Rezensiert von Prof. Dr. Ina Brendel-Kepser
Clicks und Follower, Likes und Reichweite: Mit lustigen Videos betreibt Finn einen beliebten Social-Media-Kanal. Plötzlich jedoch tauchen zahlreiche Hasskommentare auf; alle stammen aus dem rechten Milieu. Unversehens wird die rassistische Hetze zu einer brandgefährlichen Angelegenheit. Klar ist: Finn muss sich positionieren. Davon erzählt diese eindrückliche, packende und höchst aktuelle Geschichte!
Buchtitel | Egal war gestern |
Autor | Jörg Isermeyer |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 203 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | Peter Hammer |
ISBN | 978-3-7795-0748-2 |
Preis | 14,90 € |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Finn dreht zusammen mit seinem Freund Lennard lustige Videos, die sie auf Social Media posten und damit jede Menge Likes sammeln. Um Followerzahlen und Reichweite zu erhöhen, geht Finn einen Deal mit Sam, einer Mitschülerin, deren Familie aus Angola stammt, ein. Was zunächst zu funktionieren scheint, kippt in dem Moment, als rassistische Hasskommentare auf Finns Kanal auftauchen. Der Shitstorm aus rechter Hetze findet jedoch nicht nur im Netz statt, sondern auch auf dem Schulhof, wo Neonazis den Ton angeben wollen. Die Situation spitzt sich zu, als Finns Vater, Lehrer an derselben Schule, einen Brief veröffentlicht, in dem er die massiven rechtsextremen Strömungen unter der Schüler*innenschaft anprangert. Der Brief erregt große öffentliche Aufmerksamkeit und damit gerät Finn ebenfalls ins Visier der Neonazis. Hinzu kommt, dass im Rahmen der anstehenden Bürgermeisterwahl ein rechtspopulistischer Kandidat Stimmung in der Stadt macht. Da Finn sich dafür entscheidet, kein Mitläufer zu werden, verliert er unter anderem seinen ‚Freund‘ Lennard. Nachdem die rechte Anfeindung gegenüber Finn und seiner Familie eskaliert – von Nazi-Schmierereien am Haus bis hin zu expliziten Morddrohungen – beschließen die Eltern schließlich, die Stadt zu verlassen. Finn indessen gelingt es, ein Netzwerk der anderen ins Leben zu rufen; sein Comedy-Kanal hat fortan eine klare politische Botschaft gegen Rechts.
Eine Leseprobe ist verfügbar.
Egal war gestern ist ein realistischer Jugendroman zu einem höchst aktuellen Thema. Und dies gleich auf mehreren Ebenen. Zentral ist zum einen die Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus, Populismus und Rechtsradikalismus, einem Phänomen unserer Zeit, wie dies nicht nur die Wahlergebnisse in einigen Bundesländern in Deutschland, sondern der allgemeine politische Rechtsruck in Europa zeigen. Mit dem Protagonisten Finn lernen die Leser*innen einen eigentlich unpolitischen Jugendlichen kennen, der Spaß an Videos im Netz hat und sich zunächst nicht positionieren will. Er macht aber eine langsame, überzeugende Entwicklung durch, die junge Lesende – sofern sie bereit dazu sind – gut mitnehmen und so für das Thema sensibilisieren kann. Dies gelingt dem Roman ohne allzu deutlichen pädagogischen Zeigefinder.
Der Text ist lesefreundlich in 64 kurze Kapitel und einen Abspann gegliedert. Die Geschichte mit ihrer ebenfalls überschaubaren Figurenkonstellation wird chronologisch aus Finns Perspektive in der Ich-Form erzählt. Jedes Kapitel trägt ein Datum mit einer groben Zeitangabe, was die Handlung, u.a. mit Details wie Erscheinen eines Postings und entsprechende Reaktionen darauf, sehr klar strukturiert und zur Orientierung der Leser*innen beiträgt: Die Haupthandlung erstreckt sich vom 18. März bis 12. Juni; der Abspann ist auf den 26. September datiert. Der Text ist auf der sprachlichen Oberfläche einfach zu lesen und zugleich spannend, da sich die Ereignisse zuspitzen und eine reale Bedrohung für Finn und seine Familie entsteht.
Zum anderen verhandelt der Roman das Thema Social Media recht überzeugend: Es geht um Likes und Follower, um den Unterhaltungswert von Social Media-Plattformen und zugleich um die Schattenseiten dieser Portale. Darin liegt ein großer Realitätsbezug, denn YouTube zählt zu den beliebtesten und meistgenutzten Plattformen von Jugendlichen. Dass der Text an mehreren Stellen die Postings und Kommentare in der spezifischen Typografie (mit entsprechenden Icons) abbildet, lockert das Textbild auf und unterstützt die schnelle Lesbarkeit. Ebenso werden einige der kurzen Clips, die Finn produziert und hochlädt, in Dialogform wiedergegeben.
Der Text lädt Jugendliche also dazu ein, beim Lesen in eine Welt zu treten, die ihnen sehr vertraut ist. Zugleich nimmt die Handlung schnell an Fahrt auf, so dass, zumindest für halbwegs politische interessierte Leser*innen, hier großes Potenzial liegt: für die Leseförderung, aber auch für die thematische Auseinandersetzung mit einem großen Zeitthema, für dessen Verständnis der Roman kein Vorwissen voraussetzt. Bestenfalls lädt der Text alle Schüler*innen zum Nachdenken und zu Einsichten in strukturelle gesellschaftliche Zusammenhänge von Ausgrenzung, Widerstand und Solidarität ein.
Die leichte Lesbarkeit und der geringe Textumfang zusammen mit dem aktuellen Thema und der intermedialen literarischen Gestaltung machen Egal war gestern zu einer geeigneten Klassenlektüre, deren Erarbeitung sich auch fächerübergreifend anbietet.
Ein Video-Clip mit der Kurzpräsentation des Romans durch den Autor findet sich auf der Website des Verlags: www.peter-hammer-verlag.de/videos/video-zum-buch-egal-war-gestern. Ebenso lässt sich der Beitrag des Deutschlandfunks vom 28.09.2024 (Gespräch mit Jörg Isermeyer) passend in die Arbeit im Unterricht einbinden: www.deutschlandfunk.de/joerg-isermeyer-egal-war-gestern-dlf-b3ba084b-100.html Um die realen Bezüge des Romans aufzugreifen, bieten sich Medienbeiträge über den Vorfall der rechten Hetze gegen zwei Lehrkräfte 2023 in Brandenburg an, z.B.: www.zdf.de/nachrichten/panorama/brandenburg-lehrer-schule-burg-rechte-anfeindungen-100.html
Wer sich für Egal war gestern interessiert, sollte auf weitere Titel zum Thema hingewiesen werden. Dazu zählen Klassiker wie Die Welle (1984) von Morton Rhue, aber auch aktuelle Romane wie Der Geruch von Wut (2022) von Gabriele Clima oder Sein Reich (2020) von Martin Schäuble.