Buchcover Frankie und wie er die Welt sieht

Der zehnjährige Frankie ist in großer Sorge darüber, dass seine Eltern sich scheiden lassen. Einer...

Rezensiert von Anja Sieger

Natürlich kann man als Kind alleine und ohne Fahrkarte nach Venedig reisen. Man kann sich unsichtbar machen, die eigenen familiären Probleme lösen und den Freund beschützen. Und man kann natürlich auch die Arktis vor dem Wegschmelzen retten. All das ist möglich, wenn man Frankie heißt, zehn Jahre alt ist und ein großes Herz, ganz viel Mut und Fantasie besitzt und nicht darauf wartet, dass jemand anderes sich um die großen und kleinen Belange der Welt kümmert.

BuchtitelFrankie und wie er die Welt sieht
AutorZoran Drvenkar, illustr. v. Sabine Wilharm
GenreAbenteuer
Gegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter10+
Umfang148 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagHanser
ISBN978-3-446-28073-1
Preis16,00 €
Erscheinungsjahr2024

Der zehnjährige Frankie ist in großer Sorge darüber, dass seine Eltern sich scheiden lassen. Einer solchen Situation hilflos ausgeliefert zu sein, ist Frankies Sache jedoch nicht und so fährt er heimlich von Berlin zu seinem Vater, der inzwischen in Köln lebt. Sein Vater macht allerdings gerade mit seiner Freundin Nadine Urlaub in Venedig, und so reist Frankie weiter in die Lagunenstadt. Gemeinsam mit Nadine überzeugt er seinen Vater, nach Berlin zurückzukehren, um sich bei Frankies Mutter zu entschuldigen. Als das misslingt, quartiert sich sein Vater in einem Zelt im Garten ein und Frankie bei seinem besten Freund Lars. Auch dieser hat Probleme mit seinen Eltern bzw. seine Mutter und sein Vater miteinander und Lars als Leidtragender ein blaues Auge. Frankie zieht ohne Wissen seiner Eltern zu Lars und will so lange bleiben, bis es diesem wieder besser geht. Gemeinsam beschließen die beiden Jungen, zu Lars‘ Tante nach Madagaskar zu trampen bzw. – als das misslingt – zu fliegen. Aus diesem Tagtraum werden sie jedoch durch Frankies Mutter und seine Schwester Delia gerissen. Frankies Mutter entdeckt dabei Lars‘ blaues Auge und redet seiner Mutter ins Gewissen. Sie überzeugt sie zudem davon, dass es gut ist, wenn Frankie so lange bei Lars bleibt, wie dieser ihn braucht. Lars und seine Mutter versöhnen sich nach einigen Tagen, sodass Frankie wieder in sein Zuhause zurückkehren kann. Hier haben sich auch seine Eltern ausgesprochen. Weil diese Dinge in Ordnung gebracht sind, macht sich Frankie – gemeinsam mit Lars – auf in die Arktis, da man sich auch um diese kümmern muss.

Eine Leseprobe ist verfügbar. 

Frankie ist: ein zehnjähriger Junge, der eine Hose mit einer Tasche auf dem Knie allen korrekt produzierten Exemplaren vorzieht; ein zehnjähriger Junge, der in einem kleinen Buch Lebensweisheiten notiert und sie genau in dieser Hosentasche aufbewahrt; ein zehnjähriger Junge, der sich immer wieder unsichtbar macht und seinen Freund ohne dessen Wissen einfach so mit nach Venedig nimmt; ein zehnjähriger Junge, bei dessen Stirnrunzeln sich keine einzige Falte bildet.

