Buchcover Jana Frey: Achtung, streng geheim!

Der 9-jährige Sebastian zieht gegen seinen Willen mit seiner Familie in die Stadt um. So muss er...

Rezension von Lina Schiffer

Der 9-jährige Sebastian zieht gegen seinen Willen mit seiner Familie in die Stadt um. So muss er nicht nur das „Fachwerkhäuschen“ (S. 7) in eine Stadtwohnung tauschen, auch die Schule muss er wechseln. Dort beginnen seine Klassenkameraden Niklas und Jakob damit, Sebastian kräftig zu ärgern...

BuchtitelAchtung, streng geheim!
AutorJana Frey
GenreAnti-Helden & Schelme
Lesealter8+
Umfang136 Seiten
Edition2014
VerlagLoewe Verlag
ISBN978-3-7855-7916-9
Preis4,95 €

Der 9-jährige Sebastian zieht gegen seinen Willen mit seiner Familie in die Stadt um. So muss er nicht nur das „Fachwerkhäuschen“ (S. 7) in eine Stadtwohnung tauschen, auch die Schule muss er wechseln. Dort beginnen seine Klassenkameraden Niklas und Jakob damit, Sebastian kräftig zu ärgern. Sie wandeln seinen Nachnamen Stoffregen, den Sebastian ohnehin nicht leiden kann, in „Waschlappen“ (S. 22) um und nennen ihn „Trottel der Schule“ (S. 23). Sebastians Familie bemerkt seine Probleme nicht: Die Eltern sind mit den neugeborenen Zwillingen beschäftigt, sein großer Bruder nennt ihn „Giftzwerg“ (S. 12) und die Oma ist, wenn man sie mal braucht, nicht aufzufinden. Als Sebastian sich dann beim Vorlesen in der Schule verliest, fängt er an zu weinen und wird ausgelacht. Um nicht mehr zur Schule zu müssen, stellt er sich krank, wird jedoch schnell durchschaut. Als Sebastian dann notgedrungen wieder zur Schule geht, beginnt er, Niklas und Jakob durch Diebstähle für ihr Verhalten zu bestrafen. Letztlich freundet sich Sebastian mit seiner Mitschülerin Amanda an. Am Ende gibt Sebastian die gestohlenen Sachen anonym zurück und auch Niklas und Jakob gegenüber kann er sich behaupten.

„Heute Morgen habe ich drei Esslöffel Puder aus Omas Puderdose genommen und mein Gesicht vampirweiß gepudert. ‚Mama, ich habe Puddingbeine‘, habe ich geflüstert und bin, gebeugt wie ein sehr alter, kranker Mann in die Küche gehumpelt. Daniel bekam Schluckauf vor Lachen, als er mich sah. Papa sagte bloß: „Ich muss jetzt los, Schatz.“ Das sagte er zu Mama. Zu mir sagte er leider: „Basti, was soll das Theater? Wir haben doch nicht Fasching.“  Papa ist ein wenig blöd, seit Lili und Lea da sind. Er ist dauernd müde und sieht zerzaust und grantig aus. Und einmal hat er schon ein bisschen sauer zu Lea gesagt: „Fräulein, wir wären dir dankbar, wenn du ab und zu mal diese Brüllerei lassen könntest.“ Lea hat aber Papa nicht zugehört. Sie war schließlich beschäftigt. Mit Brüllen. Ich stand also sehr blass und gebeugt und kränklich in der Küche rum und niemand hat sich um mich gesorgt.“ (S. 57f.)

