Buchcover Oliver Scherz: Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika

Der siebenjährige Joscha und seine Schwester, die vierjährige Marie, sind abends allein zu Haus und...

Rezension von Thorsten Hadeler

Wie besiege ich meine Ängste, wenn ich nachts in meinem Bett liege und draußen ein Sturm tobt? Am besten klappt das, wenn überraschend ein Elefant auftaucht und einen zu einer Reise nach Afrika überredet. Aber: Träume ich oder bin ich wach?

BuchtitelWir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika
AutorOliver Scherz
GenreAbenteuer
Umfang112
VerlagThienemann
ISBN978-3-522-18336-9
Preis12,99
Erscheinungsjahr2014

Der siebenjährige Joscha und seine Schwester, die vierjährige Marie, sind abends allein zu Haus und fürchten sich sehr vor dem Sturm, der draußen heult. Plötzlich ist vor ihrem Fenster nur noch eine graue Fläche zu sehen, aus der ein großes Auge zu ihnen ins Zimmer starrt. Es gehört dem Elefanten Abuu, der aus dem Zoo geflohen ist und die Kinder um Hilfe bittet: Er möchte zurück nach Afrika zu seiner Familie. Und  schon direkt darauf sitzen die beiden Kinder mit Joschas Globus auf Abuus Rücken und machen sich auf den Weg gen Süden. Dabei müssen sie zunächst über die hohen Berge, wo sie einen wilden Bären davon überzeugen müssen, sie nicht aufzufressen, sondern besser seinen Winterschlaf fortzusetzen. Nachdem sie die Berge überwunden haben, bauen sie sich ein Floß, um damit einen Fluß entlangfahren zu können. Der Fluss führt ihr Floß ins Meer, und dort werden sie von einem Riesenkraken überfallen, der Abuu mit sich in die Tiefe des Wassers zieht. So müssen die drei noch viele Gefahren überstehen, bis sie endlich in der afrikanischen Steppe Abuus Familie finden. Doch wie kommen die Kinder nun zurück nach Hause?

"Ich bin Bodo. Aber mein richtiger Name ist Abuu", sagt Abuu.
"Nie von dir gehört!", brüllt der Bär.
"Ich bin ein Freund von Bernhard dem Bären", ruft Abuu. "Er ist überall beliebt!"
"Ich kenne keinen Bernhard", mault der Bär und lustige Faxen wie Bernhard im Zoo macht dieser Bär schon gar nicht. Er zeigt mit einer langen Kralle auf Joscha und Marie. "Wen hast du da bei dir?"
"Ich bin Joscha...", sagt Joscha mit zitternder Stimme. "Und hinter mir sitzt Marie." Joscha macht sich breit, um Marie vor den Blicken des Bären zu schützen.
"Was seid Ihr?", fragt der Bär argwöhnisch. "Stroh-Affen?"
"Wir sind Geschwister", stammelt Marie hinter Joschas Rücken.

Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung sind bei vielen kleineren Kindern fließend. Manchmal überraschen sie uns Erwachsene mit Wahrnehmungen, die wir schnell ins Reich der Fantasie einordnen, die für die Kinder jedoch völlig real sind. Wir Erziehende sind dann häufig bemüht, den Kindern beizubringen, dass zwar die Fantasie genauso ihren Wert besitzt wie die Realität, dass die beiden aber getrennt werden müssen. Doch zumindest die Frage sei einmal erlaubt: Ist das wirklich so wichtig?

"Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika" wirft diese Frage auf.
Die Erzählung beginnt in der Realität, in einem Kinderzimmer in einer stürmischen Nacht, in der die Geschwister Joscha und Marie sich fragen, wie sie mit ihrer Angst vor dem Sturm umgehen sollen. Sie sind allein, die Eltern sind ausgegangen und so ist niemand da, der mit einer rationalen Erwachsenenlogik Trost spenden könnte. Die Kinder sind allein.

Oder doch nicht? Plötzlich taucht vor dem Haus ein Elefant auf. Natürlich vergrößert das zunächst einmal die Ängste, schließlich ist so ein großes, starkes und wildes Tier eine erhebliche Bedrohung. Aber es stellt sich schnell heraus, dass Abuu, der Elefant, ein sehr liebes Tier ist und er ist sogar so hilflos, dass er die Unterstützung von zwei kleinen Kindern benötigt, um sich in der Welt zurechtzufinden.

Auf dem Weg zu Abuus Familie ergibt sich eine überraschende Arbeitsteilung: Der große, starke Elefant muss natürlich immer dann eingreifen, wenn in gefährlichen Situationen jemand mit Kraft gefragt ist. Joscha und Marie aber sind plötzlich die klugen, rationalen Kinder, die mit Köpfchen viel dazu beitragen können, eine Lösung zu finden, wenn es brenzlig wird.

Vor allem Joscha, der große Junge, muss natürlich seiner kleinen Schwester Marie häufig tröstend zur Seite stehen. Die Eltern sind nicht dabei, also muss er sie würdig vertreten und nimmt Marie ihre Ängste.

Mit dieser Aufgabenteilung meistern die drei alle Gefahren, die ihnen auf ihrem Weg begegnen. Der Bär in den Bergen, der Krake auf dem Meer, die Trockenheit der Wüste, die vielen Tiere des Dschungels, die Löwen in der Savanne – eine Bewährungsprobe reiht sich an die andere, und würden die Kinder auf ihrem Weg nicht immer mutiger, sie hätten ihr Ziel wohl kaum erreicht.

Aber sie schaffen es dann doch, und wie das bei Reisegeschichten so ist: Am Ende ist der Reisende ein anderer als der, der aufgebrochen ist. Joscha und Marie sind viel mutiger geworden und können nun mit ihren Ängsten besser umgehen – auch wenn (Vorsicht, Spoiler!) sich zum Schluss herausstellt, dass die beiden natürlich nicht wirklich in Afrika waren, sondern das ganze nur eine Geschichte war, die Joscha seiner kleinen Schwester im heimischen Kinderzimmer erzählt hat, um ihre (oder ihrer beider) Ängste zu vertreiben. Und da sage dann noch mal einer, dass es wichtig sei, Realität und Fantasie sauber voneinander zu unterscheiden.

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass diese wunderbare Geschichte zum großen Teil nur aufgrund der unglaublich guten Bilder von Barbara Scholz funktioniert. Hätte sie es nicht verstanden, uns mit einer wirklich kongenialen Umsetzung aller reichen emotionalen Stimmungen dieser Geschichte in ihren Bann zu ziehen, das Buch würde bei weitem nicht den Zauber entfalten, das es in diesem sehr gelungenen Zusammenspiel von Bild und Text hat.

"Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika" eignet sich wegen seines geringen Umfangs und der altersgerechten Gestaltung hervorragend als Lektüre im privaten Kontext. Für Kinder, die sich zum Beispiel vor Dunkelheit fürchten, kann es eine sehr hilfreiche Eigenlektüre oder auch ein gutes Buch zum Vorlesen vor dem Einschlafen sein.

Auch für den Einsatz in der Grundschule ist das Buch gut geeignet. Hier kann es sowohl zur freien Lektüre als auch als Klassenlektüre eingesetzt werden. Da es sich um eine Reisegeschichte handelt, die die geografische Realität nicht völlig außer Acht lässt, ist eine Verknüpfung mit dem Sachkundeunterricht denkbar. Hier könnte man z. B. ein Quiz gestalten ("Wie heißt das Gebirge, in dem Joscha, Marie und Abuu den Bären treffen?")