Was für eine Freude, Frankie von Berlin nach Köln, Venedig, fast nach Madagaskar und in die Arktis begleiten zu dürfen – Zoran Drvenkar stellt mit Frankie und wie er die Welt sieht ein weiteres Mal unter Beweis, wie großartig er über Kinder zu schreiben vermag. Und das Buch ist – anders als es vielleicht die Inhaltsangabe vermuten lässt – kein schwermütig-trauriges, sondern eines, welches die zwischenmenschlichen und auch gesellschaftlichen Probleme auf eine leichte und immer wieder auch witzige Art und Weise zu erzählen vermag. Für den Humor im Buch sind neben situationskomischen Momenten (z.B., wenn Frankie in der Gefriertruhe sitzend erforscht, wie Wasser zu Eis wird) v.a. die Dialoge zwischen den Erwachsenen und dem Kind verantwortlich. In diesen zeigt sich beispielsweise, dass Frankie über deutlich mehr Humor verfügt (z.B. S. 38) oder gekonnt mit Sprache jonglieren kann (z.B. S. 44.) Besonders witzig ist das Gespräch mit dem Punk, der von Frankie daran erinnert werden muss, dass Punker alles machen würden, was verrückt ist, und dieser daraufhin erwidert, dass er „erst seit zwei Wochen Punker“ (S. 94) sei. Im Buch gibt es immer wieder solche Momente, in denen Frankie den Erwachsenen einen Spiegel vorhält oder sich deutlich erwachsener (verantwortungsbewusster) als diese verhält. Dabei ist er aber keineswegs altklug, sondern lediglich aufmerksam seinen Mitmenschen gegenüber und selbstlos in seinem Handeln – in schwierigen Zeiten sollte jeder von uns einen Frankie an seiner Seite haben. Frankie bietet sich aber auch darüber hinaus als Identifikationsangebot für kindliche Leserinnen und Leser an, ist er doch ausgesprochen mutig, ideenreich und fantasievoll. Und da soll es auch überhaupt nicht stören, wenn er – wie seine Notizen es zeigen – in der Rechtschreibung nicht sattelfest ist. Auch „Frankie kümmert das nicht. Er kann sehr gut lesen, was da steht.“ (S. 34)

Aber nicht nur Frankie sorgt mit seinen Eigenschaften dafür, dass das Buch eine große Nähe zu den Lesenden aufbaut, sondern auch der Erzähler. Dieser nimmt als allwissender und außenstehender Erzähler die Rezipient:innen an die Hand und leitet sie durch eine Geschichte, die einige Zeitsprünge aufweist. Formulierungen wie „Damit ihr versteht, warum Delia dachte, Frankie wäre wieder unsichtbar, gehen wir jetzt zwei Jahre zurück.“ (S. 16) oder „Um zu verstehen, wie Frankie von Berlin nach Köln kam, müssen wir ein paar Schritte zurückgehen. Wir gehen so weit zurück, bis wir wieder im Café sitzen und auf die vier leeren Gläser schauen – Frankie hat eben den letzten Erdbeershake ausgetrunken, und es fiel ihm nicht wirklich leicht.“ (S. 33) helfen bei der Orientierung im zeitlichen Davor und Danach. Auf diese Art und Weise können auch Kinder, die naturgemäß eine geringere Leseerfahrung haben, dem Handlungsgang gut folgen. Trotz dieser Art des Erzählens / des Erzählers wird nicht alles aufgelöst bzw. bis ins Detail erklärt, wobei sich vermutlich eher erwachsene Leser:innen am Unsichtbarmachen oder am Mitreisen, aber nicht Dabeisein von Lars nach Venedig stören und hierin etwas Unlogisches sehen werden. In Hinblick auf die Nähe zum Erzählten gefällt zudem die Verwendung des Präsens, welches die Lesenden noch mehr mit Frankie mitfiebern lässt.

Sprachlich überzeugt das Buch durch seine gelungenen Vergleiche. Formulierungen wie „Sein Kopf ist hochrot vom Klettern, dennoch grinst er wie ein Haifisch, der was zu futtern gefunden hat.“ (S. 82) oder „Nebenan im Wohnzimmer ist es recht ungemütlich. Eva fühlt sich wie ein Schrank, der falsch zusammengebaut wurde.“ (S. 114) sorgen für eine hohe Anschaulichkeit und vermögen es so, die jeweils herrschende Stimmung greifbar zu machen. Dennoch ist die sprachliche Gestaltung auch im Zusammenhang mit den teilweise recht komplexen Satzstrukturen eher für geübtere Leserinnen und Leser geeignet. 

In Hinblick auf die Buchgestaltung stimmt diese Einschränkung jedoch nicht; wir haben mit 148 Seiten eine altersgerechte Textlänge und in der Regel kurze Kapitel, die optisch auch noch einmal untergliedert sind. Die jeweils an den Kapitelbeginn gesetzten Illustrationen von Sabine Wilharm vermitteln einen ersten Eindruck, worum es jeweils gehen könnte, und laden gemeinsam mit den Überschriften zum Lesen ein. Auch das von ihr gestaltete farbenfrohe Cover erfüllt diese Funktion.

