Buchcover Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen

Hoodie Rosen lebt mit seiner Familie seit Kurzem in Tregaron, wo sie versuchen Fuß zu fassen. Die...

Rezensiert von Barbara Reidelshöfer

Hoodie hat Schulprobleme, eine liebenswert-nervige Familie, einen schrägen Kumpel und ein Mädchen, in das er aussichtslos verliebt ist. Klingt nach typischem Coming-of-Age-Roman? Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen bietet viel mehr, denn der Protagonist ist auch praktizierender orthodoxer Jude. So erhält man differenzierte Einblicke in eine Glaubensgemeinschaft und erfährt, wie Vorurteile und Antisemitismus Hoodies Leben ziemlich auf den Kopf stellen.

BuchtitelRuhm und Verbrechen des Hoodie Rosen
AutorIsaac Blum, übers. v. Gundula Schiffer
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter14+
Umfang217 Seiten
VerlagBeltz & Gelberg
ISBN978-3-407-75721-0
Preis15,00 €
Erscheinungsjahr2023

Hoodie Rosen lebt mit seiner Familie seit Kurzem in Tregaron, wo sie versuchen Fuß zu fassen. Die Anwohner Tregarons legen aber alles daran, die ‚Ausbreitung‘ der jüdisch orthodoxen Gemeinde, die sie im Bau eines Hochhauses für die jüdische Gemeinde befürchten, zu verhindern. Hoodie weiß von dieser antisemitischen Grundhaltung, erlebt diese aber bislang nur vermittelt über Gespräche. Denn er selbst wächst geborgen in seiner Familie und jüdischen Gemeinde auf, geht in die jüdische Schule, hat Spaß mit seinen jüdischen Freunden und ist so nur wenig mit der Realität konfrontiert. Das verändert sich schlagartig, als er sich unerwartet, aber dafür umso heftiger in ein nicht-jüdisches Mädchen verliebt: Anna-Marie. Sein ganzes Denken und Streben richten sich darauf, Anna-Marie zu sehen, ein paar Worte mit ihr zu tauschen, sie zu treffen. Dies ist für ihn als jüdisch-orthodoxen Jungen aber nicht so einfach und wird sowohl von der Gemeinde als auch von der eigenen Familie abgelehnt, selbst als die beiden gemeinsam Hakenkreuze im Friedhof abschrubben. Aber diese Maßnahme wird ganz anders interpretiert, als die beiden gedacht haben. So erschweren nicht nur Vorurteile die Freundschaft, sondern auch die Tatsache, dass Anna-Marie die Tochter der stark antisemitisch agierenden Bürgermeisterin ist. Ganz abgesehen davon, dass die Lebenswelten der beiden Jugendlichen unterschiedlicher nicht sein könnten und Anna-Marie vielleicht ganz andere Gefühle als Hoodie empfindet… Die Situation zwischen den beiden, aber vor allem zwischen der jüdisch-orthodoxen Gemeinde und den antisemitischen Bürgern Tregarons spitzt sich weiter zu und eskaliert schließlich in einem Vorfall, der zu einer großen Wende in Hoodies Leben führt. 

Eine Leseprobe kann hier aufgerufen werden.

“Aus leicht nachvollziehbaren Gründen kannst du meine Familie nicht wirklich kennenlernen. Ich werde dir nur von ihr erzählen. Fangen wir mit mir an. Denn ich gehöre zu meiner Familie.” (S. 18) So beginnt Hoodie nach einem fulminanten Eingangskapitel, das ihn unerwarteter Weise mit der Liebe auf den ersten Blick konfrontiert, über sich und seine Familie zu erzählen: Die ist jüdisch-orthodox und praktiziert ihren Glauben streng. So lebt auch der Protagonist des Romans nach den Traditionen und Regeln der Gemeinschaft, lernt die Tora und heilige jüdische Schriften (oder besser gesagt: versucht sie zu lernen!) und sieht aus wie ein wandelnder Bar Mizwa: mit dunklen Locken und einer ziemlich prägnanten Nase. […] Wenn du dich an stark übertriebenen orthodoxen Stereotypen orientierst, dann liegst du wieder goldrichtig. Masel tov.” (S. 18f.) Nicht nur in dieser Selbstbeschreibung wird der ironische Ton einer außergewöhnlichen, humorvollen und selbstbewussten jugendlichen Erzählstimme deutlich, die bislang im Jugendbuch ihresgleichen suchen dürfte. 

In seinem Debütroman schafft es Isaac Blum, das komplizierte Gefühlsleben eines jüdischen Heranwachsenden gleichzeitig witzig und tiefgründig darzustellen. Denn Jehuda – so heißt Hoodie eigentlich – verliebt sich in die Falsche. Eine Nichtjüdin, die knapp bekleidet vor der Talmudschule stolziert und Hoodie in ihren Bann zieht. Maries Welt ist so, wie das der Leser*innen: eigentlich ganz normal, aber für Hoodie doch ganz anders. Denn es birgt tausend Gefahren und Ablenkungen von dem Leben, das er eigentlich führen soll. 

Die Verschiedenartigkeit der beiden Figuren, die stellvertretend für zwei Lebenswelten und -weisen stehen, offenbart viele witzige Situationen, die in bester jüdischer Erzähltradition selbstironisch und komödiantisch geschildert werden. 

