Buchcover Hey, Kiddo, Jarrett J. Krosoczka

Der Titel der autobiografischen Graphic Novel Hey, Kiddo steht für die Begrüßungsworte seiner Mutter...

Rezensiert von Prof. Dr. Ina Brendel-Kepser

Wenn es keine heile Familie gibt und das Leben dennoch gelingt – darum geht es in der Graphic Novel Hey, Kiddo, die zugleich die autobiografische Geschichte des Illustrators Jarrett J. Krosoczka erzählt. Jarretts Kindheit wird von einer großen Lücke bestimmt, denn seine Mutter ist drogenabhängig und zu seinem Vater hat er keinen Kontakt. Jarretts Leidenschaft wird für ihn zur Rettung: Comics lesen und selbst zeichnen. Ausdruckstarke Bilder und Panels vermitteln jungen Leser*innen diesen besonderen Lebensweg.

BuchtitelHey, Kiddo
AutorJarrett J. Krosoczka
GenreComing of Age
Comic & Graphic Novel
Lesealter12+
Umfang320 Seiten
VerlagLoewe Graphix
ISBN978-3-7432-1064-6
Preis18,00 €
Erscheinungsjahr2022

Der Titel der autobiografischen Graphic Novel Hey, Kiddo steht für die Begrüßungsworte seiner Mutter Leslie, wenn sie Jarrett von Zeit zu Zeit sieht. Während Jarrett als kleines Kind noch bei ihr gelebt hat, ist sie eines Tages verschwunden. Aufgrund ihrer Drogensucht verbringt Leslie die meiste Zeit ihres Lebens in Kliniken oder im Gefängnis. So wächst Jarrett bei seinen Großeltern zusammen mit den Geschwistern der Mutter auf. Auch über seinen Vater weiß Jarrett nichts. Als ihm die Großeltern die Wahrheit über die Heroinabhängigkeit seiner Mutter eröffnen, ist das für ihn mehr als schockierend. Die Frage nach der eigenen Herkunft wird zu einem großen Thema in seinem Leben. Wie gut, dass es seinen besten Freund Pat gibt und Jarrett mit seiner Begabung im Zeichnen eine echte Berufung findet. Schließlich gelingt es ihm sogar, seinen Vater ausfindig zu machen und sich dessen neuer Familie anzunähern.   

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

In einer Mischung aus ausdrucksstarken Panels ohne Umrandung und Collagen mit zahlreichen Fotos, Faksimile-Briefen und anderen Dokumenten aus seinem Leben erzählt Jarrett J. Krosoczka seine eigene Geschichte. Und diese beginnt lange vor seiner Geburt:  Erzählt wird vom Kennenlernen der Großeltern und ihrer Hochzeit, der ungewollten Schwangerschaft der Mutter, Jarretts schwieriger Kindheit und ihren Geistern bis hin zur Emanzipation des Jugendlichen über seine Zeichenkunst. Dass sich am Ende auch die ersehnte Bekanntschaft mit dem Vater erfüllt, passt zum Optimismus, der die Geschichte trotz all ihrer ungeschönten Härte durchzieht.

Mit Jarrett lernt der/ die Leser*in einen Jungen kennen, der in einem Comic-Kurs seine große Leidenschaft entdeckt und dank dieser Stärke einen Weg findet, den Widernissen des Lebens zu trotzen. Das schmerzliche Vermissen der eigenen Mutter, die spätere trotzige Abwehr, die Liebe zu den Großeltern und gleichzeitig die Peinlichkeit, dass diese so alt sind, die diversen Alltagssorgen und -nöte vom gestorbenen Hamster bis zur Absage des erhofften Studienplatzes – dieses breite Lebensspektrum an Situationen und Emotionen wird in einem dichten Bilderreigen präsentiert. Immer wenn es ganz schlimm wird, weichen die monochromen Töne in braun-beige einem tiefen Schwarz. Doch dann scheinen auch Momente voller Komik auf. Nicht zuletzt überzeugt das Figureninventar durch Unkonventionalität, wenn die Leser*innen einer Großmutter begegnen, die raucht und trinkt und flucht, die ungerecht, aber zugleich überaus zugewandt sein kann. Die dynamischen Bilder sind detail- und anspielungsreich; manche kommen ganz ohne Text aus, andere legen ihren Schwerpunkt auf eine Vielzahl an Sprechblasen oder aktivieren Soundwords in leuchtend roter Farbgebung. Das Buch ist allein auf visueller Ebene ein großer Augenschmaus, denn überall gibt es versteckte Details zu entdecken und zu entschlüsseln. Dass Lesende den inhaltlichen Überblick in all den Konstellationen von Vor- und Nachgeschichte nicht verliert, wird durch die klare äußere Struktur in acht Kapiteln, die jeweils grafisch abgesetzt sind, erreicht. Die authentischen Dokumente, die der Text abbildet, liegen im Anhang in deutscher Übersetzung vor.   

Vor allem für Leser*innen, die selbst gerne Comics lesen (oder produzieren), ist die Lektüre dieser Graphic Novel – jenseits der eindringlichen autobiografischen Geschichte – höchst empfehlenswert. Im Nachwort formuliert Krosoczka zum einen die Erkenntnis: Nicht nur Bücher retten Leben, sondern auch Zeichenblöcke! Zum anderen liefert er einschlägige Hinweise zur künstlerischen Gestaltung seiner Graphic Novel.


Die Graphic Novel verdient einen Platz in allen Schul- oder Klassenbibliotheken der Mittelstufe. Vor dem Hintergrund des zentralen Themas Comiczeichnen bietet sich ein produktionsästhetischer Zugang unbedingt an. Zusätzlich kann das Werk in eine Reihe weiterer aktueller Graphic Novels gestellt werden, die ebenfalls Lebensgeschichten erzählen, die eigene der Illustrator*innen oder die berühmter anderer Persönlichkeiten. Diese Graphic Memoirs lassen sich (ggf. in Auszügen) miteinander vergleichen – als Einblick in die Machart(en) textuell-graphischer Kunst der Gegenwart und als weiterführende Leseanregung.