Buchcover Der Lehrling des Wunscherfüllers

Dass sich der zehnjährige Felix so einsam fühlt, ist nicht nur auf den Wegzug seines besten Freundes...

Rezensiert von Anja Sieger

Ist es nicht schön, ein Wunschkind zu sein, zu wissen, dass man von seinen Eltern oder Geschwistern herbeigesehnt wurde? Oder aber ist es sehr gefährlich, wenn man erfährt, dass ein Wunschklauer diesen Wunsch der eigenen Schwester haben will und man dadurch in seiner Existenz bedroht ist? Der Lehrling des Wunscherfüllers nimmt die Lesenden mit auf ein temporeiches Abenteuer mit ganz viel Spannung, etwas Grusel, aber auch einer Prise Witz.

BuchtitelDer Lehrling des Wunscherfüllers
AutorRachel Chivers Khoo, übers. v. Birgit Niehaus, illustr. v. Rachel Sanson
GenreFantastische Literatur
Lesealter10+
Umfang231 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagKnesebeck
ISBN978-3-95728-820-2
Preis16,00 €
Erscheinungsjahr2024

Dass sich der zehnjährige Felix so einsam fühlt, ist nicht nur auf den Wegzug seines besten Freundes zurückzuführen. Mindestens genauso schlimm ist für ihn, dass seine ältere Schwester keine Zeit mehr mit ihm verbringen möchte. Als er, um dies zu ändern, einen Cent in den Wunschbrunnen seiner Heimatstadt wirft, trifft er auf einen kleinen alten Mann, den nur er sehen kann. Dieser entpuppt sich als der Wunscherfüller Rupus Beewinkle. Als Felix Rupus hilft, Ordnung in seine Wunscharbeit zu bringen, kommt er hinter das Geheimnis, dass er selbst nur das Ergebnis eines Wunsches seiner Schwester ist. Diese wünschte sich im Alter von 6 Jahren eine Schwester oder einen Bruder und Rupus hat ihr diesen verbotenen Wunsch erfüllt. Da Rupus immer wieder gegen die Gebote für Wunscherfüller verstoßen hat, gerät er ins Visier eines Wunschklauers. Dieser bedroht Rupus und mit ihm sämtliche von ihm erfüllte Wünsche und somit auch das Leben von Felix. Mit viel Mut und Unterstützung seiner Schwester, die Felix für einen Geist hält, gelingt es ihm jedoch, den Wunschklauer zu besiegen, indem er Rupus den letzten Wunsch entreißt und somit sein eigenes Leben rettet. Allerdings verwandelt sich Rupus selbst in einen Wunschklauer. Durch die Liebe zu seiner Schwester und mit Hilfe von Gummibärchen schafft es Felix jedoch, auch gegen diesen zu bestehen. Damit rettet Felix nicht nur Rupus‘ und sein eigenes Leben, sondern sorgt auch dafür, dass in seinem Heimatort auch weiterhin Wünsche erfüllt werden können. Nach der Reparatur der gestohlenen und beschädigten Wünsche kann Felix zu seiner ihn sehr vermissenden Schwester und Familie zurückkehren.


Eine Leseprobe ist verfügbar.

Lehrt uns nicht bereits das Märchen, dass das Wünschen eine gar nicht so einfache Angelegenheit ist? Da ist das gewünschte Kind z.B. nur so groß wie ein Daumen oder besitzt gar eine Igelhaut. Oder der Goldklumpen ist am Ende ein Stein, die immer größer werdende und prunkvolle Behausung wieder eine kleine armselige Hütte. Aber auch das Erfüllen von Wünschen birgt viele Gefahren in sich, wie Der Lehrling des Wunscherfüllers den Lesenden auf eindringliche Art und Weise zeigt.


Dieses spannungsreiche Verhältnis von Wünschen und Wunscherfüllung präsentiert sich im Kinderbuch in Form eines fesselnden Plots, der es durch Andeutungen und überraschende Wendungen vermag, das Interesse der Lesenden zu wecken und vor allem ihre Lesemotivation aufrechtzuerhalten. So erschließt sich z.B. erst im Verlauf der Handlung, dass Rupus Felix schon sehr lange kennt und warum der Wunscherfüller ihn so bedauert (S. 12 / S. 44) oder was es mit den furchterregenden Wolf-Träumen von Felix auf sich hat. 

Die Hauptfigur bietet Kindern dabei ein überzeugendes Identifikationsangebot. Felix ist – auch wenn er ob seiner Familiensituation zunächst traurig und niedergeschlagen ist – sehr mutig und unerschrocken und dazu bereit, sich für andere aufzuopfern. Der Ausgang der Geschichte zeigt dabei sehr eindrücklich, dass man einerseits sein Schicksal in der eigenen Hand hat und es sich lohnt, selbstlos zu handeln, andererseits aber auch, dass man im Kampf gegen das Böse gemeinsam stärker ist.

