Buchcover 15 Tage sind für immer, Vitor Martins

Felipe (17) leidet unter seiner Fettleibigkeit: Er geht anderen – besonders Gleichaltrigen –...

Rezensiert von PD Dr. Ines Heiser

Der 17-jährige Felipe hat sich mit seinem Außenseiterdasein arrangiert: Weil er wegen seines Übergewichts Komplexe hat und gemobbt wird, verbringt er nur die notwendigste Zeit in der Schule. In seiner Freizeit ist er meist allein und schaut skurrile Do-it-yourself-Videos. Doch dann kommt es zum absoluten GAU: Seine Mutter lädt Caio, den Sohn einer Nachbarin, dazu ein, die Ferien bei ihnen in ihrer sehr kleinen Wohnung zu verbringen und Felipe muss sich plötzlich mit seinem  gutaussehenden Schwarm ein Zimmer teilen… Ein Coming of Age-Roman, der mit sehr viel Witz und Tempo davon erzählt, wie es trotz schwieriger Bedingungen gelingen kann, Selbstrespekt und gute Beziehungen zu anderen aufzubauen.

Buchtitel15 Tage sind für immer
AutorVitor Martins
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang276 Seiten
Edition1. Auflage
Verlagone
ISBN978-3-8466-0151-8
Preis12,99 €
Erscheinungsjahr2022

Felipe (17) leidet unter seiner Fettleibigkeit: Er geht anderen – besonders Gleichaltrigen – möglichst aus dem Weg und freut sich sehr auf die Ferien, in denen er die Mobber aus seiner Schule wenigstens für einige Zeit nicht sehen muss. Am letzten Schultag eröffnet ihm jedoch seine Mutter, dass sie angeboten hat, den Nachbarjungen Caio für zwei Wochen zu beherbergen, solange dessen Eltern auf einer Dienstreise sind. Für Felipe ist das ein traumatisches Szenario: Der cool wirkende Caio, mit dem er als Kind befreundet war, ist sein heimlicher Schwarm – und mit diesem muss er nun nicht nur die ohnehin kleine Wohnung, sondern sogar noch sein Zimmer teilen. Nachdem Felipe zuerst unsäglich unter dem Verlust seiner Privatsphäre leidet, nähern sich die beiden Jungen nach und nach an. Felipe gelingt es, seine sozialen Phobien zu bekämpfen, er baut ein freundschaftliches Verhältnis zu Caios bester Freundin Beca auf und erkennt zunehmend, dass auch andere mit Schwächen und Unsicherheiten umgehen müssen. Schließlich kann er Caio gegenüber sogar seine romantischen Gefühle zugeben und er findet heraus, dass dieser sie erwidert. Felipe ist es dabei am Ende gar nicht mehr so wichtig, ob beide sich für immer lieben werden (wie die Pinguine, die Caios Eltern erforschen), die Hauptsache ist, dass er gelernt hat, sich selbst zu akzeptieren: Er erlaubt es sich selbst, glücklich zu sein und er traut sich endlich, sich selbst zu zeigen – selbst an Orten, wo er Kritik erwarten kann, wie am Pool seines Wohnblocks.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

„RAUS AUS MEINEM ZIMMER! SOFORT!“ (S. 22) – dieser Satz, den Felipe dem schockierten Caio entgegenschreit, als er unvermittelt beim Verlassen der Dusche auf diesen trifft, ist symptomatisch für Felipes Haltung anderen gegenüber zu Beginn der Romanhandlung: Er lebt in sich zurückgezogen, er traut niemandem, abgesehen höchstens von seiner empathischen und toleranten Mutter, und er verbringt seine Zeit am liebsten in einer digitalen Fantasiewelt. Dabei lässt er sich häufig ziellos treiben: Felipe ist fest davon überzeugt, „im Talent-Lotto […] nicht gewonnen“ (S. 46) zu haben und beschränkt sich deswegen zumeist darauf, sich obskure Tutorials anzusehen, ohne überhaupt erst den Versuch zu unternehmen, die gezeigten Projekte umzusetzen.

