uli und Hannes sind seit frühester Kindheit unzertrennlich. Beste...

Rezension von Meike Both

Rita Falks Roman „Hannes“ handelt von der unerschütterlichen Freundschaft zwischen Uli und Hannes. Während Hannes nach einem Unfall im Koma liegt, schreibt Uli ihm in einem Tagebuch alle wichtigen und unwichtigen Ereignisse auf und nimmt so auf seine ganz eigene Weise Abschied.

BuchtitelHannes
AutorRita Falk
GenreComing of Age
Umfang203 Seiten
Verlagdtv
ISBN978-3-423-71612-3
Preis8,99 Euro
Erscheinungsjahr2012

Die beiden jungen Erwachsenen Uli und Hannes sind seit frühester Kindheit unzertrennlich. Beste Freunde. Doch dann liegt Hannes nach einem schweren Unfall im Koma. Keiner glaubt mehr daran, dass er je wieder aufwachen wird. Außer Uli. Er tut alles in seiner Macht stehende, um Hannes zu helfen.

Die Zwei haben sich immer alles erzählt. Warum also sollten sie jetzt damit aufhören? Außerdem kann Uli mit niemandem sonst über die Geschehnissen reden. Also beschließt er, für Hannes aufzuschreiben, was passiert, damit er es lesen kann, wenn er endlich wach wird. Gleichzeitig kann Uli auf diese Weise so etwas Ordnung in das Chaos aus Zivildienst, Krankenhaus, Freundschaft, Liebe und Sex bringen.
Uli beginnt gerade seinen Zivildienst in einem Heim für psychisch kranke Menschen, dem Vogelnest. In seiner Arbeit geht Uli vollkommen auf, setzt sich über das erwartete Maß hinaus für die Menschen dort ein. Doch gleichzeitig muss er immer wieder Rückschläge und Hindernisse in der Genesung seines besten Freundes verkraften. Dabei plagen ihn ein schlechtes Gewissen und die Wut auf sich selber, auf Hannes, auf die Ärzte und Schwestern im Krankenhaus genauso wie die eigene Hilflosigkeit.

Seine Eltern sind ausgewandert. Seine Freunde kommen mit ihren eigenen Leben kaum zurecht. Zumal die Freundin von Hannes schwanger ist und niemand weiß, von wem. Mit wem also soll Uli reden? So ist das Schreiben der Briefe für ihn auch eine Art Therapie auf dem schweren Weg des Abschieds von seinem besten Freund. 

Heute ist der Jahrestag. Es ist auf den Tag und die Stunde genau dieselbe Zeit. Es hat sich gejährt, mein Freund. Mein lieber Freund, Hannes. Es ist die Stunde, in der ich in deinem Blut und Urin knie, und dein Kopf ruht auf dem kalten Asphalt, gefühlte Ewigkeiten lang. Ich sehe das Blaulicht und höre die Sirenen. Die vielen Menschen um uns rum. Schließlich der Rettungshubschrauber. „Verdammte Scheiße“, aus deinem blutenden Mund. Danach schließt du die Augen, wenn auch nicht ganz, ein winziger Spalt bleibt offen. Ich bücke mich tief über dich und kann deine Augäpfel sehen. Irgendwelche Hände zerren auf einmal an mir. Andere greifen nach deinem leblosen Körper. Dein Blut läuft langsam in den Rinnstein und nimmt mein Herz mit sich. Beides verliert sich in der Ferne.
An die nächsten Wochen habe ich kaum Erinnerungen. Ein dröhnender Schmerz lag auf mir wie Blei. Dann habe ich angefangen, dir zu schreiben, Hannes. Ich habe dir mein Leben niedergeschrieben, und das hat mir geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Viele der Zeilen hätte ich dir gerne erspart, mein Freund. Anderes wieder ließ meine Finger in Ekstase zucken bei jedem einzelnen Wort. Nun ist es an der Zeit, mich von den Briefen zu treffen, und ich übergebe sie heute in tiefer Dankbarkeit. Sie haben mein Leben gerettet. (S. 5)
*
Im Vogelnest werden nun schon Weihnachtsdekorationen gebastelt für den Basar und die Insassen haben eine Freude daran. Ich hatte diese Woche wieder Sex mit der Redlich Iris, es ist unglaublich, aber tatsächlich geschehen, sie kann nicht von mir lassen. Wir haben einige Basteleien in die Wäschekammer gebracht und sind dabei abermals übereinander hergefallen. Unter ihrem Kittel trug sie Strümpfe mit Naht und keinen Slip, es war gigantisch. Du siehst also, Hannes, ich hab auch meine Freude an den Basteleien. Wir siezen uns übrigens auch beim Sex, was durchaus prickelnd ist. Na ja.
Jedenfalls ist der Brenninger zurück, und wir haben zusammen ein paar Bier getrunken. Er hat mir viel erzählt von Neuseeland und den Kiwis. Das muss schon klasse sein da, wir sollten uns das unbedingt mal anschauen, mein Freund. Und natürlich wollte der Brenninger gleich zu dir rein und ist prompt in die Belagerungsfalle getappt. Die Nele auf der Bettkante und der Kalle auf der Bettkante. Deine Mutter am Fußende deines Lagers stehend, gewissermaßen mittig. Da ich dem Brenninger nicht erzählt hab, dass der Kalle womöglich als Vater infrage kommt, ist er halt rein, hat die Nele und deine Mutter gedrückt und gesagt: „Der Hannes wird sich freuen! Na, wenn ihn das nicht wieder auf die Beine bringt, was dann? Das muss doch Tote aufwecken, wenn man ein Kind erwartet, nicht wahr?“