„Achtung, streng geheim!“ hat die Struktur einer Anti-Heldengeschichte. Die Hauptfigur Sebastian wird durch einen Schulwechsel zum Außenseiter. Denn Sebastian ist alles andere als der ‚coole Typ‘, der sich in einer neuen Klasse behaupten kann. Er ist klein, dünn, hat Locken und Sommersprossen, mag Fußball nicht und hat noch dazu einen seiner Meinung nach schrecklichen Nachnamen: Stoffregen. In der neuen Klasse werden diese Eigenschaften auch direkt dazu benutzt, Sebastian als ‚Loser‘ aufzuziehen. Dieser lässt die Schikanen, vor allem seiner Klassenkameraden Niklas und Jakob, anfangs wehrlos über sich ergehen. Dennoch ist die Sympathie des Lesers auf seiner Seite, denn Sebastian ist sich seiner ‚Schwächen‘ bewusst. Sommersprossen und Nachnamen mag er selbst nicht, seine Locken schneidet er sich ab. Zu Hause besitzt Sebastian eine Teddybärensammlung und ein Schlumpf-Plakat, kommt sich aber selbst zu alt dafür vor und verstaut beides im Keller, um so den Erwartungen an sich gerecht zu werden. Sebastian ist allgemein sehr reflektiert: Als er in der Schule zu weinen beginnt, ist ihm klar, dass ihm das gerade als Junge nicht hätte passieren dürfen. So befindet Sebastian sich in einem Spannungsfeld von Erwartungen, denen er nicht gerecht werden kann und flüchtet sich ins gespielte Kranksein. Als er zwangsweise wieder zur Schule muss, beginnt Sebastian seine Unterlegenheit durch Diebstahl zu kompensieren und entspricht so  der Figur des Antihelden. Er widersetzt sich in dieser fragwürdigen Weise den Schikanen von Niklas und Jakob, denn Ziel des Diebstahls ist die Verunsicherung der beiden. Seine Familie bekommt von Sebastians Problemen nichts mit, denn die neugeborenen Zwillinge Lili und Lea ziehen die gesamte Aufmerksamkeit der Eltern auf sich. Erst als Sebastian in seiner Nachbarin Marlene Vogelsang eine Person findet, der er vertrauen kann, eröffnen sich ihm andere Möglichkeiten als zu stehlen. So gelingt es Sebastian, das Diebesgut anonym zurückzugeben und sich gegenüber Niklas und Jakob zu behaupten. Auf diese Weise wird der moralisch fragwürdigen Diebstahlreihe ein pädagogisch wertvolles Ende gesetzt. Während des gesamten Romans ist dabei die Sympathie des Lesers auf Sebastians Seite: Entweder man schmunzelt über ihn, oder man amüsiert sich zusammen mit ihm über andere, z.B. als Niklas wegen seines gestohlenen Computerspiels zu heulen beginnt.

Die Erlebnisse und Sorgen der Hauptfigur Sebastian werden aus der Ich-Perspektive in Form eines Tagebuchs beschrieben. Teilweise führt Sebastian listenartig auf, was ihm gefällt oder missfällt. Dadurch bekommt sein Charakter schnell Konsistenz, Identifikation wird so gerade Leseanfängern leicht gemacht. Die erzählte Zeit umfasst drei Monate, die episodenartig in autobiographischer Weise geschildert wird. Durch seine Passivität und Schüchternheit, sowie die moralische Fragwürdigkeit der Diebstähle weist Sebastian Charakterzüge eines klassischen Anti-Helden auf, mit dem der Leser jedoch sympathisiert. Im Laufe des Romans überwindet Sebastian seine soziale Ausgrenzung, er findet sowohl in der Schule als auch in der Familie wieder Anschluss und schafft es so, aus der Verlierer-Rolle  herauszukommen.

Das Buchcover ist ansprechend farbig gestaltet. Es zeigt Sebastian, wie er vor einem Schank mit, wie sich später herausstellt, dem Diebesgut steht. Der Titel scheint einen Hinweis auf den Schrankinhalt zu geben und macht neugierig, was wohl „streng geheim“ sein könnte. Die Schrift ist groß und gut lesbar. Die Sprache ist verständlich, Erlebnisse werden mittels wörtlicher Rede beschrieben. Die überschaubaren Kapitel werden zudem von kleinen comicartigen Zeichnungen aufgelockert. Am Ende des Buches gibt es Leserätsel zu den Kapiteln, deren Beantwortung jedoch inhaltlich aufmerksames Lesen fordert.    

Fazit: Kurzweiliges Lesevergnügen, das für Leseanfänger geeignet ist und Möglichkeiten der Reflexion über soziale Strukturen der Klassengemeinschaft und Familie bietet.

„Achtung, streng geheim!“ eignet sich sowohl für den Einstieg in lustvolles Freizeitlesen daheim, als auch für eine intensive Beschäftigung mit den sozialen Problemen der Hauptfigur.

Zu dem Roman gibt es beim Verlag an der Este Unterrichtsmaterialien und ein Lesebegleitheft (zu bestellen über die Website des Verlags):
Yvonne Bisson: Achtung, streng geheim! Handreichung.
Achtung, streng geheim! Lesebegleitheft.