Buchcover Die Winterschwestern

Der zehnjährige Wikinger Alfred lebt mit seinem Onkel Ragnar und seiner Großmutter im abgelegenen...

Rezensiert von Dr. Nicole Bachor-Pfeff

Der Wikingerjunge Alfred muss ein großes Abenteuer bestehen, obwohl er es vorzieht, das kleine Dorf mit seinen Streichen auf Trab zu halten. Aber als sein Onkel von der Großen Winterschwester entführt wird, liegt das Schicksal des gesamten Dorfes in seinen Händen. Wer sich für den hohen Norden interessiert, seine mystischen Landschaften, seine Märchen und Götter, findet hier einen wunderschön illustrierten Roman und einen Pageturner, den man kaum aus der Hand legen mag.

BuchtitelDie Winterschwestern
AutorJolan Bertrand, übers. v. Cornelia Panzacchi
GenreAbenteuer
Fantasy
Lesealter10+
Umfang224 Seiten
Edition4. Auflage
VerlagThienemann
ISBN9783522186278
Preis18,00 €
Erscheinungsjahr2024

Der zehnjährige Wikinger Alfred lebt mit seinem Onkel Ragnar und seiner Großmutter im abgelegenen Nebeldorf, das von den beiden Winterschwestern geprägt wird: die Große Winterschwester, die mit eisiger Kälte und tobenden Schneestürmen das Land bedeckt, und die Kleine Winterschwester, die den Schnee in ein Paradies aus Rutschpartien und Schneeballschlachten verwandelt. Doch seit die Kleine Schwester spurlos verschwunden ist, herrscht ein unbarmherziger Frost über Nebeldorf und es verschwinden immer mehr geliebte Dinge, die die Menschen besitzen. Die Große Schwester ist untröstlich, ihre Wut entlädt sich in heftigen Stürmen, und dunkle Kreaturen wie die Trolle wagen sich immer häufiger ins Dorf, um Unheil zu stiften und die wertvollen Gegenstände zu stehlen.

Als Ragnar versucht, das Diebesgut zurückzuholen, folgt ihm Alfred – doch vor seinen Augen wird sein Onkel von der Großen Winterschwester entführt. Entschlossen, ihn zu retten und das Dorf aus der eiskalten Umklammerung zu befreien, begibt sich Alfred auf eine gefährliche Reise durch die endlosen Weiten der borealen Taiga. Die blinde Seherin Frid, eine weise Frau des Dorfes, gibt ihm Hinweise für seine Suche, doch es ist an Alfred selbst, den Mut zu finden, die Wahrheit hinter dem Verschwinden der Kleinen Winter aufzudecken.

Auf seiner Reise begegnet Alfred sagenhaften Wesen – darunter die verschlagenen Trolle, die große Füchsin mit ihrem feurigen Fell und andere mystische Gestalten, die ihm Rätsel aufgeben oder ihm helfen. Je weiter er vordringt, desto deutlicher wird, dass nicht nur die Zukunft des Dorfes auf dem Spiel steht, sondern auch die Balance zwischen den beiden Schwestern selbst. So muss Alfred sich zahlreichen Herausforderungen stellen, um die Kleine Winterschwester zu finden und das Gleichgewicht in seiner Welt wiederherzustellen. 

Eine Leseprobe ist verfügbar. 

Wir werden mitten hineingestoßen in das Abenteuer von Alfred, mitten hinein in eine Versammlung in der Dorfhalle, während Alfred, in der Verehrung seines nordischen Lieblingsgottes Loki, einen frechen Streich plant. Die Spannung setzt also unmittelbar ein und gleichzeitig erfahren wir viel über das Leben und die Kultur der Wikinger. Alfred ist eine sympathische und gleichzeitig authentische Identifikationsfigur: bereit für ein Abenteuer, aber eigentlich doch nicht, mutig, aber auch unsicher, entschlossen, aber dennoch voller Zweifel. Seine Entwicklung vom neugierigen Jungen zum entschlossenen Helden ist authentisch und mitreißend. Alfreds Umgang mit Gefühlen wie Traurigkeit und sozialer Angst wird thematisiert, was jungen Leser:innen Einfühlungsvermögen und Verständnis vermittelt.