(S. 112)

Uli und Hannes sind gerade mit der Schule fertig und beste Freunde, schon immer. Doch auf einem ihrer Ausflüge kommt es zu einem tragischen Unfall, der ihr Leben dauerhaft verändert. Hannes liegt im Krankenhaus. Im Koma. Uli kann nichts für ihn tun, außer zu hoffen und ihm alle Geschehnisse in Briefen aufzuschreiben. Entsprechend rebelliert Uli gegen alles und jeden. Er rebelliert gegen die Ärzte, die ihm jede Hoffnung auf eine baldige Genesung von Hannes nehmen wollen. Er rebelliert gegen die Vorschriften auf seiner Zivildienststelle. Er rebelliert, teils geplant, teils ungeplant, gegen seine anderen Freunde, die nicht mehr an Hannes Genesung glauben wollen und ihr Leben weiterleben. Er rebelliert gegen seine eigenen sowie gegen Hannes Eltern. Er weigert sich, die Realität anzuerkennen und Hannes gehen zu lassen. Uli kann sich ein Leben ohne seinen besten Freund nicht vorstellen. Er plagt sich mit Selbstvorwürfen und einer riesigen Wut auf seine gesamte Umgebung, vor allem aber auf sich selber. Daran sieht man, dass Uli das ganze Buch über recht labil und zerbrechlich ist.
Ulis Kommunikations-Verhalten und Selbstwahrnehmung ist folglich nicht seinem Alter entsprechend. Es erinnert vielmehr an einen früh-pubertären Jugendlichen, der sauer ist, weil er seinen Willen nicht bekommt. Dabei ignoriert Uli die Gefühle seiner Freunde und sieht nur sich selbst und Hannes, die er als mehr oder minder fehlerlos darstellt. Er ist hin- und hergerissen, hat sogar Phasen, in denen er seine Fehler sowohl einsieht als auch Hannes gegenüber zugibt. Doch immer wieder kehrt er zu der Annahme zurück, alle anderen wollten ihm und Hannes etwas Böses.
Dass seine Eltern ausgewandert sind und er allein lebt, kommt Uli folglich sehr entgegen. Telefonate mit seinen Eltern oder Besuche von ihnen gehen ihm auf die Nerven und sollen so kurz wie möglich gehalten werden. Nur in Schwester Walrika, die das Vogelnest leitet, scheint Uli einen Erwachsenen zu finden, dem er vertraut und dem er sich öffnen kann. Sie wird seine Hauptbezugsperson und kümmert sich in den schwierigsten Phasen seines Lebens um ihn, wodurch sie eine Art Mutter-Ersatz wird. Sie und die „Insassen“ des Vogelnests sind die einzigen Menschen, die Uli im Verlauf eines ganzen Jahres neu kennenlernt. Ansonsten ist er nicht an neuen Bekanntschaften, Freundschaften und Beziehungen interessiert. Viel zu sehr ist Uli in die Probleme seines besten Freundes vertieft. So macht er sich auch keine Gedanken, wie ein Entwurf für sein weiteres Leben aussehen soll. Das Leben scheint für ihn mit der Vollendung seines Zivildienstes oder Hannes Entlassung aus dem Krankenhaus zu enden. Gegen Ende des Buches wird dies einmal kurz thematisiert, jedoch nicht endgültig aufgelöst. So hinterlässt dieses Buch nach Hannes Tod doch einige offene Fragen.

Der Buchtitel und Autorenname sind in großer, klarer Schrift und Großbuchstaben abgebildet. Auf dem Cover sind zwei junge Männer in Badehosen an einem sonnigen See zu sehen. Der eine klettert gerade aus dem See, während der andere mit ausgebreiteten Armen auf einer Bank steht. Das Bild strahlt Lebensfreude und jugendlichen Leichtsinn aus, wodurch es für die angestrebte Altersgruppe sehr ansprechend wirkt.
Die Schrift im Buch ist recht klein. Die Kapitel umfassen jeweils die Geschehnisse eines Tages und sind dadurch selten länger als zwei, drei Seiten. Das Buch spielt in Bayern, wodurch der Sprachgebrauch sowie der Satzbau für Nicht-Bayern etwas gewöhnungsbedürftig, aber doch leicht zu verstehen sind. Zu Uli passt es und die sprachlichen Eigenheiten lassen ihn sehr authentisch erscheinen.

Da der Roman sprachlich zwar recht einfach, thematisch jedoch sehr komplex ist, ist es eher für erfahrene Leser geeignet. Durch die emotionale Tiefe und unerwartete Wendungen bleibt es spannend und ist sehr lesenswert.