Buchcover Loki. Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht)

Aufgrund seiner Verfehlungen in Asgard wird der Gott Loki von Odin auf die Erde verbannt. Hier soll...

Rezensiert von Anja Sieger

Wann hat es ein Gott verdient, aus seiner Welt verbannt zu werden? Ist es die Rebellion gegen die Obrigkeit? Oder sind es nur bösartige Streiche, die zum Rauswurf führen? Dem Gott Loki passiert genau das. Als Kind auf die Erde verbannt, hat er 31 Tage, um seine Tugend zu beweisen. Und da er lange Zeit so gar nicht aus seiner Haut kann und auch die Tipps, wie z.B. immer die Wahrheit zu sagen, wenig hilfreich sind, wird es ein amüsanter und spannender Kampf um seine Zukunft.

BuchtitelLoki. Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht)
AutorLouie Stowell, illustr. v. Ulf K., übers. v. André Mumot,
GenreHumor & Komik
Anti-Helden & Schelme
Lesealter10+
Umfang204 Seiten
VerlagHanser
ISBN978-3-446-27429-7
Preis16,00 €
Erscheinungsjahr2023

Aufgrund seiner Verfehlungen in Asgard wird der Gott Loki von Odin auf die Erde verbannt. Hier soll er sich in Gestalt eines elfjährigen Jungen für einen Monat bewähren, indem er ein tugendhaftes Verhalten an den Tag legt. Begleitet wird er von Thor – auf der Erde sein gleichaltriger Bruder – und dem Wächtergott Heimdall sowie der Riesin Hyrrokkin, die seine Eltern mimen. Odin selbst ist als Simulation in Form eines Tagebuchs vor Ort. In dieses muss Loki täglich schreiben, um seine Fortschritte zu dokumentieren. Der Grad seiner moralischen Besserung wird in diesem in Form von Tugend-Punkten gezählt; der Zielwert beträgt 3000 Punkte, Lokis Ausgangswert liegt bei minus 3000 Punkten. An dieser Zahl ändert sich in den nächsten Tagen, die Loki gemeinsam mit Thor wie ein menschliches Kind v.a. in der Schule verbringt, nur dahingehend etwas, dass er immer mehr Minuspunkte sammelt. Diese kommen dadurch zustande, dass Loki auch auf der Erde seine Eigenschaften beibehält bzw. mit diesen versucht, ein tugendhaftes Verhalten umzusetzen. So verwandeln sich positive Ratschläge in den Händen von Loki in ihr Gegenteil. Der Punktestand rutscht gravierend ins Negative, als er Thor an die Frostriesen verrät. Gleichzeitig wird die Bewährungszeit für Loki immer kürzer, sodass seine Handlungen zunehmend verzweifelter werden. Im Glauben, dass er nur viel Geld benötige, um dieses dann für einen guten Zweck zu spenden, lässt sich Loki auf einen Deal mit dem Schulfiesling Nummer eins ein. Die Abmachung besteht darin, dass Loki Geld erhält, wenn er die Mitschülerin Valerie vor der gesamten Schule blamiert. Valerie, die zuvor Thor und Loki aus der Gefangenschaft der Eisriesen gerettet hat und glaubt, dass die beiden Jungen Außerirdische seien, lässt sich von Loki überreden, gemeinsam an einem Gesangswettbewerb teilzunehmen. Da Valerie nicht singen kann und Loki das gemeinsame Duett platzen lässt, endet der Auftritt in einer Katastrophe, sodass Valerie nichts mehr mit Loki zu tun haben will. Als sie am letzten Tag jedoch von den Frostriesen, die sie ebenfalls für Außerirdische hält, entführt wird, eilt Loki ihr zur Hilfe. Er bricht die Regel, seine göttlichen Kräfte nicht einsetzen zu dürfen, und rettet Valerie mit Hilfe seiner irdischen Familie. Odin, der am Ende plötzlich auf der Erde auftaucht, schickt Loki trotz Regelbruchs und seiner weiteren Verfehlungen nicht in die ewige Verdammnis. Er soll vielmehr auf der Erde bleiben, um die Menschen vor den Frostriesen zu beschützen.


Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

„Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich die Wahrheit verabscheue? Sie ist so hässlich und nackt wie diese Nacktmulle, die aussehen wie rosafarbene Schneckenbabys, die an zu vielen Steinen gekaut haben.“ (S. 14)


Diese Aussage Lokis am Beginn des Buches kann durchaus als eine kurze Selbstvorstellung des Ich-Erzählers verstanden werden; mit Loki in Gestalt eines elfjährigen Jungen zeigt sich den Leser*innen eine durch und durch unkonventionelle Hauptfigur, die sich – seinem mythologischen Ursprung entsprechend – oft gar nicht so verhält, wie es der von der Gesellschaft anerkannten Norm entspricht. Dieses Unterlaufen der Erwartungshaltung ist im Zusammenhang mit einem schnodderigen Tonfall mehr als einmal sehr erfrischend und kann insbesondere für Jungen im Alter von 10+ Jahren entlastend sein. Dabei ist Loki aber keineswegs nur hinterhältig und verschlagen, sondern weiß es oftmals einfach nicht besser oder nimmt das Empfohlene wortwörtlich und hält damit auch uns einen Spiegel vor. Das Buch wirft auf diese Art und Weise im Rahmen eines überaus witzigen Settings die eine oder andere ernst gemeinte Frage auf. Inwiefern wird Loki zum Beispiel ausgerechnet auf der Erde ein tugendhaftes Verhalten vorgelebt, sodass er sich im Sinne eines Modelllernens tatsächlich zum Guten ändern kann? Oder wie ist es beispielsweise mit der Regel, (immer) ehrlich zu sein? Und auch in den Beschreibungen des Schulalltags mit den einzelnen Unterrichtsfächern steckt, wenn auch auf überspitzte Art und Weise, mehr als ein Körnchen Wahrheit. Deutlicher werden diese kritischen Blicke auf unsere Welt im „Ratgeber für sterbliches Leben im 21. Jahrhundert auf einen Blick“, der Loki zur Orientierung auf der Erde dienen soll. Hier heißt es beispielsweise auf der Seite 49: „Auto: Ein Fortbewegungsmittel der Sterblichen und das perfekte Beispiel für ihre Unfähigkeit, das große Ganze zu sehen. Autos verbrennen Giftstoffe und produzieren, um sich fortzubewegen, Qualm, der die Luft mit einem widerlichen Gestank erfüllt und langsam den Planeten zerstört. Trotzdem mögen die Menschen ihre Autos, weil sie so ‚cool aussehen‘ und ‚brumm, brumm, brumm‘ machen.“ An diesen Stellen des Romans ist ein doppelsinniges Erzählen bzw. eine Mehrfachadressierung zu bemerken, da sich die Ratgeberpassagen eher an erwachsene Leser*innen als an Kinder richten, zumal hier auch ein ironischer Unterton mitschwingt. Dem Lesevergnügen von Kindern tut dies allerdings keinen Abbruch.


Besonders überzeugend am Buch ist zudem die Tagebuch-Idee. Diese ist den kindlichen Leser*innen vermutlich schon aus Gregs Tagebuch bekannt, wird hier aber noch einmal dadurch getoppt, dass das Tagebuch Lokis Einträge kommentiert und, da Loki nicht aus seiner Haut kann, immer wieder korrigiert. Diese Passagen sind ausgesprochen witzig und finden ihren Höhepunkt, als sich auch noch Lokis Gewissen einschaltet und so zwei moralische Instanzen – zunächst vergeblich – versuchen, auf ihn einzuwirken. Die Form des Tagebuches gibt zusammen mit den 31 Tagen Bewährungszeit auch die Struktur des Buches vor; die Kapitel entsprechen jeweils einem Tag und bilden in ihrem Umfang dessen Ereignisfülle oder -armut ab. Jeder Eintrag führt nach Angabe des Tages (Tag 1 usw.) und Wochentages Lokis Tugend-Score (LTS) auf. Als Loki am Tag 16 Thor an die Frostriesen verrät, rutscht der Score so sehr ins Negative, dass er nicht mehr in Minuszahlen angegeben, sondern nur noch kommentiert werden kann. Ab hier gleicht das Ganze immer mehr einem Countdown und sorgt für zusätzliche Spannung, denn Lokis Chancen, die notwendige Anzahl an Pluspunkten in der verbleibenden Zeit zu erreichen, werden immer geringer.

Referenzen zu Gregs Tagebuch finden sich darüber hinaus auch in struktureller und optischer Hinsicht, da auch Loki eine Mischung aus Prosaerzählung und Comic darstellt. Teilweise wird das Erzählte zusätzlich bebildert (z.B. S. 131 oder auch S. 149), an anderen Stellen erfolgt eine Veranschaulichung und Vertiefung des Erzählten (z.B. S. 57 oder auch S. 91). Das Buch ist also auf verschiedenen Ebenen zu lesen, wobei es für die Orientierung (für kindliche Leser*innen) vielfältige Hilfestellungen gibt. So weisen z.B. die Kommentare des Tagebuchs eine andere Schriftart auf und befinden sich in Kästen mit einer gestrichelten Rahmenlinie. Oder Dialogpassagen oder wichtige Aussagen einzelner Figuren werden durch ein stickerartiges kleines Bild angezeigt. Die Gestaltung des Buches durch den bekannten deutschen Illustrator Ulf K. ist wirklich vollumfänglich gelungen. Und auch in sprachlicher Hinsicht ist es für geübtere Leser*innen gut zu bewältigen.


