Rezensiert von Barbara Reidelshöfer
Wo ist Rafael? Was macht er in der Isolationszelle? Und wer ist er überhaupt? Nach und nach fügen sich bruchstückhafte Erinnerungen zu einer Wahrheit zusammen, die einen erschreckenden Ausblick auf die menschliche Zukunft gibt. Genesis Rebooted - Ein fesselnder dystopischer Sci-Fi-Thriller für alle, die spannende Plots lieben!
Buchtitel | Genesis rebooted. Wir müssen hier raus. Schnell |
Autor | Frank Maria Reifenberg |
Genre | Krimi & Thrill Science Fiction |
Lesealter | 14+ |
Umfang | 173 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | dtv |
ISBN | 978-3423741156 |
Preis | 14,00 € |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Raphael erwacht in einem fensterlosen Raum, ohne Erinnerungen an sein früheres Leben, seine Familie und Freunde. Seine Vergangenheit ist wie ausgelöscht und auch seine Gegenwart ist ihm fremd und wird zunehmend unheimlich. Ihm wird gesagt, er sei 16 und habe sich freiwillig für ein wissenschaftliches Experiment gemeldet. Doch die sterile, abgeschottete Umgebung, das kontrollierte, anonyme Umfeld und die Betreuer, die nur das Notwendigste mit ihm sprechen und nichts erklären, wecken in ihm Zweifel.
Bruchstückhaft kehren Erinnerungen zurück: an seinen Vater, seinen kleinen Bruder, sein Leben zuhause, seinen besten Freund Moussa, an dessen Schwester Assiata – und daran, dass er sich freiwillig für das sozialpsychologisches Experiment gemeldet hat. Doch was harmlos geklungen hat, wird immer mehr zur bedrohlichen Erfahrung: Er entdeckt Hinweise auf andere Teilnehmer, verschlüsselte Botschaften, eine zweite Ebene hinter dem Offensichtlichen. Stück für Stück entfaltet sich ein beunruhigendes Bild: von einer Welt, in der Bewusstsein gespeichert, kontrolliert und vielleicht sogar ersetzt werden kann. Doch kann Raphael sich selbst – und anderen – überhaupt noch trauen? Vielleicht ist doch nur alles Einbildung? Oder gibt es Rafael etwa gar nicht?
Eine Leseprobe ist verfügbar.
Mit Genesis Rebooted hat Frank Maria Reifenberg wieder einen besonderen Roman vorgelegt, der wichtige Themen unserer Gegenwart aufgreift und sie in ein mitreißendes Jugendbuch verwandelt. Das Besondere ist hierbei, dass die Themen wie Pandemien, Klimakatastrophen, gesellschaftliche Ungerechtigkeit, Rolle der KI im Hintergrund des Romans stehen, dabei aber nicht den spannenden Plot überfrachten. So kann man den kurzen Roman sicher auch nur als unterhaltsamen Thriller lesen, ohne sich mit den philosophischen Fragen um Identität und Bewusstsein auseinandersetzen zu müssen. Aber der Roman schafft es, kleine Widerhaken zu setzen, die viele Lesenden dazu anregen können, sich weiterführende Gedanken zu machen. Denn Reifenberg versteht es, die Komplexität so spannend zu verpacken, dass man sich zwangsweise für sie interessiert. So bieten beispielsweise die verschiedenen Zitate zur Menschheitsgeschichte, zur Überlebensfähigkeit der Menschen und zu den ersten Rechensystemen als Vorläufer der KI, die der Autor den einzelnen Kapiteln voranstellt, spannende Ansatzpunkte zum Nachdenken.
