Buchcover Milo tanzt

Was haben Spiderman und Ballett gemeinsam? Milo! Milo liebt Spiderman: er und sein Freund Maxim sind...

Rezensiert von Dr. Nicole Bachor-Pfeff

Milo und sein bester Freund Maxim sind nicht nur ganz große Spiderman-Fans, sondern teilen und schützen gemeinsam ein großes Geheimnis: Milo ist Tänzer, ein richtig begabter Balletttänzer. Aber Luca, der Neue in der Klasse, versucht, Milo und sein Geheimnis zu entblößen. Milo steht kurz vor seinem größten Traum, der Aufnahme in die staatliche Ballettschule und nun gerät nicht nur dieser ins Wanken, sondern auch die Freundschaft zu Maxim.

BuchtitelMilo tanzt
AutorAnne Becker, illustr. v. Regina Kehn
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter10+
Umfang208 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagThienemann
ISBN978-3-522-18638-4
Preis14,00 €
Erscheinungsjahr2024

Was haben Spiderman und Ballett gemeinsam? Milo! Milo liebt Spiderman: er und sein Freund Maxim sind echte Experten. Und Milo tanzt Ballett. Auch darin hat er ein großes Talent. Aber während jeder aus Milos Umfeld dessen Vorliebe für Spiderman kennt, kann er seine große Leidenschaft, das Tanzen, nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Wie sein großes Vorbild Spiderman hält er sein Talent lieber im Verborgenen. Bis jetzt ist ihm das auch gelungen. Doch dann taucht Luca auf, ein neuer Mitschüler. Der Start mit ihm misslingt, nicht ganz ohne Milos Schuld. Und weil Luca das Geheimnis um Milo wittert, setzt er alles daran, es ans Licht zu zerren. Währenddessen steht Milo kurz vor der Aufnahmeprüfung an der staatlichen Ballettschule und sein Traum, Tänzer zu werden, ist in greifbare Nähe gerückt. Doch nicht einmal seinem besten Freund Maxim, mit dem er fast unzertrennlich ist, kann er davon erzählen. Diese Unaufrichtigkeit bringt die Freundschaft zu Maxim ernsthaft in Gefahr, und das, obwohl Maxim alles tut, um seinen Freund vor Lucas' Spionage zu schützen, und sogar riskiert, für ihn von der Schule zu fliegen. Durch all diese Ereignisse belastet, verpatzt Milo sein Vorsprechen und stellt seine Zukunftspläne in Frage. Als sein Vater ihm ein Ultimatum stellt, findet er zu seiner Leidenschaft zurück. Auch Maxim steht plötzlich wieder vor seiner Tür und nicht nur ihre Freundschaft findet einen Weg aus der Krise. 

Toll erzählt aus der Ich-Perspektive von Milo.

Eine Leseprobe ist online verfügbar.

Anne Becker legt ein Kinderbuch über die großen Themen Freundschaft und Loyalität vor, aber auch über Unsicherheit und Angst, die am eigenen Selbstverständnis rütteln. Sie zeichnet typische Gruppendynamiken nach, wie sie in der Schule alltäglich sind und die sich nur mit viel Mut, innerer Stärke und Vertrauen auf eine Freundschaft durchbrechen lassen. Immer wieder finden sich überraschende Verhaltensweisen, die nicht unbedingt das Naheliegende oder Erwartbare darstellen. Wenn zum Beispiel Milo Luca vor seinen Freunden bloßstellt, reagiert man als Leser zunächst irritiert. Und das ist es wohl, was dieses Buch auszeichnet. Anne Becker entwickelt jede einzelne ihrer Figuren mit viel Feingefühl und -sinn, sympathisch und sehr berührend und nah mit all ihren inneren Nöten, Ängsten und Unsicherheiten, ohne sie in irgendeiner idealisierten oder fest definierten Kategorie zu fassen. Keine der Figuren vergisst man so schnell wieder.

Eine Verbindung zwischen Spiderman und Balletttänzer aufzubauen, scheint erst auf den zweiten Blick naheliegend, aber dann doch als wirklich spannenden Kniff. Während Spiderman als ungebrochener Comic-Held ein typisches Jungenideal zu sein scheint, ist ein Balletttänzer eher untypisch. Die vielen Parallelen zwischen dem tänzerischen Spinnenmenschen und seinem Doppelleben und dem elfjährigen, ballettbegabten Milo ziehen sich durch den ganzen Kinderroman. So erzählt er nicht nur von der Kraft des Tanzens, sondern auch von der Stärke der Individualität und in wie vielen Formen sie sich zeigt. Trotz der inhaltlichen Tiefe ist der Kinderroman gut von nicht allzu geübten Leser*innen zu bewältigen.

Wer meint, Ballett sei nichts für Jungs, oder versucht, in allzu engen Kategorien zu denken, wird nach der Lektüre des sowohl berührenden als auch spannenden Romans eines Besseren belehrt sein. 

Das Buch Milo tanzt von Anne Becker eignet sich sowohl für die Freizeit- als auch für die Klassenlektüre im Rahmen des Literaturunterrichts, insbesondere wenn das Ziel des Lesens, die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Sachverhalten und Meinungen, angestrebt wird. Es eignet sich auch für die Klassen- oder die Schulbibliothek. Eine geeignete Methode, die die Lektüre des Romans begleiten sollte, ist das Lesetagebuch als persönliches Tagebuch, in dem die eigenen Eindrücke beim Lesen, die für den Lesenden oder die Lesende besonders wichtigen Textstellen, Fragen an den Text und vieles mehr festgehalten werden. Dies kann als digitaler Lesepfad, wie ihn Judith Hanke und Kirsten Diehl beschreiben, mit dem Book-Creator, als Lap-Book oder ganz traditionell umgesetzt werden.

Neben vielen literarischen Gesprächsanlässen enthält das Buch auch intertextuelle Bezüge, nicht nur zu den oft erwähnten Spiderman-Comics und -Filmen, die weitere Leseimpulse geben, sondern beispielsweise auch zum Film Billy Elliot - I Will Dance unter der Regie von Stephen Daldry, der durchaus im Unterricht angesehen und besprochen werden kann. Da es viele schöne Ballettstücke gibt, die auch für Kinder verständlich und interessant sein können, würde sich in diesem Zusammenhang auch der Besuch eines Ballettabends anbieten. Auch Dokumentarfilme wie Crankos Traum - Die Talentschmiede des Stuttgarter Balletts, Call Me Dancer oder Guillaume Diop: Meistertänzer und Vorbild einer Generation ermöglichen einen neuen Blick auf das männliche Ballett. Dies ließe sich fächerübergreifend mit einem Tanzprojekt im Sport- und/oder Musikunterricht verbinden, das wiederum mit der Erstellung eines Buchtrailers für Booktube verknüpft werden könnte.


Themen wie Selbstverständnis, Persönlichkeit, Individualität können unter Fragestellungen (wie Was gehört dazu?; Was macht sie aus?) ebenso angesprochen werden wie Dimensionen von Diversität oder das Hinterfragen von Normvorstellungen, Zuschreibungen und der Zusammenhang mit Diskriminierung.