Da Loki am Ende durch sein unerwartetes uneigennütziges Handeln doch noch die Kurve kriegt, sich aber dennoch nicht verbiegt, geht es letztendlich doch auch um die eigene Rettung, wird den kindlichen Leserinnen und Lesern durchaus ein Identifikationsangebot der ganz besonderen Art unterbreitet. Und in Hinblick auf das offene Ende – Loki muss sich immerhin auch weiterhin auf der Erde bewähren und darf (noch) nicht nach Asgard zurück – können sich sowohl kindliche als auch erwachsene Leser*innen auf die Fortsetzung der Antiheldengeschichte freuen. Der zweite Band Warum man als schlechter Gott immer an allem schuld ist (oder auch nicht) soll im Herbst 2023 auf Deutsch erscheinen. Das Serienformat bietet die Chance, dass der Antiheld Loki auf Jungen eine ähnliche Anziehungskraft wie Greg ausüben kann und wie dieser für eine große (und stabile) männliche Leserschaft sorgen wird.


Angesprochen werden v.a. Jungen (und Mädchen), die mit dem Lesenkönnen (Prozessebene) keine (größeren) Probleme haben, die aber nicht so gerne lesen (Subjektebene), weil ihnen unter Umständen geeignete Lesestoffe fehlen oder weil deren eigenen Lesepräferenzen durch das Umfeld nicht unterstützt werden. Insbesondere Jungen, die sich für Gregs Tagebuch begeistern, werden auch von Loki sehr angetan sein. Diesbezüglich ist das Buch v.a. für die private Lektüre, aber auch für die Klassenbibliothek (Lesestoff für freie Lesezeiten / Vielleseverfahren) zu empfehlen. 


In Hinblick auf eine unterrichtliche Integration in den Deutschunterricht eignet sich Loki. Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht) im Rahmen von Unterrichtseinheiten zum Thema „Sagen“, ist doch Loki in der nordischen Mythologie als listenreicher und verschlagener Gott und Gestaltwechsler bekannt. Daher kann im Rahmen des Unterrichts der Weg von der Sage zum Kinderbuch gegangen und dieses auszugsweise gelesen werden. Diesbezüglich bietet sich beispielsweise eine antizipierende Vorgehensweise an, indem die Schüler*innen grob den Plot des Kinderbuches erfahren und dann skizzieren, wie der ihnen aus der Sagenwelt bekannte Loki das bestehende Problem wohl lösen würde. Aber auch der umgekehrte Weg ist möglich, finden sich im Verlauf der Handlung doch immer wieder gekonnt eingestreute mythologische Verweise, die auf eine ungezwungene Art und Weise zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Sagenwelt verlocken. Ist zum Beispiel der von Loki während des Unterrichts in der Menschenschule gezeichnete Stammbaum so korrekt? Oder was hat es mit der Geschichte auf sich, dass er ein Fohlen mit acht Beinen zur Welt gebracht und dieses Odin geschenkt hat? Im besten Fall kann dies über den Unterricht hinaus zu einem weiterführenden Lesen von Jungen, die laut Leseforschung ein besonderes Faible für Sachtexte und -bücher haben, führen. Sowohl für den Unterricht als auch als Leseempfehlung bietet sich zum Beispiel das Buch Die Nordischen Sagen. Loki – Im Bannkreis der Götter (dtv digital, 2016) von Katharina Neuschaefer an. Die Sammlung weist eine Altersempfehlung ab 9 Jahren auf und passt somit zur Zielgruppe. Und auch das GEOlino Extra Nr. 48 zur Götterwelt der Wikinger besitzt zusammen mit der Internetseite (https://www.geo.de/geolino/basteln/1532-rtkl-wikinger-die-goetterwelt-der-wikinger) das Potenzial, Kindern den Zugang zu dieser Sagenwelt zu eröffnen. 


Für Kinder, die anhand der Auszüge und Informationen zum Buch Gefallen an diesem gefunden haben, aber noch nicht so gute Leser*innen sind, besteht durch das zeitgleich erschienene Hörbuch aber auch die Möglichkeit, die witzige Geschichte von Loki vollständig auditiv zu erleben. Zwar können bei dieser medialen Adaption die großartigen gestalterischen Elemente keine Berücksichtigung finden, aber aufgrund des hervorragenden Lesens von Stefan Kaminski gelingt es diesem, die Besonderheiten des Romans auf kongeniale Art und Weise einzufangen.