Der dystopische Science-Fiction Roman bietet mit dem 16-jährigen, sportlichen Rafael mit Faible für Workouts einen Protagonisten, dessen Hintergrund und Charakter für Jugendliche ausreichend Identifikationspotential bietet. So entsteht gleich zu Beginn Mitleid für ihn, der irgendwo eingeschlossen zu sein scheint, der sich festzuhalten versucht an ein paar wenigen Erinnerungen und einer nur in Schemen erkennbaren Vergangenheit. Allerdings muss man als Leser*in durch das Verwirrspiel des Textes den Protagonisten erst einmal kennenlernen. Dies geschieht nur Stück für Stück, wodurch die Neugierde des*der Leser*in angefacht wird. Häufig weiß man nicht, was wahr, geträumt, (falsch) erinnert ist. So übernehmen die Lesenden teilweise auch Rafaels Unsicherheit in Bezug auf die Wirklichkeit, in der er zu leben scheint. Gerade das macht den besonderen Sog des Romans aus. Man möchte unbedingt wissen, wo sich Rafael befindet, warum er dort ist, wer ihm geheime Nachrichten schreibt, was mit ihm los ist und wer er ist. Diese Konstruktion der Wirklichkeit, die erzähltechnisch durch kurze Textschnipsel nach und nach erweitert wird und aus ständigen Reboots dargestellt wird, ist mitunter etwas repetitiv angelegt. So ähneln sich einzelne Passagen bis auf winzige Details fast vollständig, sodass man durch genaues Lesen nach und nach die zerrissenen Erinnerungen entschlüsselt und Rafaels Geschichte mehr und mehr auf die Spur zu kommen glaubt.
Der spannende Plot und die kurzen Sinnabschnitte helfen dabei, am Text ´dranzubleiben`, auch wenn die redundante Verwirrstruktur den ein oder anderen Jugendlichen herausfordern dürfte, wobei gerade der Rätselcharakter den besonderen Sog des Romans ausmacht. Zwischendurch erfährt man in längeren Erinnerungspassagen etwas über den Beginn des Experiments und die Phase, in der Rafael Bekanntschaften mit weiteren Teilnehmer*innen des Camps macht. Diese Textstellen erhöhen das Identifikationspotential mit dem Jungen merklich und stellen gerade für schwächere Leser*innen einen einfacheren Zugang zum Text her. Da der Roman nicht – wie häufig im Jugendbuch üblich – mit einem gewöhnlichen Happy End abschließt, kann er bei den Lesenden vielleicht etwas Verunsicherung und Frustration auslösen. Andererseits ist der gelungene Twist so temporeich und überraschend erzählt, dass die Geschichte aus einem neuen Licht erscheint – und man eigentlich das Buch gleich noch einmal lesen will, um zu überprüfen, ob und wie genau eigentlich alles zusammenhängt.
Besonders geeignet erscheint der Roman aufgrund seiner Kürze, der leicht zugänglichen Sprache sowie dem rasanten Plot. Rund 170 Seiten Umfang lassen auch Jugendliche zum Buch greifen, die in ihrer Freizeit üblicherweise nicht lesen wollen. Hierbei unterstützt auch das Cover, das technologieaffine (und literaturferne) Leser*innen ebenso anspricht wie das aktuelle Thema KI.
Der Titel bietet sich für verschiedene Aspekte der Leseförderung an. So ist er auf alle Fälle ein ansprechender Roman für die Freizeitlektüre, aber auch für schulische Vielleseverfahren. Für Jugendliche, die Interesse an technologischen Themen haben und Wert auf Spannung legen, kann Genesis rebooted neues Lesefutter sein oder auch einen Wiedereinstieg ins Lesen bieten. Ist das Interesse dann (wieder) geweckt, dürften Romane von Olsberg (Boy in a white room / Das System), Ursula Poznanski (Thalamus) oder Neil Shusterman (Scythe) zum Weiterlesen animieren. Auch aufgrund seiner Kürze sollte es in (schulischen) Bibliotheken zum Ausleihen angeschafft sein, hier kann es z. B. in multimedialen Thementischen zu Themen wie KI / Wirklichkeit / Zukunft präsentiert werden.
Reifenbergs Roman eignet sich für kreative kooperative Projekte wie Bookslams ebenso wie für individualisierte differenzierende Leseverfahren. So bietet sich Genesis rebooted für themen- oder genrebezogene Unterrichtsverfahren an (z. B. Dystopien für Jugendliche, KI als Thema im Roman). Auch fächerübergreifend kann mit dem Werk gut gearbeitet werden, spannende Projektthemen ließen sich hier zusammen mit den Fächern Ethik bzw. Religion, aber auch Kunst sowie Informatik finden.
Nicht zuletzt ist Genesis rebooted als Lektüre ab der 8. Jahrgangsstufe im Deutschunterricht einsetzbar, zumal in eher leseschwachen Klassen, die aber dennoch Interesse an zukunftsweisenden Themen und Fragestellungen haben. Ausgehend vom Roman entsteht hier viel Raum für (literarische) Anschlusskommunikation, aber auch für Verknüpfung z. B. zum materialgestützten Schreiben.