Aber der schwelende Konflikt, der in der Gegensätzlichkeit der beiden Welten liegt, verschärft sich auch ohne deren Zutun immer mehr. Hoodie beginnt an den bisher gültigen Lebensregeln zu zweifeln: Wie kann es sein, dass eine gute Tat auf einmal als schlecht angesehen wird? Wer bestimmt über Verrat und Menschlichkeit? Warum ist die Liebe zu Marie eigentlich falsch? Gegen die Unsinnigkeit ihm unverständlicher und einengender Regeln rebelliert der jugendliche Held und stürmt in seinem Drang nach Freiheit und Liebe gegen manches Vorurteil auf beiden Seiten. Während Hoodie in immer neue Gewissenskonflikte gerät, eskaliert das Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinde und den Bewohnern Tregarons unaufhaltsam, bis der offene Antisemitismus in einem brutalen Attentat eskaliert, das auch für Hoodie alles verändert.

Die Geschichte Hoodies bietet viel Identifikationspotential für Jugendliche, die selbst in religiösen Gemeinschaften oder auch in anderen kulturellen Kontexten aufwachsen und sich so immer wieder zerrissen fühlen oder Entscheidungen treffen müssen, die ihre Traditionen in Frage stellen. Gleichzeitig öffnet der Roman ein Fenster in die Welt streng gläubiger Menschen, ohne diese herabzuwürdigen. Die zum Teil extremen Gedanken und Moralvorstellungen, die in Hoodie Rosen aufeinanderprallen, regen zum Nachdenken an. Am Ende kommt es im Rahmen des Möglichen doch noch zu einer Versöhnung der beiden Lager und so zeigt der Roman auch, dass es vor allem wichtig ist, miteinander im Gespräch zu bleiben und Tabus nicht einfach unhinterfragt hinnehmen zu müssen. So kann Gegensätzliches und scheinbar Unvereinbares vielleicht doch zusammenwachsen – Vorurteile stehen dabei jedenfalls auf beiden Seiten im Weg. 

Diese Botschaft wird mit viel Witz und einem überaus sympathischen Erzähler, der trotz der Fremdheitserfahrung Nähe und Identifikation zulässt, vermittelt. Der Roman besticht mit einem überzeugenden Plot, authentischen Figuren und einem spannenden Einblick in die heutige Welt des orthodoxen Judentums. Diese ist überaus kenntnisreich geschildert, was zu Beginn der Lektüre gerade unerfahrene Leser*innen leicht überfordern kann, was auch an der sprachlichen Hürde der häufigen Fachtermini liegen kann, die auf alle Fälle den Lesefluss unterbrechen. Zwar gibt es ein umfängliches Glossar, das die vielen Rituale und Begrifflichkeiten aus der jüdischen Glaubens- und Lebenswelt verständlich erklärt. Dieses ist aber leider nur online abrufbar und nicht im Roman selbst integriert. Ein kurzes Vorwort erhellt den Entstehungskontext von Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen und verweist auf die Aktualität des dort beschriebenen Antisemitismus in den USA, der aber genauso auch in Deutschland (und darüber hinaus) auftritt.

Da gerade dieser Aspekt des Romans bei den Jugendlichen sicher auch weiterführende Fragen aufwirft und die (gegenseitigen) Vorurteile einer kritischen Reflexion bedürfen, ist eine schulische Lektüre sinnvoll. Die bei manchen Leser*innen auftretenden anfänglichen Leseschwierigkeiten, Fragestellungen und Irritationen können so gemeinsam überwunden werden. Belohnt werden die Schüler*innen mit einer besonderen Alteritätserfahrung, die trotz der Schwere des Themas ungemein humorvoll vermittelt wird. Gerade die witzigen, selbstironischen Beschreibungen des jüdischen Alltags, der Beziehung Hoodies zu seiner Familie und Freunden oder die Szenen rund um die durchaus auch peinlichen Situationen des ersten Verliebens lassen entgegen der anfänglichen Ankündigung des Erzählers das Gefühl entstehen, Hoodie doch wirklich kennenzulernen. Und so lässt dieser besondere Roman die Leser*innen an einer ganz anderen Welt, einem anderen Kulturkreis, einer anderen Perspektive auf das für uns Alltägliche teilhaben und öffnet die Augen für das Andere und damit auch für sich selbst.

Als Privatlektüre eignet sich Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen für Jugendliche jüdischen Glaubens oder Jugendliche, die sich bereits mit der jüdischen Kultur auseinandergesetzt haben bzw. sich dafür interessieren (lassen). Da die Thematik im deutschen Jugendbuch rar ist, sollte das Buch unbedingt in schulischen und öffentlichen Bibliotheken prominent präsentiert werden. 

Der Roman bietet sich sehr gut als Unterrichtslektüre an, vor allem um interkulturelle bzw. religiöse Fragestellungen zu thematisieren. Auch die Arbeit in fächerübergreifenden Projekten (Deutsch, Ethik/Religion) ist gut möglich. 


Für die Lektüre hilfreich und anzuraten ist das ausgezeichnete Glossar, das die wohl zumeist unbekannten jüdischen Gegenständen, Ritualen, Personen erläutert, und im Kontext der unterrichtlichen Behandlung unabdingbar ist. Es ist unter: www.beltz.de/fileadmin/beltz/downloads/KJB/GLOSSAR_Blum_Hoodie_75721.pdf abrufbar.