Buchcover Die Großstadt-Detektive – Wer schnappt den Dieb?

Der Viertklässler Jona, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist in den Sommerferien...

Rezensiert von Prof. Dr. Christine Garbe

Jona ist neu in der Klasse 4c einer Berliner Grundschule und muss sich mit den Hänseleien seines großmäuligen Tischnachbarn Deniz auseinandersetzen. Doch dann geraten die beiden in Verdacht, das Handy einer Mitschülerin gestohlen zu haben, und sie beschließen, gemeinsam den wirklichen Dieb zu finden. So beginnt die ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Jungen verschiedener Herkunft und Religion - ein spannendes Großstadtabenteuer, bei dem sie weiteren Diebstählen auf die Spur kommen.

BuchtitelDie Großstadt-Detektive – Wer schnappt den Dieb?
AutorEva Lezzi, illustr. v. Daniela Kohl
Lesealter8+
Umfang187 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagBeltz & Gelberg
ISBN978-3-407-75934-4
Preis14,00 €
Erscheinungsjahr2024

Der Viertklässler Jona, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist in den Sommerferien mit seiner Familie von Lübeck nach Berlin umgezogen und muss sich nun den Herausforderungen der multikulturellen Großstadt in seinem neuen Moabiter ‚Kiez‘ stellen. Der erste Schultag beginnt nicht gut: Er wird neben den muslimischen, türkisch-stämmigen Schüler Deniz gesetzt, der ihn hänselt und schikaniert. Jona, als Jude mit russischen Wurzeln an Ausgrenzung gewöhnt, würde sich am liebsten in seine alte Heimat zurückbeamen, aber er muss sich mit den neuen Gegebenheiten auseinandersetzen. Und dann entwickeln sich die Dinge plötzlich ganz anders als von ihm befürchtet. Die beiden Jungen werden nach einem unerlaubten ‚Ausflug‘ in der Mittagspause verdächtigt, das Handy der Mitschülerin Laura gestohlen zu haben und zunächst scheint alles gegen sie zu sprechen. Doch dann raufen sich Jona und Deniz zusammen und beschließen, den wirklichen Dieb zu finden, um ihre Unschuld zu beweisen. Bei dieser Suche stoßen sie auf weitere Diebstähle, vor allem den großen Einbruch im Juweliergeschäft von Herrn Hansen, der den alten Mann zu ruinieren droht. Mit der tatkräftigen Unterstützung von drei Mitschüler*innen - Max, Laura und Irina – gelingt es dem Duo in vielen cleveren Aktionen schließlich, sowohl den Handydieb als auch die Schmuckdiebe zu überführen. Laura erhält ihr Handy zurück und sogar einen Preis bei dem Fotowettbewerb ihres Stadtteils. Herr Hansen kann sein Juweliergeschäft weiterführen, und die fünf Freund*innen sind zu einem großartigen Team zusammengewachsen - und Jona ist nun in seiner neuen Heimat angekommen. 

Eine Leseprobe ist online verfügbar. 

Das neue Buch von Eva Lezzi ist ein richtig gut erzählter Großstadtroman aus dem heutigen Berlin und zugleich eine aktionsreiche Detektiv- und Freundschaftsgeschichte. Es ist personal aus der Perspektive des jüdischen Protagonisten Jona erzählt, der mit seiner Familie von Lübeck nach Berlin umziehen und sich nun in einer multikulturellen Grundschule in der Großstadt zurechtfinden muss. Der neue Sitznachbar Deniz, ein Muslim mit türkischem Migrationshintergrund, beginnt sofort ihn zu hänseln und zu provozieren. Doch das verschwundene Handy der Mitschülerin Laura, in die Deniz heimlich verliebt ist, zwingt die beiden, zusammenzuarbeiten, um den Verdacht gegen sie abzuwenden. Sie beschließen also, die Aufklärung des Handydiebstahls selbst in die Hand zu nehmen und zu „Großstadt-Detektiven“ zu werden. 

Das ist der Ausgangspunkt einer spannenden Geschichte, die sich in 18 kurzen Kapiteln auf rund 180 Seiten mit vielen überraschenden Wendungen entfaltet. Dabei wird in erzählerisch überzeugender Weise ein authentisches Bild einer multikulturellen Grundschule im heutigen Berlin gezeichnet: Von den fünf Viertklässlern, die im Zentrum der Handlung stehen, haben vier einen Migrationshintergrund und gehören unterschiedlichen Religionen und Kulturen an: Neben dem jüdischen Jona (dessen Familie offenbar aus Russland stammt) und dem türkisch-stämmigen Deniz (der ein Moslem ist) stammt Laura offenbar aus einem afrikanischen Land und Irina aus Russland, der einzige deutschstämmige Schüler ist Max. Die fünf Figuren repräsentieren damit ziemlich exakt die multikulturelle Zusammensetzung der Schülerschaft in einer großstädtischen Grundschule der Gegenwart. Besonders gelungen ist dabei, dass die gesellschaftspolitische Dimension der Geschichte mit den Themen Migration, Multikulturalität und verschiedener Religionszugehörigkeit ganz dezent im Hintergrund bleibt: Diese Themen werden so selbstverständlich miterzählt wie sie eben heute selbstverständlich sind, einschließlich der damit verbundenen Konflikte. Auch die Mehrsprachigkeit heutiger Schüler*innen kommt zur Geltung, denn die Protagonisten verwenden immer wieder Ausdrücke aus ihren Herkunfts- bzw. Religionssprachen (Hebräisch, Russisch, Türkisch), die in einem zweiseitigen Glossar am Ende des Buches erläutert werden. 

