Rezensiert von Dominik Achtermeier
Ein Job seiner Mutter ermöglicht es Måns, vier Wochen der Sommerferien in Malmö zu verbringen. Über das Skateboardfahren lernt er Mikkel kennen und schnell entwickelt sich eine echte Jungenfreundschaft, die von gegenseitiger, bedingungsloser Akzeptanz geprägt ist. Doch Måns verpasst den richtigen Moment, seinem Bro ein Geheimnis anzuvertrauen. Wie wird Mikkel reagieren, wenn er erfährt, dass Måns als Michelle zur Welt gekommen ist? Ich-Erzähler Måns schildert eine authentische Geschichte, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommt!
Buchtitel | Best Bro Ever! |
Autor | Jenny Jägerfeld, übers. v. Susanne Dahmann |
Genre | Gegenwart & Zeitgeschichte |
Lesealter | 10+ |
Umfang | 155 Seiten |
Verlag | Urachhaus |
ISBN | 978-3-8251-5342-7 |
Preis | 16,00 Euro |
Erscheinungsjahr | 2023 |
Måns wünscht sich nichts mehr, als Stockholm für ein paar Wochen den Rücken zu kehren. In Malmö hofft er, seinen Alltag und den inner- wie außerfamiliären Problemen rund um seine Person entfliehen zu können. An nichts anderes denken, das kann Måns am besten auf seinem Skateboard, doch Nora, die auf ihn aufpassen soll, wird er nicht so recht los. Zum Glück gibt es im Park eine Skateboardrampe, an der er auf Mikkel trifft, dem er unweit der angemieteten Wohnung auf Zeit bereits zuvor begegnet ist. Mit seinen scharfen Eckzähnen und den Tattoos auf seinen Armen wirkt er bedrohlich wie ein Wolf (vgl. S. 41). Natürlich will Måns Mikkel, Nicki, Jasse und den anderen zeigen, was er mit dem Skateboard draufhat und riskiert einen Boardslide, der missglückt und mit einem Krankenhausaufenthalt endet. Mikkel ist fasziniert von Måns‘ Mut und macht ihn kurzum zu seinem Best Bro ever. Ein heimlicher Ausflug über die Landesgrenze nach Kopenhagen und viel Zeit, die die beiden fortan zuhause, im Park oder am Meer miteinander teilen, schweißt die zwei Jungen zusammen. Die beiden schwören sich als Blutsbrüder absolute Wahrheit. Doch dieses Versprechen wird auf eine harte Probe gestellt, als Mikkel in Måns‘ Zimmer dessen Reisepass findet. In Måns‘ Pass steht noch sein Taufname Michelle. Dass Måns nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden hat, Mikkel von seiner Vergangenheit zu erzählen, fasst Mikkel als Missbrauch seiner Freundschaft und seines Vertrauens zu ihm auf. Eine Aussprache der beiden kommt vor der Abreise zurück nach Stockholm nicht mehr zustande. Einige Zeit später ergibt sich für Måns dann doch noch eine Gelegenheit Mikkel wiederzusehen.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
„Man merkt, dass du ein richtiger Mann bist. Obwohl du Stockholmer bist. Taff. Ehrlich. Ich mag das.“ (S. 55) Mikkels Worte sind Musik in Måns‘ Ohren, der zuvor noch nie jemanden so über ihn hat sprechen hören. Auch wenn er mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, fühlt er sich solange er denken kann als Junge. Anstatt sein öffentliches Bekenntnis zu sich selbst zu akzeptieren, konfrontieren ihn Familienmitglieder, wie der Vater oder die Großmutter, ebenso wie Mitschüler*innen bis zuletzt immer wieder mit ihren Bewertungen zu seiner Transidentität und distanzieren sich von ihm. Der Vater nimmt sogar räumlichen Abstand zu Måns und seiner Mutter ein, indem er sich auf eine lange Fahrradreise begibt, anstatt die Urlaubszeit zu nutzen, um mit seiner Frau und dem Sohn gemeinsam Zeit zu verbringen. Von all diesen „anstrengenden“ (S. 94) Umständen erzählt der Ich-Erzähler Måns in kleinen Rückblenden, die sehr geschickt in die realistische Geschichte um Måns und Mikkels Freundschaft verwoben sind. Die Erzählung schafft auf diese Weise den Spagat zwischen Humor und Problemorientierung und lädt die Leser*innen ein, über Toleranz und Diskriminierung zu reflektieren. Unter allen anderen fiktionalen Texten für Heranwachsende, in denen Transsexualität thematisiert wird, sticht dieser kurzweilige wie unaufgeregt-eindrucksvolle Roman von Jenny Jägerfeld aufgrund der jugendlichen Erzählstimme heraus: Eine transidente Figur selbst erzählt ‚ihre‘ Geschichte und überzeugt die im Text direkt adressierten Leser*innen, durch die Offenlegung ihrer teilweise sehr privaten Gedanken. Die jugendlichen wie erwachsenen Haupt- wie Nebenfiguren sind multiperspektivisch angelegt und bilden eine Bandbreite von Gesellschaft ab, wodurch Identifikationspotenziale für Lesende entfaltet werden. Darüber hinaus ermöglichen viele nur angedeutete Informationen oder Eigenschaften zu einzelnen Figuren den Lesenden, Leerstellen des Romans auszugestalten. Mikkels ständig abwesende Eltern etwa betreiben ein indisches Restaurant, in dem sie „im Grunde rund um die Uhr“ (S. 84) arbeiten. Vermutlich haben sie einen Migrationsbezug.
