Rezensiert von Doris Schmitt-Constabel
Gordon Gans gilt als fiesester Oberfiesling weit und breit. Er zertrampelt Sandburgen, schreit Babys an und boxt Haie in den Bauch. Eines Tages schickt er Ferkel Anton zum geöffneten Tigerkäfig. Doch als Anton kurze Zeit später überraschend lebendig vor ihm steht und ihm dazu noch eine Blume überreicht, gerät das Leben des fiesen Gordon völlig durcheinander. Was will Anton von ihm? Gordon will das unbedingt herausfinden und macht dabei eine erstaunliche Entdeckung.
Ein besonders kurzweiliges Lesevergnügen zum Mitlachen wie Nachdenken gleichermaßen.
Buchtitel | Gordon. Gans schön fies |
Autor | Alex Latimer, übers. v. Kathrin Köller, illustr. v. Alex Latimer |
Genre | Humor & Komik |
Lesealter | 8+ |
Umfang | 113 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | ueberreuter |
ISBN | 9783764152970 |
Preis | 14,00 € |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Gordon Gans gehört nicht nur zum Club der fiesen Gänse. Nein, er ist sogar der fieseste unter ihnen. Selbst die niederträchtigen Clubmitglieder Rocky Rockerbrille, Stechaugen-Tula, Siggy Schnappzahn und Scotty McSchreihals lassen sich von Gordon einschüchtern. Denn er schreit noch lauter, schnappt noch fester zu und übertrifft sie alle in ihren bösartigen Eigenschaften. Bereits zum achten Mal hat er deshalb den Pokal „Oberfiesling des Jahres“ gewonnen.
Jeden Morgen plant Gordon neue Bosheiten, mit denen er andere ärgert, provoziert und quält. Er schickt kleine Mäuse mit einem Heliumballon in die Luft, zertrampelt Sandburgen und schlägt Leuten das Eis aus der Hand. Eines Tages schickt er sogar als Tierwärter verkleidet Schweinchen Anton vor den geöffneten Tigerkäfig. Wie durch ein Wunder kann Anton entkommen und schenkt dem verdutzten Gordon einige Stunden später eine kleine Blume.
Gordon Gans ist sprachlos, durcheinander und seitdem nicht mehr er selbst. Als er am nächsten Tag wie gewohnt seinen gemeinen Unternehmungen nachgeht, versagt ihm nicht nur seine laute Schreistimme, auch seine Kraft fehlt. Denn der sonst so selbstsichere Bösewicht ist einfach nicht mehr richtig bei der Sache - seine Gedanken kreisen ununterbrochen um die Blume. Selbst der Rat der fiesen Gänse kann dem verwirrten Oberfiesling nicht weiterhelfen. Schließlich bleibt Gordon nichts anderes übrig, als auf Anton zuzugehen und ihn nach dem Grund für sein Geschenk zu fragen. Die Antwort des kleinen Schweinchens bringt Gordon nicht nur völlig durcheinander, sondern krempelt schließlich das Leben der mürrischen Gans komplett um. Denn mit Antons Hilfe beginnt Gordon ganz langsam zu verstehen, dass fies sein nicht gleich mutig ist.
Eine Leseprobe ist verfügbar.
Gordon ist überzeugt: Mutig sein bedeutet fies sein. Aus diesem Grund bringt er freudig jeden Tag aufs Neue seine Umwelt in missliche Situationen, genießt es, Schwächere zu ärgern und fühlt sich dabei mächtig stark. Doch auf einmal versteht er die Welt nicht mehr: Ausgerechnet Schweinchen Anton, das er – der Oberfiesling Gordon – bewusst in eine lebensgefährliche Situation gebracht hat, schenkt ihm eine Blume. Jener Anton ist in den Augen der gefürchteten Gans doch ‚nurʻ ein kleines schwaches Ferkel und dennoch reagiert dieses keineswegs ängstlich, sondern stellt sich Gordon mutig in den Weg.
Im weiteren Handlungsverlauf lässt Gordon diese Sache nicht mehr los. Seine Gedanken kreisen nur noch darum, wie in Wort und Bild gleichermaßen deutlich erkennbar wird. Gordons routinierte Tagesabläufe gelingen nicht mehr, er ist unkonzentriert, kraftlos und kann nachts nicht mehr schlafen. Warum erhält ausgerechnet er ein Geschenk?
