Buchcover Weil.

Die fünf Abiturienten Esther, Knut, Manuel, Philipp und Selin wollen mehrere Tage im Ferienhaus von...

Rezensiert von Frank Münschke

Ein harmloser Wochenendausflug entwickelt sich für fünf Freunde zu einem Alptraum. Denn das Böse bricht in Form von drei Fremden unaufhaltsam über sie herein. In Martin Musers psychologischem Kammerspiel Weil. geht es um die großen Fragen: Schuld, Macht, Terror, Angst, Gewalt. Es wird schnell klar, dass es darauf keine Antworten gibt und auf niemanden ein Happy End wartet. Eine packende und verstörende Leseerfahrung!

BuchtitelWeil.
AutorMartin Muser
GenreKrimi & Thrill
Lesealter14+
Umfang122 Seiten
VerlagCarlsen
Preis13,00 Euro
Erscheinungsjahr2023

Die fünf Abiturienten Esther, Knut, Manuel, Philipp und Selin wollen mehrere Tage im Ferienhaus von Esthers Eltern verbringen. In ihrem VW-Bus nehmen sie den Anhalter Liam mit: Dieser gibt sich provokant und ist latent sexistisch und rassistisch. An einem Rastplatz lassen die Ausflügler Liam stehen und einige Kilometer weiter wirft Manuel Liams Tasche aus dem Fenster. Nach der Ankunft im idyllisch gelegenen Ferienhaus ist die Stimmung gut und ausgelassen. 


Am Morgen des kommenden Tages steht auf einmal Liam vor der Tür, zusammen mit zwei etwas älteren Typen: Liams Bruder Henk und Arne, einem Freund Henks. Sie wollen die Tasche, in der sich Liams Medikamente befinden, zurückhaben. Die drei drängen sich auf und bedrohen die fünf Jugendlichen. Henk etabliert sich dabei schnell als Anführer. Mehrere Vermittlungsversuche der Freundesgruppe scheitern, zu ihrer Überraschung und Erleichterung geben sich die Eindringlinge mit 80 Euro zufrieden und ziehen von dannen.


Doch Arne, Henk und Liam kommen am nächsten Tag zurück – dieses Mal mit einem Jagdgewehr. Die Bedrohungssituation ist nun deutlich nachdrücklicher und Henk droht ihnen mit dem Tod. Er stellt die Frage: Welcher symbolische Preis wäre angemessen für die verlorene bzw. weggeworfene Tasche? Die Situation scheint hoffnungslos: Esthers Fluchtversucht scheitert, auch ein Angriff auf die Eindringlinge ist nicht erfolgreich, ein geheimer Hilferuf an einen Nachbarn wird nicht gehört. Als Henk kurz davor ist, einen der Jugendlichen tatsächlich zu töten bzw. töten zu lassen, kommt es zu einer überraschenden Wendung.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden. 

Die fünf Hauptfiguren werden klar gezeichnet in den Roman eingeführt und nach nur wenigen Seiten ergibt sich ein eindrückliches Bild der Gruppe: Alle fünf besuchen die Abschlussklasse eines Gymnasiums, bis auf Manuel entstammen alle einem bildungsbürgerlichen Umfeld, sie sind sozial engagiert, achten auf ihren ökologischen Fußabdruck und haben gelernt, Konflikte verbal zu klären. Gleichzeitig werden auch die Probleme und Sorgen der Figuren erwähnt, so hat sich etwa Manuels Freundin erst vor Kurzem von ihm getrennt. Die fünf Figuren zeichnen sich einerseits durch unterschiedliche Wesenszüge aus, andererseits weisen sie auch stark stereotype Merkmale auf.

 

Das kann zwar kritisch angemerkt werden, der Fokus des Romans liegt allerdings viel stärker auf Spannungselementen und Fragen der Moral – und hier kann Musers Text durchaus überzeugen. Weil. ist von Beginn an kurzweilig und nach dem Eintreffen von Arne, Henk und Liam entsteht große Spannung bzw. Anspannung, die nur kurz unterbrochen wird, wenn die drei Figuren kurzzeitig wieder verschwinden. Insgesamt hält Muser das Erzähltempo sehr hoch und gleichzeitig fordert der Text die Lesenden ständig zum Nachdenken auf: Durch die Konzeption des Romans und die bereits erwähnte Bedrohungssituation bauen die Lesenden Sympathie zur Freundesgruppe auf, unterdessen halten die Eindringlinge den fünf Hauptfiguren den Spiegel vor und hinterfragen etwa ihr teilweise arrogantes und herablassenden Verhalten. Diese Kombination macht den besonderen Reiz des Romans aus und Muser gelingt der Spagat zwischen Thriller und Gesellschaftskritik hervorragend. 


Einhergehend mit den moralischen und ethischen Aspekten ist der Roman aber auch ein Text über Angst und stellt sehr offen die Frage: Wie würdest du dich in einer derart existentiellen Situation verhalten? Die fünf Hauptfiguren befinden sich in einer hilflosen Lage, die sich immer weiter zuspitzt. Sie haben in ihrem bisherigen Leben gelernt, dass durch verbale Kommunikation Konflikte gelöst werden können. Nun sind sie dem sadistischen Henk und den beiden anderen Eindringlingen ausgeliefert, die Bedrohungssituation äußert sich psychisch und physisch. Ab einem gewissen Punkt innerhalb der Narration kann es keine positive Auflösung mehr geben. Auch wenn es zu einer überraschenden Wendung – in Form eines Deus ex machina – kommt, die Hauptfiguren bleiben desillusioniert und geläutert zurück. 


Über die Beweggründe der drei Eindringlinge und ihre sozialen Hintergründe lässt Muser die Leser*innen übrigens im Unklaren: Das Böse bricht scheinbar aus dem Nichts in die bekannte und geordnete Welt ein – wie das auch in dem eingangs zitierten Film Funny Games von Michael Haneke der Fall ist oder in vielen Teen-Slasher-Filmen. Das macht einen zusätzlichen Reiz für die Rezipient*innen aus, die gleichzeitig mit dieser Offenheit zurechtkommen müssen. Am Ende bleiben viele Fragen offen, sowohl für die Freundesgruppe in der Erzählung als auch für die Leser*innen. 


Insgesamt ist Weil. ein packender Thriller, der moralische und ethnische Fragen stellt und die Leser*innen auch nach Beendigung der Lektüre beschäftigen wird. Daher wird das Buch vor allem für geübte Leser*innen und Jugendliche ab 15 Jahren empfohlen.

Der Roman bietet sich sehr für eine Klassenlektüre ab der 9. Klasse an. Dabei ist besonders eine Verschränkung mit dem Fächern Ethik und Philosophie sinnvoll. Auch wenn die Verweise auf Theorien des Bösen in Weil. etwas knapp und oberflächlich ausfallen, so stellen diese zusätzliche Anknüpfungspunkte dar.