Die Übersetzerin Susanne Dahmann findet für den bereits 2016 in Schweden veröffentlichten Roman von Autorin Jenny Jägerfeld, Preisträgerin des schwedische Astrid-Lindgren-Preises 2017, genau den richtigen Ton, welcher Transsexualität nicht überdramatisiert, sondern unterschwellig vermittelt. Dabei sorgen der Einsatz von authentischer Jugendsprache und Wortwitz beim Lesen immer wieder für Schmunzler: „Well. Man kann nicht gerade sagen, dass Mama so wahnsinnig froh drüber war, ihren ersten Aufnahmetag abbrechen zu müssen, weil ich geradewegs in ein Planschbecken geskatet […] war.“ (S. 66) Måns‘ Beschreibungen der Malmöer*innen fällt noch skurriler aus. In einer Punkteliste über Nora, seine Babysitterin, hält er fest, dass sie bei einem zufälligen Stoß ihres Knies an einem Tisch, dreimal absichtlich nachstößt. „Sie will, dass es immer vier gibt. Gestern hat sie sogar viermal Hej gesagt. Aber in Malmö sagen Sie mehr ‚Hai‘. Das gibt dann: ‚Hai Hai Hai Hai.‘ Ich wollte schreien: Wo denn?! […].“ (S. 32)
Der Roman, dessen Kapitel durchschnittlich sechs bis sieben Seiten zählen, ermöglicht Wenigleser*innen einen schnellen Leseerfolg. Durch Kapitelüberschriften wie „Die übelste Fleischwunde!“ macht er seine Leser*innen neugierig auf den Fortgang der Erzählung, die besonders an jenen Stellen eine starke Leser*innen-Text-Bindung erzeugt, an denen Måns darüber nachdenkt, was er mit dem Entschluss, in seiner gewohnten Umgebung die Wahrheit über sich preiszugeben, angerichtet hat. Wieviel Schuld trägt er an den sehr unterschiedlichen Reaktionen der anderen und überhaupt daran, dass plötzlich alles anders ist? Werden sich seine Eltern wegen ihm scheiden lassen? Wird sein Vater jemals akzeptieren, dass er nicht mehr seine Tochter Michelle, sondern sein Sohn Måns ist? „Jedes Mal, wenn ich an Papa denke, werde ich traurig […] Im Grunde glaube ich, dass dies hier der Grund ist, warum er nicht mit nach Malmö gekommen ist.“ (S. 96f.) Mit seinem „vom Klima besessenen Vater“ (S. 45) teilt Måns die Leidenschaft, in der Natur zu sein und Skateboard zu fahren (vgl. S. 85). Er vermisst ihn sehr. Seine Mutter hingegen akzeptiert Måns als ihren Sohn und ist bereit, zeitnah psychologische wie ärztliche Unterstützung einzubeziehen, damit Måns als junger Mann leben kann. Ein glückliches Ende – Vater und Sohn finden ebenso wieder zueinander wie Mikkel und Måns – findet die Story, die ihre Leser*innen zum Weiterdenken einlädt.
Best Bro ever! verdeutlicht, dass sich nicht unbedingt die Betroffenen, sondern allem voran die Gesellschaft im Umgang mit Diversität und sexueller Vielfalt (in der eigenen Familie) schwertut, Anderssein zu akzeptieren und binäre Denkweisen und Codierungen von Welt aufzugeben. Die kurzweilige und sprachlich leicht zugängliche Lektüre ist für reifere Leser*innen sehr zu empfehlen. Der Einsatz des Buchs bietet sich über alle Maßen als Schullektüre an!
Der Roman Best Bro ever! hat seinen Platz in jeder gut sortierten (Schul-)Bibliothek und Lesekiste verdient, da er Themen verhandelt, mit denen sich Heranwachsende – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung – auseinandersetzen. Wer bin ich? Wie wirke ich auf andere? Wie weit möchte ich mich wem gegenüber öffnen, ohne etwas von mir preiszugeben? Welche Konsequenzen könnte das Ende einer großen Lüge später für mich haben? Was bedeutet mir Freundschaft und was macht eine echte Freundschaft aus?
Die Fragen, mit denen sich Måns auseinandersetzt, sind Fragen, die sich viele Schüler*innen stellen. Ganz alleine, mit dem oder der besten Freund*in oder in einer größeren Gruppe. Jedes Kapitel bietet somit Anschlussstellen für literarische Kommunikation über die Lektüre. Vorausgesetzt werden sollte allerdings, dass sich erwachsene Vermittler*innen mit dem Thema Transsexualität vorab umfangreich auseinandergesetzt haben, um auf mögliche Schüler*innenfragen, die im literarischen Gespräch gestellt werden könnten, professionell reagieren und/oder diese in einem auf die Lektüre ausgestalteten Lehr-Lernsetting vertiefen zu können.
Für einen Romanvergleich bietet sich John Boynes Roman Mein Bruder heißt Jessica an, der ebenfalls von boys & books empfohlen wurde. Der Film Mein Sohn Helen (D 2015) von Regisseur Gregor Schnitzler ermöglich im medienintegrativen Unterricht eine Gegenüberstellung zweier Transitionsgeschichten. Ebenso herangezogen werden können Webseiten, die über Transsexualität und sexuelle Vielfalt aufklären.