Rezensiert von Dominik Achtermeier
Edinburgh 1868: Der blitzgescheite Junge Arthur kommt an das geheimnisvolle Internat Baskerville Hall, welches von mysteriösen Einbrüchen und anderen Vorkommnissen erschüttert wird. Der erste Band dieser spannungsgeladenen Detektivserie mit Lieblingsbuch-Potenzial entführt Heranwachsende, die Freude am Kombinieren und Rätselraten haben, in die fiktive Kindheitsgeschichte des weltbekannten Autors Arthur Conan Doyle. Der Roman für geübte Leser*innen darf in keinem Bücherregal fehlen!
Buchtitel | Baskerville Hall – Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente |
Autor | Ali Standish, übers. v. Jessika Komina u. Sandra Knuffinke |
Genre | Abenteuer Fantastische Literatur |
Lesealter | 10+ |
Umfang | 336 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | Hanser |
ISBN | 978-3-446-27979-7 |
Preis | 17,00 € |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Trotz reicher Verwandten im entfernten London kommt Arthur Doyle aus eher ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater arbeitet als zuletzt eher erfolgloser Buchillustrator und seine Mutter kümmert sich um die achtköpfige Familie. Da verwundert es den 12-Jährigen und seine Eltern, als er in einem Brief von Professor Challenger zum Schuljahr 1868 an die Baskerville Hall aufgenommen wird. Dabei hatten weder er noch seine Eltern sich um eine Aufnahme an der Schule, die Wert auf Einfallsreichtum und Erfindergeist legt, beworben. Schon am nächsten Tag holt ihn der Direktor höchstpersönlich mit einem Luftschiff am Arthur‘s Seat ab. Im Anschluss an eine spektakuläre Reise durch ein Unwetter trifft er in England auf eine bunte Schar an Lehrkräften und Mitschüler*innen. Unterrichtet wird ein wahrlich breites Spektrum, welches sich in fünf Studienzirkel (Eisen, Licht, Blitz, Geist und die Zitadelle) samt zuständigen Hauslehrer*innen aufgliedert, die nach Neigungen und Begabungen ausgewählt werden können. Zunächst aber steht Anatomie bei Dr. Watson oder Naturkunde bei Professor Loring auf dem Stundenplan. Als neuer Schüler muss sich Außenseiter Arthur immer wieder beweisen und merkt dabei schnell, wer Freund und Feind ist. Zu seinen Freunden zählen die Mädchen Pocket (Mary) und Irene sowie die Jungen Jimmie und Grover. Doch an der einzigartigen Schule scheint irgendetwas vor sich zu gehen, was selbst die weltbesten Lehrer*innen beunruhigt. Oder lassen sich alle „von allerlei Beiwerk und Getöse in die Irre führen“ (S. 101)? Arthur lernt schnell sein Kombinationsgeschick und neuerworbene Fähigkeiten einzusetzen, rettet Grover das Leben und setzt sich das Ziel, ungelöste Vorkommnisse an der von Lord Baker gegründeten Schule mit vereinten und manchmal übernatürlichen Kräften aufzuklären.
Eine Leseprobe ist online verfügbar.
Der Auftaktband der Romanreihe Baskerville Hall von New-York-Times-Bestsellerautorin Ali Standish, die an der University of Cambridge Kinderliteratur studierte und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, eröffnet Leser*innen eine einzigartige Welt, die bereits durch den Titel nicht zufällig auf ein der bekanntesten Detektivgeschichten aller Zeiten anspielt. Der Hund von Baskerville (1901/1902) ist der dritte Sherlock-Roman von Arthur Conan Doyle, aus dessen Feder die berühmten Abenteuer von Sherlock Holmes und Dr. Watson stammen. Viele Figuren und Namen wie Dr. Watson, Jimmy Moriarty, Irene Eagle oder Louise Hudson greift Standish auf und lässt sie in ihrem Internats- und Abenteuerroman für eine heranwachsende Zielgruppe auftreten. Der Protagonist Arthur Doyle ist unverkennbar die junge Version des Meisterdetektivs Sherlock Holmes und trägt den Namen dessen Schöpfers.