Das Buch ist aber nicht nur spannend und mitunter recht gruselig, sondern immer auch wieder witzig, beispielsweise wenn Gummibärchen – und damit letztendlich die gemütlich-naschhafte Seite des Wunscherfülles – für den guten Ausgang der Geschichte mitverantwortlich sind. Dass am Ende das Rezept für Snorlick – „das Lieblingsgetränk der Wunscherfüller“, welches immer gute Laune verbreitet und bei schlechten Stimmungszuständen hilft (S. 230/231) – abgedruckt und dieses mit Abbildungen von diversen Süßigkeiten verziert ist, erscheint in diesem Zusammenhang nur logisch.

Überhaupt hat die Gestaltung des Buches einen großen Pluspunkt verdient. Das zum Entdecken einladende Titelbild und die gesamte Einbandgestaltung machen neugierig, die altersgerechten Illustrationen von Rachel Sanson veranschaulichen das Geschehen, unterschiedliche Tongebungen zeigen, dass etwas Bedrohliches passiert, und die verschiedenen Schriftarten unterstützen die Orientierung in der Geschichte. So erscheint beispielsweise „Das große Handbuch für Wünscherfüller“ als Buch im Buch (S. 42-45) oder es werden Felix‘ Alpträume in kursiver Schrift dargestellt. 

Hilfreich für die kindliche Zielgruppe sind zudem die kurzen Kapitel, die große Schrift mit großem Zeilenabstand, eine überschaubare Figuren- sowie Schauplatzanzahl und überhaupt der Gesamtumfang des Buches. Der Satzbau ist zudem mit einer Dominanz von Hauptsätzen und einfach zusammengesetzten Sätzen einfach gehalten und auch der Wortschatz sollte für die Altersgruppe 10+ – und hier explizit auch von ungeübteren Leserinnen und Lesern – gut zu bewältigen sein. Dadurch, dass sich im Verlauf der Geschichte immer wieder treffende Vergleiche finden (z.B. „Eine Entschuldigung von Rebecca war wie Regen in der Wüste.“, S. 55 oder „Sein Leben fühlte sich plötzlich an wie ein Luftballon, der jeden Moment zerplatzen könnte.“, S. 109), wird das Erzählte schön anschaulich und die Lesenden können sich zudem sehr gut in Felix‘ Gefühlslage hineinversetzen.


Das fantastisch-märchenhafte Buch Der Lehrling des Wunscherfüllers von Rachel Chivers Khoo besitzt alles, um es auch für Wenigleserinnen und -leser bzw. für Kinder, denen es noch nicht so leichtfällt, längere Texte zu lesen, attraktiv zu machen. Auf 231 Seiten findet sich eine wirklich wunderbare Geschichte, die durch einen stimmigen Plot und großartig ausgestaltete Figuren zu überzeugen vermag.


Durch sein Genre, den fesselnden Plot und die mutige Hauptfigur Felix gepaart mit einer überschaubaren Handlungskomplexität sowie einer altersangemessenen sprachlichen Gestaltung ist das Buch v.a. auch für Jungen (und Mädchen) geeignet, die aufgrund geringerer Leseerfahrungen noch nicht so geübt im Lesen (längerer Texte) sind. Diesbezüglich ist das Buch v.a. für die private Lektüre, aber auch für die Klassenbibliothek (Lesestoff für freie Lesezeiten / Vielleseverfahren) zu empfehlen.


Bezüglich der Wunschthematik und mit Blick auf heterogene Lerngruppen ist Der Lehrling des Wünscherfüllers aber auch für eine unterrichtliche Behandlung gut denkbar, indem ein Bezug zur Textsorte des Märchens hergestellt wird; Märchen sind in den Rahmenplänen der Jahrgangstufe 5 als Thema verankert. Schülerinnen und Schüler, die geübter im Lesen sind und dementsprechend weniger Zeit für die Lektüre aufbringen müssen, könnten sich beispielsweise mit ausgewählten Märchen, in denen das Wünschen explizit eine Rolle spielt, beschäftigen und durch das Teilen ihres Wissens mit der gesamten Lerngruppe das Thema ‚Wünschen‘ in einen kulturellen Kontext einbinden und unter Umständen so eine sich anschließende Unterrichtseinheit zu Märchen vorbereiten. Märchen wie z.B. Däumelinchen, Hans mein Igel, Hans im Glück oder aber auch Von dem Fischer und seiner Frau wären hierfür geeignete Beispiele.