Mit diesem so ausführlich gestalteten Gedankenkarussell, in dem sich der Protagonist befindet, knüpft Alex Latimer direkt an die Erfahrungen seiner jungen Lesenden an und gibt ihnen damit viel Spielraum zum Interpretieren und Analysieren, zum Vermuten und Nachdenken. Schneller als der Protagonist werden die Kinder die Zusammenhänge verstehen können, denn Gordon ist in seinen Verhaltensmustern so festgefahren, dass sich sein Verstehensprozess nur sehr langsam vollzieht.
Selbst die Mitglieder des Clubs der fiesen Gänse scheinen ihm voraus zu sein, begreifen, dass man Geschenke nicht für böse Taten erhält und mutmaßen: „Warst du n-n-n-n-nett zu ihm?“ (S.71). Als Gordon dies wahrheitsgemäß verneint, fehlen auch den Artgenossen weitere Ideen zu Gordons Problemlösung und ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich mit Anton direkt auseinanderzusetzen. Er stellt das Schweinchen also zur Rede und dieses antwortet: „Du warst so gemein zu mir, dass ich mich gefragt habe, ob überhaupt schon mal jemand nett zu dir gewesen ist“ (S. 80). Diese Aussage bringt sogar den mürrischen Gordon zum Nachdenken und erschüttert ihn in seinen Grundfesten. Seine Haltungen, Ansichten und Überzeugungen geraten mit einem Mal ins Wanken und Gordon findet sich in einer echten Lebenskrise wieder. Noch nie hat er über derartige Dinge nachgedacht und auf einmal beginnt er zu zweifeln: Ist fies sein wirklich mutig?
Um dies herauszufinden, ist er gezwungen, nicht gegen, sondern mit jemandem zu agieren. Mit Anton an seiner Seite lernt Gordon nicht nur zum ersten Mal Akzeptanz und Toleranz kennen, sondern findet in ihm einen Berater und seinen allerersten Freund, der ihn dazu ermutigt, sein bisheriges Verhalten zu überdenken. Endlich versteht auch die grummelige Gans: Gemein sein ist nicht mutig. Es ist viel mutiger für seine Fehler geradezustehen und sich für seine Gemeinheiten zu entschuldigen. Genau dies durchlebt Gordon von nun an selbst.
Erneut gelingt es dem Autor mit dieser Thematik die Realität der Kinder einzubeziehen. Denn sie kennen es, andere zu ärgern und selbst geärgert zu werden und wissen aus eigenen Erlebnissen, wie schwer es ist, sich für seine Fehler zu entschuldigen. Die Hilflosigkeit und das Gefühlschaos der Gans können sie nicht nur nachempfinden, sondern werden sogar Ratschläge für Gordon parat haben, wie er sein bisheriges Verhalten neu gestalten könnte, um endlich echte Freunde zu gewinnen.
Mit Gordon Gans hat Alex Latimer einen witzig-bösartigen und gleichzeitig liebenswert naiven Protagonisten geschaffen, den man rasch ins Herz schließt. Der Fiesling sorgt mit seinen Missetaten zunächst für Heiterkeit bei Groß und Klein und ist gleichzeitig so unbeholfen und unsicher, dass man ihm als Leser*in nichts mehr wünscht als endlich zu begreifen, wie er sich wandeln und echte Freunde gewinnen könnte.
Mit viel Humor und Witz vollzieht sich damit die selbst für Leseanfänger*innen klar geführte, wenig komplexe Handlung, wobei der Erkenntnisgewinn der Gans sowohl als Höhepunkt der Geschichte als auch als Wende in der Entwicklung des Protagonisten zu verstehen ist.
Dieses verändernde Element bringt Schweinchen Anton in Form der kleinen Blume, deren symbolische Bedeutung Kinder rasch erfassen werden. Standen bisher die bösen Taten der Gans im Zentrum der Geschichte, so erleben die Leser*innen von nun an Gordons charakterliche Veränderung in Wort und Bild auf humorvoll und zugleich eindringlich gestaltete Weise mit. Die gelungenen plakativen Illustrationen veranschaulichen dabei Handlungsorte wie Figuren und erzählen in Rot-Schwarz-Weiß vor allem von den Gefühlen des Protagonisten. Einzig die Blume weicht von der einheitlichen Farbgebung ab. Sie allein ist blau-grün-gelb gezeichnet. Damit wird ihre wichtige Symbolik als Wendepunkt der Geschichte zusätzlich unterstrichen.
Die Textelemente sind mit großem Zeilenabstand und dem Lesealter angemessener Schriftgröße sehr gut lesbar. Ausrufe sind, um die Lautstärke zu betonen, graphisch größer gesetzt, in Majuskeln wiedergegeben oder in weißer Schrift auf schwarzem Grund dargestellt. So bekommen die Leser*innen rasch ein Gespür für den Charakter der Ausrufe der tierischen Protagonisten.
