Rezensiert von Daniel Zonsius
Jake ist 14, hat eine große Leidenschaft für Musicals–und eine Stimme in seinem Kopf. Die Stimme redet ihm ein, er sei nichts wert, habe keinen Platz auf dieser Welt, niemand könne ihn mögen. Und sie verbietet ihm zu essen. Niemand bemerkt, wie schlecht es Jake geht, bis es beinahe zu spät ist: Mit einer lebensbedrohlichen Magersucht kommt er in eine Klinik, in der er sein nächstes Lebensjahr verbringen wird, um wieder zu lernen, dass auch er Glück und Liebe verdient hat.
Buchtitel | Louder Than Hunger |
Autor | John Schu, übers. v. Maren Illinger |
Genre | Coming of Age |
Lesealter | 14+ |
Umfang | 514 Seiten (allerdings immer nur wenige Sätze auf jeder Seite) |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | Fischer Sauerländer |
ISBN | 978-3-7373-4397-8 |
Preis | 19,90 € |
Erscheinungsjahr | 2025 |
Jake ist ein feinfühliger 14-Jähriger mit einer Leidenschaft für Musicals, Gesang und die Gedichte Emily Dickinsons, die ihn in der Schule zum Außenseiter und zur Zielscheibe für Mobbing macht. Zusätzlich lasten schwierige Familienverhältnisse auf ihm: Mit seinem Vater, einem typischen „blue collar man“, verbindet ihn kaum etwas und die Depression seiner Mutter nimmt innerhalb der Familie so viel Raum ein, dass kaum Aufmerksamkeit mehr für Jakes Sorgen bleibt. Einzug zu seiner lebensfrohen Großmutter, die seine Liebe für Musik und Musicals teilt und bei der er immer die Wochenenden verbringt, hat Jake ein gutes Verhältnis.
In der Folge entwickelt Jake Angst- und Zwangsstörungen und eine lebensbedrohliche Magersucht, die im Roman durch eine übermächtige Stimme („Louder than Hunger“) repräsentiert wird. Die Handlung setzt ein als Jake so sehr abgenommen hat, dass er stationär behandelt werden muss. Jake wird über 300 Tage in der Klinik bleiben, da er sich gerade an dem Ort, der ihm Hilfe und Beistand anbietet, verweigert und er erst lernen muss, Vorbehalte gegenüber anderen abzubauen und anderen zu vertrauen.
Sein Kampf gegen die Magersucht ist lang und beschwerlich, er erlebt Rückschläge und muss lernen, mit Gefühlen umzugehen, die er sich nicht eingestehen will. Er stellt aber auch fest, dass es Menschen gibt, die ihn wertschätzen, seine Leidenschaft teilen, deren Gesellschaft ihm gut tut und die mit ihm befreundet sein wollen. Nach und nach stellt er sich seiner Magersucht und lernt schließlich, dass er es verdient hat, glücklich zu sein und sich gegen die innere Stimme zu wehren.
Eine Leseprobe ist verfügbar.
In „Louder Than Hunger“ erzählt John Schu fiktionalisiert von seinen eigenen Erfahrungen als Jugendlicher, der mit Magersucht kämpft und liefert nicht nur eine fesselnde, emotionale Geschichte, sondern schafft es mit seiner Erzählung über Essstörungen bei Jungen auch, einen schonungslos ehrlichen und authentischen Einblick in ein sensibles Thema zu vermitteln, das in der Öffentlichkeit sonst wenig Aufmerksamkeit erhält.
Dabei zeichnet der Roman ein sehr intimes Portrait eines Jungen, der sich nicht zugehörig fühlt und dessen Verzweiflung sich schlussendlich gegen ihn selbst richtet. Jakes Erfahrungen werden den Leser*innen in einer Form, die an eine Mischung aus innerem Monolog und Tagebucheinträgen erinnert, aus seiner Innenperspektive vermittelt: Anders als bei klassischen Erzählformen beschränkt sich „Louder Than Hunger“ strikt auf das innere Erleben des Protagonisten, der sich im ständigen (Streit-)Gespräch mit sich und seiner inneren Stimme befindet, die ihm unaufhörlich einhämmert, nicht gut genug zu sein, nichts essen, keinen Raum einnehmen zu dürfen und niemandem außer ihr zu vertrauen. Indem äußere Erlebnisse durch die Reaktionen und Reflexionsprozesse in Jakes Bewusstsein wiedergegeben werden, fühlt man sich Jake als Leser*in außerordentlich nahe und erlebt die inneren Konflikte, Stürme und destruktiven Gedankenspiralen Jakes unvermittelt mit. Diese Sogwirkung wird durch eine formale und typographische Besonderheit des Romans verstärkt: Der Text ist nicht im prosaischen Blocksatz formatiert, sondern erinnert formal an einen Versroman, bei dem jede Seite nur wenige Sätze beinhaltet, die im Arrangement kunstvoll an den jeweiligen Inhalt beziehungsweise die Gefühlslage Jakes angepasst sind: Jakes innere Stimme ist fett und in Großbuchstaben gedruckt, Wörter dehnen sich diagonal aus, sich wiederholende Gedankenspiralen spiegeln sich in Wiederholungen einzelner Worte oder Sätze über eine ganze Seite. Trotz des Umfangs von etwas mehr als 500 Seiten liest sich der Roman deshalb leicht an einem Nachmittag.
„Louder Than Hunger“ ist trotzdem keine leichte Kost. Jakes Kampf mit der Magersucht ist kein Prozess der steten Verbesserung, es gibt keinen „magischen Moment der Heilung“, von dem an es nur noch bergauf geht, sondern Jakes Klinikaufenthalt ist geprägt von konstanten Rückschlägen, Widerständen und Verlust. Die schonungslose Ehrlichkeit, mit der John Schu das Thema Magersucht angeht, erspart den Leser*innen des Romans nämlich nicht die tragische Wahrheit über die Krankheit, deren Heilungsprozess schwierig, schmerzhaft und langwierig ist und mit deren Folgen Betroffene über Jahre kämpfen.
Nichtsdestotrotz – oder gerade deshalb – ist „Louder Than Hunger“ ein wertvolles Buch, das mit viel Empathie und Feingefühl und auf authentische, poetische und fesselnde Weise die Erfahrungen und den Gefühlsraum eines Jungen mit Essstörung vermittelt. Wer selbst unter einer Essstörung leidet, findet in Jakes Geschichte vielleicht Trost und Unterstützung. Allen anderen ermöglicht der Roman einen Zugang zu einer unterrepräsentierten Thematik.
„Louder Than Hunger“ eignet sich sowohl als private Lektüre als auch zur Behandlung im Unterricht. Dabei ist zuallererst auf einen sensiblen und bewussten Umgang mit dem Themenkomplex Mobbing, Essstörung, Mental Health und Klinikaufenthalt zu achten.
Der geringe Umfang des Werkes bietet im schulischen Kontext den Vorteil, in eine kürzere Unterrichtseinheit mit klarem thematischem Fokus eingebunden werden zu können, wobei die formale Gestaltung des Romans auch genug Anreiz zur sprachlich-stilistischen Analyse im Literaturunterricht bieten.
Darüber hinaus kann „Louder Than Hunger“ auch für die Auslage in (Schul-)Bibliotheken empfohlen werden.