Frankie und wie er die Welt sieht ist:

ein Kinderbuch mit einer ganz besonderen Hauptfigur, die vollkommen zu sich steht und sich für andere einsetzt; ein Kinderbuch mit Tiefsinn, das ganz leicht erzählt daherkommt; ein Kinderbuch, das dazu einlädt, Abenteuer zu erleben und selbst aktiv zu werden; ein Kinderbuch, das an uns alle appelliert, niemals aufzugeben.

Kinder, die sich für eine großartige Freundschafts- und Familiengeschichte interessieren und die auf der Prozessebene des Lesens keine (größeren) Schwierigkeiten haben, werden sicherlich an Frankie und wie er die Welt sieht mit seiner spannenden Handlung und besonderen Hauptfigur ihre Freude haben. Diesbezüglich ist das Buch v.a. für die private Lektüre, aber auch für die Klassenbibliothek (Lesestoff für freie Lesezeiten / Vielleseverfahren) zu empfehlen.

Aufgrund der im Buch verhandelten Themen ist das Kinderbuch aber auch als Gegenstand des Deutschunterrichts sehr gut denkbar. Leseschwächere Schüler:innen können hierbei von dem von Herbert Schäfer eingelesenen Hörbuch profitieren. Dieses war 2025 für den Deutschen Hörbuchpreis (Kategorie Kinderhörbuch / Shortlist) nominiert und der Hörbuchverlag Der Diwan verweist zurecht darauf, dass der „Sprecher Herbert Schäfer […] dem emotionalen Tiefgang der Geschichte absolut gerecht“ werde. (https://der-diwan.de/drvenkar-frankie-und-wie-er-die-welt-sieht/, zuletzt aufgerufen 26.03.2025)

In Hinblick auf die Funktionen von Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht, wie sie beispielsweise von Cornelia Rosebrock konstatiert worden sind, besteht bei Frankie und wie er die Welt sieht erfreulicherweise Potenzial für alle drei Funktionen, sodass das Buch nicht nur als Themenlieferant für einen problemorientierten Literaturunterricht gesehen werden sollte. Viel spannender ist es zu untersuchen, wie bzw. wodurch der Protagonist Frankie die Sympathien der Lesenden weckt, und mit Blick auf den Aspekt der Perspektivübernahme das literarische Lernen der Schülerinnen und Schüler zu befördern. Hinsichtlich dieser Funktion von Kinder- und Jugendliteratur – und dieses Aufgabenbereichs des Literaturunterrichts – bietet sich aber auch eine Beschäftigung mit der Erzählergestaltung und in diesem Zusammenhang mit der Struktur des Buches an.

Vorstellbar wäre im unterrichtlichen Zusammenhang (in lesestärkeren und diesbezüglich homogeneren Klassen) auch eine vergleichende Lektüre und damit eine arbeitsteilige Vorgehensweise, indem neben dem Roman von Zoran Drvenkar das Kinderbuch Die unglaubliche Wunderreise des Freddie Yates von Jenny Pearson den Schüler:innen zur Wahl angeboten wird. (Mehr zum Buch bei boys&books, 10+, 10. Durchgang.) Beide Bücher weisen inhaltlich-thematische Gemeinsamkeiten auf, die den Ausgangspunkt für eine vergleichende Betrachtung bilden sollten. Unterschiede gibt es u.a. bezüglich der Frage, wie das Geschehen jeweils erzählt wird. Insbesondere in der Auseinandersetzung mit diesen kann wiederum das literarische Lernen der Lesenden befördert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass auktorialer Erzähler nicht gleich auktorialer Erzähler ist und dieser dementsprechend auch eine unterschiedliche Funktion übernehmen kann. 

Eine gemeinsame Behandlung von zwei Büchern bietet darüber hinaus durch die Möglichkeit der Wahl die Chance, die Schüler:innen besonders für die Lektüre zu motivieren. Wenn sie nach dem unterrichtlichen Austausch Lust darauf bekommen, auch das von ihnen nicht gewählte Buch zu lesen, zeigt sich ein besonderer Moment von Leseförderung.