Grund für Felipes schlechtes Selbstwertgefühl ist sein großes Übergewicht, auf das Gleichaltrige mit Hänseleien und Mobbing reagieren. Auch Erwachsene reagieren auf Felipes Erscheinungsbild wenig respektvoll. Seit Langem reduziert sich Felipe selbst auf dieses Aussehen und blendet aus, dass er gleichzeitig viele liebenswerte Züge und attraktive Eigenschaften hat. Erst durch die Herausforderung, sein Leben gezwungenermaßen auf Zeit mit einem Gleichaltrigen teilen zu müssen, gelingt es Felipe, auch andere Seiten an sich zu entdecken und zu schätzen. So verteidigt er etwa einen kleineren Jungen, als dieser in eine Mobbing-Situation gerät. Er entdeckt, dass ihm die Farbe Rot gut steht und dass ihn andere, wie etwa Caios Freundin Beca, für sein freundliches Wesen, seinen Humor und sein abstruses Spezialwissen mögen. Daneben erlebt er, dass auch dünne Personen mit Unsicherheiten zu kämpfen haben. Beispielsweise traut sich Becas Freundin Melissa, die in Felipes Augen wie ein Model aussieht, ebensowenig wie er, in Badekleidung den Pool zu benutzen: Es stellt sich heraus, dass sie sich unwohl damit fühlt, ihre sonst durch Kleidung verdeckten Aknenarben zu zeigen.

Während das spezifische Problem des Übergewichts nur einen Teil eines jungen Lesepublikums direkt betreffen dürfte, ist die Felipes inneren Konflikten zugrundeliegende Konstellation eine, die wohl alle Jugendlichen in der Pubertät erleben und die daher für besonders viele Lesende ansprechend erscheint. Martins schreibt versiert, empathisch und in vielen Szenen auch sehr komisch darüber, wie schwierig es sein kann, sich anderen gegenüber zu öffnen und sich ihnen mit allen Unperfektionen zu zeigen. Der Roman stellt insofern Herausforderungen des Erwachsenwerdens ausgesprochen authentisch dar. Besonders positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Felipes Entwicklungsprozess bei Martins tatsächlich als ein Prozess der inneren Reifung beschrieben wird: Es ist nicht die entstehende Liebesbeziehung zu Caio, die Felipe positiv in die Zukunft schauen lässt; ebensowenig ändert sich etwas an Felipes Übergewicht oder den unhöflichen Reaktionen, die er dafür manchmal bekommt. Felipe gelingt es vielmehr, sich selbst besser zu akzeptieren; das Leben fühlt sich für ihn „anders an, seit ich mich der Möglichkeit geöffnet habe, selbst gemocht zu werden“ (S. 268). Vor diesem Hintergrund muss festgestellt werden, dass das Romancover – welches den Fokus sehr deutlich auf die Liebesbeziehung legt – eher in die Irre führt. Tatsächlich bietet ein von Martins selbst erstelltes Comicporträit des Protagonisten (S.6, nicht paginiert) zusammen mit seiner Widmung („Für alle, die im Pool schon mal ihr T-Shirt angelassen haben“) einen sehr viel passenderen Einstieg in den Roman. Es geht in der Erzählung hauptsächlich um Felipes Auseinandersetzung mit sich selbst, um seinen Kampf darum, zu erkennen, dass trotz und ganz unabhängig von seinem Aussehen für ihn die Botschaft gelten kann, die seine Großmutter ihm mehrfach mitgegeben hat: „Die ganze Welt gehört dir“ (S. 54), oder, wie ihm eine Glückskeksnachricht mitteilt: „Dir können unglaubliche Dinge passieren, wenn du nur den Mut findest, zu sprechen“ (S. 126).

