Buchcover Coming of H

Hamed wächst dort auf, wo es für Jugendliche nichts zu tun gibt: in der westdeutschen Provinz der...

Rezensiert von Franziska de Vries

Zwischen Skateboards, Drogen, Schlägereien und der ersten Liebe findet Hamed seinen Weg ins Erwachsenwerden. Während er seine Leidenschaft fürs Zeichnen entdeckt, lernt er für sich und andere einzustehen. Hamed ist ein sympathischer Protagonist, dessen Geschichte einen authentischen Einblick in die westdeutsche Provinz der 90er Jahre gibt – eine eindrücklich gezeichnete Graphic Novel, die nicht nur mit ihren Bildern überzeugt.  

BuchtitelComing of H
AutorHamed Eshrat
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang176 Seiten
VerlagAvant
ISBN978-3-96445-079-1
Preis26 €
Erscheinungsjahr2022

Hamed wächst dort auf, wo es für Jugendliche nichts zu tun gibt: in der westdeutschen Provinz der 1990er Jahre. So beschäftigt er sich nicht nur mit Skaten und Sprayen, sondern auch mit Kiffen und Feiern. Auf einer Party nähert er sich seinem Crush Nina an, die ihn zwar zunächst ablehnt, ihm im Laufe der Geschichte dann aber zu einer treuen Wegbegleiterin wird. Die aufkeimende Langeweile des Alltags zwischen öden Schulaufgaben und fehlenden Hobbys stiftet Hamed und seine Clique immer wieder zum Drogenkonsum an. Hameds bester Freund Sven gibt sich nicht mit Alkohol und Cannabis zufrieden und steigt bald auf Heroin um – und landet damit schließlich im Krankenhausbett. Hamed findet einen rettenden Anker im Zeichnen. Sein Talent bleibt nicht unentdeckt, eine Werbeagentur wird auf den Protagonisten aufmerksam. Nachdem Hamed und Sven gemeinsam einen Zeichen-Wettbewerb gewinnen, möchte die Agentur allerdings nur Hamed unter Vertrag nehmen. Hamed besinnt sich auf seine Freundschaft mit Sven und lehnt das Angebot ab. 


Die Erzählung webt auch Einblicke in die Einwanderungsgeschichte der Eltern ein. Seit der Ankunft in Deutschland leidet Hameds Vater an Depressionen und hat Probleme, sich zu integrieren. Hamed findet zwischen all diesen Herausforderungen seinen Weg und verfolgt seinen Traum eines Kunststudiums in Berlin.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden. 

„In unserem Kaff gab es NICHTS! Keinen Skatepark oder sonst irgendeine Alternative zu der Normalo-Provinz-Scheiße!“ (S. 21) – so beschreibt der junge Hamed die westdeutsche Provinz in den Neunzigern. Comic-Zeichner Hamed Eshrat thematisiert in der Graphic Novel Coming of H zum Teil autobiografisch und mit lebhaftem Strich die Herausforderungen des Erwachsenwerdens zwischen Drogenmissbrauch, Rassismuserfahrungen und Perspektivlosigkeit. 

Die Graphic Novel besticht bereits durch das Cover, auf dem eine Gruppe Jugendlicher die Betrachtenden herausfordernd anblickt. Das Cover gibt einen verlässlichen Eindruck von dem, was sich zwischen den Seiten verbirgt: eine mitreißend und authentisch gezeichnete Erzählung um Hamed. Da die Provinz für Jugendliche scheinbar wenig Möglichkeiten bietet, beschäftigen sich Hamed und seine Freund*innen nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit Drogen. Zwischen rasanten Skateboards, farbenfroher Graffiti-Kunst und rauchigen Partynächten begleiten die Rezipient*innen den Protagonisten beim Erwachsenwerden. Dabei nähert er sich seinem ersten Crush Nina an. Hameds Gefühlswelt wird durch versierte Striche sichtbar gemacht. So bekommen Betrachter*innen einen Einblick in seine Nervosität vor dem ersten Kuss und können die Verärgerung nachvollziehen, wenn seine Mutter ihn beim Telefonieren belauscht. Gleichzeitig baut der Comic-Zeichner einen subtilen Humor in die Darstellung alltäglicher Situationen ein. Dieser drängt sich nicht auf, macht jedoch auf amüsante Art und Weise Schwierigkeiten deutlich, mit denen pubertierende Jugendliche zu kämpfen haben. 


Mit Hamed hat Coming of H einen überzeugenden authentischen Protagonisten, der jeder Person direkt sympathisch sein dürfte. Hamed beeindruckt durch seine Suche nach einer Leidenschaft, die er im Laufe der Erzählung im Zeichnen findet. Während er gemeinsam mit seinem besten Kumpel Sven an einem Zeichenwettbewerb teilnimmt, besinnt er sich immer wieder auf die Bedeutung von Freundschaft. Als eine Werbeagentur allerdings nur ihn und nicht auch seinen Freund anstellen möchte, steht er für die Freundschaft mit Sven ein und verlässt die Agentur ohne unterzeichneten Vertrag. Und obwohl er damit klarkommen muss, dass sein Lehrer ihm nicht zutraut, an der Berliner Kunstakademie angenommen zu werden, verliert er seinen Traum eines Kunststudiums nie aus den Augen. 


Des Weiteren greift die Handlung immer wieder die Einwanderungsgeschichte von Hameds Familie auf, die aus dem Iran nach Deutschland kamen. Seine Eltern flohen vor dem sogenannten Islamischen Staat. Seit der Ankunft in Deutschland leidet Hameds Vater an Depressionen und hat Probleme damit, sich in Deutschland zurechtzufinden und zu integrieren. Zwar wird diese Ebene ungeschönt erzählt, Eshrat baut sie allerdings gekonnt in die Handlungsführung ein, ohne Lesende dabei zu überfordern. Die zum Teil traurigen und tragischen Passagen werden zeichnerisch elegant vom Rest der Handlung abgelöst. So spielt Eshrat mit Farbe und Layout und nutzt unterschiedliches Lettering, um Lesenden Orientierung zu bieten. 


Coming of H begeistert durch den Tiefgang der Handlung, was nicht zuletzt auch im autobiografischen Anteil der Geschichte begründet ist. Protagonist Hamed entwickelt sich im Laufe der Erzählung zu einer ambitionierten und couragierten Person. Er steht für seine Gedanken und Ziele ein und löst sich von seiner Familiengeschichte. Das Setting (das Landleben in den 90er Jahren) spielt dabei keine vordergründige Rolle. Eshrat legt eine Graphic Novel vor, die berührt, ermutigt und nachdenklich macht.

Coming of H passt als überzeugende Graphic Novel in das private Bücherregal. Die eindrücklichen Bilder dienen als Spannungsgarant und können den eher alltäglichen Handlungsverlauf ausgleichen. Somit ist Coming of H definitiv für junge Leser*innen zu empfehlen, die von langen Textpassagen abgeschreckt werden.   

Coming of H sollte außerdem in keiner (Schul-)Bibliothek fehlen. Besonders spannend gestalten sich Themen wie Migration und Integrationshürden in Deutschland, Leben der 2. Generation, Drogenmissbrauch und Landleben in den 90er Jahren. Zu diesen Themen können beispielsweise Lesekisten erstellt werden. Bei der Thematisierung im Klassenverbund kann es Jugendlichen über die Zeichnungen leichter fallen, eigene Assoziationen zu entwickeln, ohne vorher einen langen Text lesen zu müssen.