Auch die Nebenfiguren, insbesondere die blinde Seherin Frid, Alfreds mutiger Onkel Ragnar, die Trolle und der geheimnisvolle große Fuchs, hinter dem der Streiche spielende Gott Loki steckt, tragen viel zur Magie und Spannung der Geschichte bei. Ragnar wird als Transmann dargestellt, was im Kontext der Geschichte normalisiert und positiv repräsentiert wird.

Die Handlung ist spannend aufgebaut und hält immer wieder Überraschungen bereit. Alfreds Begegnung mit den Trollen z.B. wirkt zunächst gefährlich, dann aber auch freundschaftlich, bei der Begegnung mit dem Fuchs ist es genau umgekehrt. Aus der schönen Füchsin wird ein gefährliches Ungeheuer, vor dem alle flüchten müssen. Dadurch bleibt die Geschichte durchweg fesselnd. 

Die Atmosphäre des Buches ist atemberaubend: Die Beschreibungen der borealen Taiga, der eisigen Stürme und der mystischen Wesen sind so lebendig, dass man das Knirschen des Schnees unter den Füßen beinahe hören kann. Besonders die Gegensätze zwischen der strengen, unerbittlichen Großen Winterschwester und der verspielten, feierlaunigen Kleinen Winterschwester verleihen der Geschichte eine tiefere Bedeutung – es geht nicht nur darum, Mut zu beweisen oder um verrückte Wetterphänomene, sondern auch um die Balance und das Zusammenspiel von Gegensätzen.

Die wunderschönen Illustrationen von Chevalier Gambette, die von einer Landkarte über mystische Symbole und Wikingerschnitzereien bis hin zu erzählenden Bildern reichen, tragen ein Übriges zur Atmosphäre bei und laden zum verweilenden Betrachten ein. Auch sie machen das Buch zu einem Genuss.

Sprachstil, Vokabular und die Komplexität der Satzkonstruktionen sind dem Lesealter angemessen. Die Schriftgrößen und Serifenschrift ermöglicht einen angenehmen Lesefluss. Trotzdem trägt die Sprache maßgeblich zur besonderen Atmosphäre der Geschichte bei. Sie ist bildhaft, poetisch und voller winterlicher Metaphern, wodurch die eisige Welt lebendig wird. Besonders die Beschreibungen der Landschaften – von der stürmischen Taiga bis zu den frostbedeckten Wäldern – sind detailreich und erzeugen eine märchenhafte Stimmung. Die Wortwahl bleibt einfach, aber wirkungsvoll. Besonders die Kontraste zwischen der Großen und der Kleinen Winterschwester spiegeln sich in der Sprache wider: Während die Schilderungen der Großen Winter von schneidender Kälte und stürmischer Wildheit geprägt sind, erscheinen die Passagen über die Kleine Winter verspielt. Die Dialoge sind lebendig und tragen zur Charakterentwicklung bei, während die inneren Monologe Alfreds seine Gefühlswelt authentisch darstellen. Seine Ängste, Zweifel und sein Mut werden nachvollziehbar geschildert.

Das Buch Die Winterschwestern könnte sich v.a. durch seine Themenvielfalt (Balance zwischen Gegensätzen, Mut, Identitätssuche, Natur und Magie, nordische Mythologie und Volksmärchen) gut für den Literaturunterricht eignen, insbesondere in der Unterstufe (ca. 5.-6. Klasse), auch weil die Sprache poetisch, aber nicht zu komplex ist. 

Die Methoden des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts sind vielfältig einsetzbar: Tagebucheinträge von Alfred oder Lila Schopf, Briefe der Großen Winterschwester an die Kleine, Berichte der Kleinen Winterschwester über die unendlich vielen Julfeste, die sie gefeiert hat; Illustrationen und künstlerische Gestaltung, Entwicklung von Theaterszenen, Vergleich mit anderen Wintermärchen oder nordischen Sagen.

Themen wie das Ausbalancieren von Gegensätzen, Mut, Identitätssuche können Gegenstand von Literaturgesprächen sein.