Neben dieser positiven Botschaft spricht für den Roman besonders der schnodderig-witzige und selbstironische Tonfall, in dem der autodiegetische Erzähler Felipe die – für ihn selbst häufig gar nicht komischen – Ereignisse präsentiert, etwa, wenn er über seine Situation in der Schule berichtet: „Manchmal kommt es mir so vor, als gäbe es unendlich viele gemeine Spitznamen für dicke Leute. Damit will ich nicht sagen, dass sie alle besonders kreativ seien, aber die endlose Liste von Beleidigungen, die meine Mitschülerinnen und Mitschüler sich ausdenken, beeindruckt mich immer wieder. Es wäre so viel unkomplizierter, wenn sie mich einfach Felipe nennen würden“ (S.9). Durch die autodiegetische Erzählperspektive gelingt es Martins zudem besonders überzeugend, die Spannungen zwischen Felipes Gedankenwelt, die sehr häufig darum kreist, was andere von ihm denken, und seinem tatsächlichen Verhalten darzustellen, zum Beispiel wenn er sofort darüber grübelt, wie die exzentrische Beca eine Verabschiedung, bei der sie ihn floskelhaft ‚Hottie‘ nennt, gemeint hat: „Okay, vielleicht hat sie es ironisch gemeint. Oder vielleicht nennt sie alle Leute so. Oder vielleicht findet sie wirklich, dass ich ein Hottie bin, aber auf eine platonische Art. Schnell senke ich den Kopf […]“ (S. 123). Die authentische Darstellung des Gedankenkarussels dürfte viele junge Leser*innen als bekannt ansprechen. Die eher kurzen, alltagssprachliche Sätze steigern ebenfalls die Zugänglichkeit und die Erzählung wird oft durch Chatkommunikationen oder Listen aufgelockert. Eine hohe Übersichtlichkeit bietet der ohnehin eher schmale Roman auch insofern, als dass die Kapitel meistens nur etwa fünfzehn Seiten umfassen. Der Roman ist damit auch für Personen gut geeignet, die sonst eher wenig oder langsam lesen. Jedes Kapitel beschreibt einen der fünfzehn Tage und trägt diese Zählung auch als entsprechende Überschrift. 

Da vergleichsweise intime Fragen im Zentrum des Romans stehen, eignet sich 15 Tage sind für immer am besten als Privatlektüre. Aufgrund des hohen Unterhaltungsfaktors und des wichtigen Themas passt der Roman sehr gut in (Schul-)Büchereien, er lässt sich ebenfalls in Lesekisten zum Thema Identitätsfindung einordnen. In diesen Settings kann es jedoch erforderlich sein, zusätzliche Informationen zum Roman anzubieten oder ihn am Thema Interessierten zu empfehlen. Das leider unglücklich gewählte Cover mag dazu verleiten, Leser*innen von der Lektüre abzuhalten oder Leseerwartungen zu enttäuschen. Im Rahmen von Leseclubs oder Leseprojekten kann dieser Umstand als Ausgangspunkt für eine eigene kreative Auseinandersetzung der Rezipient*innen mit dem Roman genutzt werden, indem Jugendliche im Anschluss an die Lektüre eigene Cover entwerfen.

Auch im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit LGBTQIA+-Themen bzw. in der geschlechtersensiblen Bildung kann der Roman seinen Platz finden. Hier ist allerdings zu beachten, dass es sich gerade nicht um einen klassischen Coming Out-Roman handelt. Für Felipe ist seine sexuelle Orientierung kein großes Thema. Tatsächlich verwendet er gegenüber seiner Mutter die Erklärung, dass er homosexuell sei, sogar, um ihr nicht sagen zu müssen, dass er unter seinem Aussehen und den Reaktionen anderer darauf leidet. Einen Gegenentwurf dazu stellt Caio dar, es klingt an mehreren Stellen an, dass seine Eltern seine sexuelle Orientierung nicht akzeptieren. Insofern ist der Roman im Kontext queerer Bildung gut geeignet, um zu zeigen, dass sexuelle Orientierung nur eins von verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen darstellt und dass daraus für verschiedene Personen ganz unterschiedliche Konsequenzen entstehen können.