Die zwei Hauptprotagonisten der Geschichte – Jona und Deniz – werden durch ihre Handlungen und Dialoge differenziert charakterisiert und machen im Verlauf der Handlung beide eine eindrucksvolle innere Entwicklung durch: Der eher introvertierte und schüchterne Jona gewinnt an Selbstbewusstsein und wird sich durch die Begegnung mit Deniz (und seiner Mutter Melek, die eine türkische Imbissbude betreibt) und durch die vielen heimlichen Aktionen bei der Suche nach den Dieben seiner eigenen Stärken bewusst. Der großmäulige und immer schlagfertige Deniz, der insgeheim unter dem Verlust seines früh verstorbenen Vaters leidet, kann sich mehr und mehr öffnen und seine Gefühle zulassen. Auch die anderen drei Protagonisten, die das Detektivteam im Laufe der Geschichte erweitern – Max, Irina und Laura – werden dezent, aber treffend in ihrer jeweiligen Individualität charakterisiert. Und schließlich entsteht durch die rasante Abfolge von auch gefährlichen Aktionen, die die fünf Protagonisten bewältigen müssen, eine neue Freundesclique, die gelernt hat, einander zu respektieren und sich aufeinander zu verlassen. Insofern hat diese Geschichte auch eine utopische Dimension.

Die Geschichte ist aktionsreich erzählt und vermittelt – ganz in der Tradition von Kästners Emil und die Detektive – viel Berliner Lokalkolorit; darüber hinaus gibt sie einen authentischen Einblick in die multikulturelle Schülerschaft einer heutigen Grundschule in Berlin-Moabit. Dieses Buch erzählt von Toleranz und Integration, von Akzeptanz und Freundschaft, aber alles nebenbei und auf sehr humorvolle Weise. Die spannende Handlung lässt keine Langeweile aufkommen, sie verfolgt klar einen roten Faden, ist in sich stimmig und logisch und hält immer mal eine kleine Überraschung bereit – ein sehr empfehlenswertes kurzweiliges Lesevergnügen für Kinder und Erwachsene.

Allerdings sollte beachtet werden, dass es sich hier durchaus um ‚anspruchsvollen‘ Lesestoff handelt: Das Buch ist ganz überwiegend textlastig und wird nur durch sparsame (und häufig recht kleine) Schwarz-Weiß-Illustrationen aufgelockert. Und es ist mit rund 180 Seiten auch recht umfangreich. Zur selbstständigen Lektüre ist es daher eher für fortgeschrittene Leser*innen ab 8 oder 9 Jahren zu empfehlen; zum Vorlesen (auch in der Grundschule) kann es aber sicher bereits ab der zweiten Klasse eingesetzt werden. 


Die Großstadt-Detektive sind sowohl als Klassenlektüre im Literaturunterricht der 4. bis 6. Klassenstufe als auch zum Vorlesen oder zur selbstständigen Freizeitlektüre geeignet. Bislang liegt das Buch in keiner anderen medialen Form (z.B. Hörbuch, Film) vor und es scheint auch keine Fortsetzung geplant zu sein. 

Da es in viele kurze Kapitel (von 4 bis 6 Seiten) unterteilt ist, die jeweils spannend erzählt sind und oft überraschende neue Wendungen bringen, eignet es sich sehr gut zum Vorlesen im Klassenverband. Pro Stunde kann dann ein Kapitel vorgelesen und anschließend können mit den Schüler*innen die sie bewegenden Fragen besprochen werden. 

Zu empfehlen ist auch eine Kombination von Vorlesen und Behandlung im Unterricht: Es könnte ein Handlungsstrahl erarbeitet werden, und die fünf Figuren im Zentrum der Handlung können in ihren Eigenheiten sowie ihren verschiedenen kulturellen und religiösen Prägungen erarbeitet werden. Die personale Erzählperspektive aus der Sicht von Jona kann bewusst gemacht und untersucht werden, indem einzelne Szenen aus der Perspektive von Deniz oder von anderen Figuren erzählt werden, und schließlich können viele Methoden des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts eingesetzt werden (von bildlichen Konkretisierungen oder medialen Umsetzungen bis zum darstellenden Spiel), um die Schüler*innen in die Lektüre des Buches zu verstricken.

Zur selbstständigen Lektüre in der Freizeit – etwa im Rahmen von Vielleseverfahren oder Verfahren der Leseanimation wie der Erstellung eines Lesetagebuches, der Gestaltung einer Leserolle oder andere Formen der Buchvorstellung – sollte dieses Buch allerdings nur bereits fortgeschrittenen Leser*innen dieser Altersgruppe empfohlen werden, da es hinsichtlich Umfang und Textlastigkeit durchaus anspruchsvoll ist.