Buchcover Jason Reynolds: Love oder Meine schönsten Beerdigungen

Der 17-jährige Matthew wohnt mit seinem Vater in Brooklyn, New York City. Vor Kurzem ist seine...

Rezension von Johannes Groschupf

Der Roman ist eine frische, authentische Coming-of-Age-Geschichte aus Brooklyn, die jugendliche Leser unmittelbar anspricht. Man kann auch auf Trauerfeiern zurück ins Leben finden.

BuchtitelLove oder Meine schönsten Beerdigungen
AutorJason Reynolds
GenreComing of Age
Lesealter14+
Verlagdtv (Reihe Hanser)
ISBN978-3423650267
Preis14,99
Erscheinungsjahr2017

Der 17-jährige Matthew wohnt mit seinem Vater in Brooklyn, New York City. Vor Kurzem ist seine Mutter gestorben, darunter leidet er sehr. Sein Vater hat deswegen wieder angefangen zu trinken. Matt findet einen Nachmittagsjob bei einem Bestattungsunternehmen in der Nachbarschaft. Der Bestatter wird zu einem väterlichen Freund. Vor allem aber liebt Matt die stille Teilnahme an den Trauerfeiern, weil er durch den Schmerz der anderen seinen eigenen Verlustschmerz lindern kann.

Als er das Mädchen Love kennenlernt und sich allmählich in sie verliebt, lernt er eine neue Form der Akzeptanz. Love hat auch ihre Mutter, und nun auch ihre Großmutter verloren. Sie steht aber kraftvoll im Leben. Bei einem Thanksgiving-Essen mit Obdachlosen kommen sich Matt und Love näher. Der Anfang einer ernsthaften Beziehung löst auch Matts emotionale Trauerstarre.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite eingesehen werden. 

Der Roman von Jason Reynolds ist eine frische, emotionale Coming-of-Age-Geschichte mit Tiefgang und witzigen Passagen, die Leser mit mittlerer Lese-Erfahrung in ihren Bann schlagen kann.
Die Ich-Perspektive des 17-jährigen Erzählers Matthew zieht den Leser unmittelbar in die Brooklyner Nachbarschaft und in Matts schwierige Situation hinein. Die stockende Trauer um seine Mutter wird aus der Innenansicht gezeigt, zugleich aber auch sein alltägliches Leben als Schüler und auf Jobsuche.
Matt scheint ein normaler Jugendlicher zu sein: Er kann sich in der Schule nicht konzentrieren, trifft sich mit seinem Freund, hat ständig Hunger, verliert sich in Musik, denkt über Mädchen nach, traut sich aber nicht an sie heran, liegt stundenlang auf der Couch. Doch die Tragödie des Verlusts seiner Mutter und der Absturz seines Vaters in den Suff verlangen von ihm klare Aktionen. Er macht sich auf den Weg, besorgt sich einen Job. Er ist ein differenzierter Charakter, wechselt zwischen klarer Aktion und Momenten der Hilflosigkeit. Außerdem kann Matt kochen, und diese Kompetenz wird nicht als femininer Zug erzählt, sondern als persönliche Stärke, die ihn mit seiner verstorbenen Mutter verbindet und auch dem tollen Mädchen Love näherbringt.
Die ungewöhnliche Szenerie des Bestattungsinstituts ist nicht seltsam-skurrile Staffage, sondern wird organisch mit den emotionalen Bedürfnissen des Ich-Erzählers entfaltet. Die Nachbarschaft in Brooklyn ist unglamourös, bestimmt von konkreten Figuren. Dies ist kein Großstadtroman, der eine Hood als gefährliche Wildnis zelebriert. Matt ist hier aufgewachsen, er kennt die Straßen und ihre Bewohner; Brooklyn ist seine Lebenswelt, und die teilt sich dem Leser unaufdringlich und konkret mit.
Die Figur des väterlichen Freundes, des Bestatters Mr. Ray, entspricht dem, was viele Jugendliche sich in der Pubertät wünschen – einen Mentor, der durch seine Persönlichkeit wirkt, statt Vorhaltungen zu machen. Auch die anderen Nebenfiguren, vor allem sein Vater und sein Freund Chris, sind lebendige und eigentümliche Charaktere.

Ein großes Plus dieses Romans ist die frische, authentische Erzählweise. Der Leser meint den Ich-Erzähler Matt geradezu mündlich sprechen zu hören. Auf diese Weise könnte ein Brooklyner Jugendlicher tatsächlich von den entscheidenden Monaten in seinem Leben berichten. Die Sprache versackt nicht in einem gewollt coolen Slang, sondern bleibt emotional wahrhaftig. Auch peinliche Gefühle kommen zur Sprache, Träume, Unsicherheiten, Sehnsüchte. Die Sprache (auch in der deutschen Übersetzung von Klaus Fritz) entspringt ganz klar einem jugendlichen Lebensgefühl, dem ein ähnlich alter Leser vertrauen wird.
Besonders gelungen erzählt ist die allmähliche Annäherung von Matt und Love – ihre Flirts haben Klasse. Love ist kein Mädchen, das er erobern will, doch Matt ist sich seiner männlichen Ausstrahlung sehr bewusst (wie sie auch ihrer weiblichen). Ihr Näherkommen wird keine Romanze, in der beide verschmelzen, sondern im Gegenteil begegnen sich hier zwei starke Charaktere.

Die Aufmachung des Buches ist in der deutschen Ausgabe leider irreführend. Schon der Titel „Love oder Meine schönsten Beerdigungen“ wendet sich wohl eher an junge Leserinnen und verspricht einen Liebesroman, der dieser Roman aber nicht ist. Die Beziehung zum Mädchen Love wird zwar früh angelegt, spielt aber erst im letzten Drittel eine wesentliche Rolle.
Auch das Cover mit seiner Harold-and-Maude-Ästhetik wirkt unentschieden. Die amerikanische Originalausgabe dagegen wendet sich mit einem maskulinen Cover-Bild klar an männliche Leser, und auch der Titel ist wesentlich stimmiger: The Boy in the Black Suit.

Trotz dieser eher äußerlichen Einwände ist „Love oder Meine schönsten Beerdigungen“ ein sehr empfehlenswerter, weil vielschichtiger und kraftvoll erzählter Roman.

Der Roman eignet sich vor allem als private Lektüre für Leser, die bereits eine mittlere Leseerfahrung haben. Die Sprache ist einfach und jugendlich, jedoch nicht aufdringlich auf cool getrimmt. Jugendliche Leser werden diesem Tonfall vertrauen.
Für männliche Jugendliche ab 14 ist der Roman deshalb besonders zu empfehlen, weil er einen männlichen Protagonisten vorstellt, der wirklich differenziert beschrieben und ausgelotet ist, der seine Höhen und Tiefen hat, der Trauer und Witz und Verliebtheit erlebt – ein alltäglicher, aber reicher Charakter.
Die Brooklyner Nachbarschaft mit einigen Ritualen der schwarzen Community etwa bei den Trauerfeiern wird sich dem Leser rasch erschließen.

Auch für freie Lektüre im schulischen Kontext ist der Roman durchaus denkbar. Die angesprochenen Themen von Verlust, Trauer und Vergänglichkeit können Fragen aufwerfen, die interessante Diskussionen versprechen, zumal hier nie der pädagogische Zeigefinger erhoben wird, sondern aus der jugendliche Perspektive heraus erzählt wird.

Ebenso ist der Roman als Klassenlektüre geeignet. Die Mädchen hätten mit Love eine starke Identifikationsfigur.