Doch auch ganz ohne Vorwissen und dem Erkennen unzähliger intertextueller Verweise lässt sich der vielschichtige Roman, der sich besonders an Leser*innen mit gefestigten Leseerfahrungen richtet, rezipieren. Der Außenseiter Arthur, mit der sich insbesondere männliche Leser identifizieren können, ist neugierig und gerät anhaltend in Situationen, in denen er sich sehr unterschiedlichen Herausforderungen stellen muss. Sogar das Interesse der Zweitklässler lenkt Arthur auf sich, nachdem er Professor Lorings Schimpansen hypnotisiert und dadurch Grovers Leben gerettet hat. Anhaltend Spannung erzeugt Standish bei den Leser*innen nicht nur durch die Geschichten, die man sich über mysteriöse Vorkommnisse in Baskerville Hall erzählt, sondern auch über eine Reihe unheimlicher Vorfälle an der Schule. In die Rätsel und Abenteuer eingewoben finden sich auch ernste Töne: die Alkoholerkrankung des Vaters, die Arthur abverlangt nicht nur für sich, sondern für die ganze Familie Verantwortung zu übernehmen: „Darum ist das Geld knapp und daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich nicht bald selbst welches verdiene. Deswegen bin ich ja überhaupt hier. Um irgendwann für meine Familie sorgen zu können.“ (S. 128) Auch die Mitschüler*innen Arthurs bringen vielfältige Perspektiven und Farbigkeit auf das Tableau. Jimmys Vater war bereits Internatsschüler in Baskerville Hall und stellt seinen Sohn unter Druck, in seine Fußstapfen zu treten. Die Mitschülerin Pocket ist eine extrovertierte junge Dame, die mit ihren roten Locken, den Sommersprossen auf der Nase und ihrem irischen Akzent auffällt. Ahmed mit der dunkleren Haut und Irene mit der Augenklappe haben zusammen bereits die ganze Welt bereist. „Alle hier schienen eine interessante Familiengeschichte, eine besondere Begabung oder ein interessantes Hobby zu haben“ (S. 59), fasst Arthur zusammen, der zunächst davon ausgegangen war, dass er im Internat nur auf männliche Mitschüler treffen würde. Was im viktorianischen England aus historischer Sicht selbstverständlich war, ist es in Standishs Baskerville-Welt nicht. Dies macht die Internatsgeschichte für Heranwachsende noch interessanter und regt zum Hinterfragen an. Die unterschiedlichen Fächer und Wissenschaften, die durch ebenso dreidimensionale Figuren von Professor*innen repräsentiert werden, verleiten Jungen wie Mädchen dazu, mit Arthur und seinen Freunden auf die Suche nach ihrer eigenen Leidenschaft und Faszination für ein vielleicht unpopuläres Hobby zu gehen. Mut zum Anderssein und seine Träume zu verfolgen wird hier zwischen den Zeilen vermittelt: „An dieser Schule können wir alle sein, was wir wollen“ (S. 92), sagt Ahmad, worauf Protagonist Arthur den Entschluss fasst, alles dafür zu tun, seine Träume und Ideen zu verwirklichen.
Die deutsche Übersetzung von Jessika Komina und Sandra Knuffinke schafft es, Heranwachsenden ab 10 Jahren einen sprachlich nicht zu anspruchsvollen Zugang hinter die Mauern von Baskerville Hall zu ermöglichen und in die stark visuell vermittelnde Erzählung einzutauchen. Die Covergestaltung zeugt von dieser Dynamik. Text- und Bildelemente verschmelzen zu einer farbenfrohen Collage, die die Hauptfiguren vorstellt und Spannung aufbaut. Leider liegen keine Illustrationen im Inneren des Romans vor, die sich Heranwachsende an der ein oder anderen Stelle doch zurecht wünschen würden, um ein wenig Orientierung zu bekommen und die komplexe Figurenschar, Zirkel, Lehrkräfte und Fächer besser überblicken zu können. Die Schriftgröße ist recht klein und die Kapitel umfassen 6-8 Seiten, also kleine Leseportionen! Beinahe jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger, der zum sofortigen Weiterlesen motiviert.
Im Anhang (S. 329-332) finden sich biografische Informationen, Fotos und Zeichnungen aus dem Leben von Arthur Conan Dolye (u.a. ist Stonyhurst College abgebildet, die Internatsschule, die Dolye besuchte und vielleicht als Vorbild für Baskerville Hall galt).
Zusammenfassend ist Baskerville-Hall ein regelrechter Page-Turner, der Vielleser*innen anspricht, die Leseerfahrungen mitbringen und mit einem etwas größeren Figureninventar zurechtkommen.
Der Roman liegt auch in einer Hörbuchfassung vor, eingesprochen von dem deutschen Schauspieler und Hörbuchsprecher Johann von Bülow, der in der Hörbuchreihe Sherlock & Watson – Neues aus der Baker Street Sherlock Holmes spricht und scheinbar eine besondere Vorliebe für Arthur Conan Doyle hat. Seine Faszination merkt man dem Hörbuch ganz gewiss an: jeder Figur verleiht er eine unverwechselbare Stimme.
Der Auftaktband Baskerville Hall: Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente erweist sich als generationenübergreifende Lektüre, die zum Austausch der Generationen über Sir Arthur Conan Doyle und seine Figuren einlädt. Heranwachsende können mit Eltern und Großeltern, die Doyles Detektiv Sherlock bereits aus den Originalgeschichten kennen, über ihre Leseerfahrungen ins Gespräch kommen.
Mit Gewissheit werden Schüler*innen mithilfe des Anhangs, in dem man Informationen zu Arthur Conan Doyle bekommt, dazu angeregt, sein Werk genauer unter die Lupe zu nehmen und das mediale Angebot von Adaptionen in den unterschiedlichsten Medien zu rezipieren.
Wer Baskerville Hall gerne gelesen hat, wird sich für den boys & books Top-Titel Juwelendiebe im Highland Express von M. G. Leonard und Sam Sedgman interessieren. Hierbei handelt es sich um den ersten Band der Reihe Abenteuer Express, der bei KARIBU erschienen ist. Darüber hinaus gibt es viele Kinderbuchserien, die eine kindgemäße Übersetzung der literarischen Figur Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle anbieten. Zum Beispiel Sherlock & Co von Sam Hearn oder Young Sherlock Holmes von Andrew Lane.
Der zweite Band der Reihe Baskerville Hall von Ali Standish erscheint im Frühjahr 2025 unter dem Titel Baskerville Hall: Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente - Das Zeichen der Fünf bei Hanser.