Durch die abwechslungsreich gestalteten Seiten mit insgesamt wenig Text und großem Bildanteil werden auch leseunerfahrenere Kinder schnelle Leserfolge erzielen können.
Text und Bild treten dabei nie streng voneinander getrennt auf, sondern ergänzen sich gegenseitig und erzählen die Geschichte gemeinsam, was wiederum eine hervorragende Chance für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache bietet, selbstständig ein ganzes Buch zu erlesen und zu verstehen.
Alex Latimer bietet mit Gordon. Gans schön fies leichtes und lustiges Lesevergnügen mit Tiefgang. Er erzählt von den witzig schrägen Taten einer mürrischen Gans einerseits, andererseits aber vor allem vom Mut und der Stärke, sein Verhalten zu reflektieren und sich für seine Fehler zu entschuldigen. Auf gekonnt humorvolle Weise sendet der Autor seine hochaktuelle Botschaft und fordert zu freundschaftlichem und tolerantem Miteinander auf.
Von Alex Latimers Comic-Roman werden sich insbesondere die Fans von Dog Man oder Knallharte Tauben angezogen fühlen. Denn auch hier steht eine ziemlich schräge tierische Figur im Zentrum des Geschehens, die schnell durch ihren zunächst recht düsteren Charme die Begeisterung der Leserschaft für sich gewinnen kann.
Gordon. Gans schön fies eignet sich hervorragend als Lektüre im privaten Bereich. Denn das schlanke kleine Büchlein mit etwa 100 Seiten verspricht raschen Leseerfolg. Dabei tun die großflächigen detailreichen Illustrationen ihr Übriges, so dass selbst ungeübte Leser*innen die Geschichte selbstständig erlesen und verstehen werden. Auch Kinder mit noch lückenhaften Deutschkenntnissen können sich durch die texterklärenden Bilder ohne zusätzliche Hilfe in der Handlung zurechtfinden. Somit ist Alex Latimers Comic-Roman vor allem auch für freie Lesezeiten oder Vielleseprogramme im schulischen Kontext zu empfehlen. Bereits beim kurzen Hineinblättern ins Buch wird klar, dass hier nicht allzu viel Text zu bewältigen ist, was vor allem Leseanfänger*innen und Lesemuffel zur Ausleihe motivieren dürfte. Mit viel Spaß kann hier der Erfolg, ein ganzes Buch gelesen zu haben, erreicht werden und schließlich die Kinder dazu ermutigen, sich in weitere Leseabenteuer zu stürzen.
Gerade der geringe Umfang des Buches sowie die tierischen Protagonisten machen einen Einsatz als Lektüre auch in heterogenen Klassen hinsichtlich Herkunft, Geschlecht und Leistung möglich. Denn ganz gleich, ob stärkere oder schwächere Leser*innen, alle werden sich an der gelungenen Kombination aus Wort und Bild erfreuen können, die sich - gegenseitig ergänzend - den Witz und zugleich die Tiefe des Buches ausmacht.
Der enge Lebensweltbezug und die brandaktuelle Botschaft, ein respektvolles Miteinander zu pflegen, prädestiniert Gordon. Gans schön fies durchaus auch als Vorlesebuch z.B. im Ethikunterricht.
Ob letzten Endes die Schüler*innen die Rolle der Selbstlesenden oder der Zuhörenden übernehmen, in jedem Fall bieten die beiden Protagonisten Gordon und Anton viel Raum für Interpretation und Analyse. Auch eine szenische Darstellung der Handlung zur Vertiefung wäre denkbar. Es drängt sich dabei fast auf, ähnliche Erfahrungen und Erlebnisse der Kinder aufzugreifen, wobei eigene Ideen und individuelle Vorsätze entwickelt werden könnten, wie beispielsweise eigene Fehler wiedergutgemacht oder anderen eine zweite Chance gegeben werden könnte. Zugleich könnte die Geschichte auch als Anlass dienen, um mit den Kindern Leitsätze zu entwickeln für Respekt und Toleranz im Klassen- und Schulalltag.
Im Bereich ‚Texte verfassen´ könnten im Deutschunterricht auch die mutigen Gänse als Aufhänger fürs eigene Geschichtenerfinden dienen. Und nicht zuletzt könnte die von Alex Latimer auf den letzten Buchseiten gezeichnete Galerie mutiger Gänse im Kunstunterricht kreativ erweitert werden.