Rezensiert von Dr. Matthias Jakubanis
Drei Jugendliche, die dem aufkommenden Nationalsozialismus in Wien ausgesetzt sind und erfahren müssen, wie eine tief empfundene Freundschaft schleichend vergiftet wird: Packend und drastisch erzählt, lässt der Roman das persönliche Erleben und die inhumanen Mechanismen im Nationalsozialismus aus drei miteinander schicksalhaft verbundenen jugendlichen Perspektiven nachverfolgen. Potenzial für einen neuen Klassiker im Schulunterricht.
Buchtitel | Als die Welt uns gehörte. Drei Freunde, zwei Seiten, eine Erinnerung |
Autor | Liz Kessler |
Genre | Gegenwart & Zeitgeschichte |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 300 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | S. Fischer |
ISBN | 978-3-7373-4256-8 |
Preis | 17,00 € |
Erscheinungsjahr | 2022 |
Elsa, Leo und Max erleben 1936 einen wunderschönen Tag in Wien. Leos Vater ermöglicht ihm zum Geburtstag eine Fahrt im Prater mit seinen beiden besten Freunden. Von diesem schönen Tag zehren die damals 10-jährigen Kinder noch lange – vor allem, als die Zeiten schwieriger werden. Als Österreich vom nationalsozialistischen Deutschland eingenommen wird, sehen sich Elsa und Leo wegen ihrer jüdischen Herkunft mehr und mehr gedemütigt und eingeschränkt, während Max‘ Vater, ein rücksichtsloser nationalsozialistischer Karrierist, seinem Sohn den Umgang mit ihnen verbietet.
Über die Jahre trennen sich die Wege der drei Kinder: Elsas Familie emigriert nach Prag, wird dort von den Nazis eingeholt, muss ins Ghetto und später ins Konzentrationslager. Max‘ Vater macht Parteikarriere, die Familie zieht nach München und Max versucht die Erinnerung an seine Freunde zu verdrängen, um der beste Hitlerjunge zu werden. Leos Vater wird verhaftet, doch Leo und seiner Mutter gelingt die Flucht nach England. Von den Freunden im Prater überlebt nur er den Krieg.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Der Roman bietet für junge Leserinnen und Leser einen spannenden und zugleich erzählerisch drastischen Zugang zur Shoa und der Frage nach der individuellen Verantwortung. Durch die authentischen historischen und autofiktionalen Bezüge, eine zielgruppenadäquate, verständliche Sprache und einen wohlkonstruierten Spannungsbogen gelingt es, die Frage nach der individuellen Verantwortung angesichts einer inhumanen Ideologie auf fesselnde Art zu problematisieren. Hierbei fokussiert der Plot nicht nur auf die Schrecknisse der Shoa selbst, sondern bahnt das Verständnis für die Entstehung antisemitischer und letztlich inhumaner Denkweisen an. Der Autorin gelingt es dabei nuanciert, keine reine Schwarz-Weiß-Lesart darzubieten, sondern insbesondere durch die Figur des Hitlerjungen Max – die Anspielung auf Schenzingers Quex kann vermutet werden – die Problematik von jugendlicher Mitverantwortung zu thematisieren, die durchaus auch auf die Gegenwart übertragbar ist.
Die mitunter drastischen Schilderungen, insbesondere im Konzentrationslager, sind zu berücksichtigen und werden durch einen verlagsseitigen Hinweis zu Beginn annotiert; keineswegs sollte dies jedoch abschrecken, wenn man die ‚Banalität des Bösen‘ (Hannah Arendt) besser verstehen möchte, das den drei jugendlichen Protagonisten in diesem Roman widerfährt.
Narratologisch sind zudem die drei, auch textuell klar getrennten Perspektiven der Jugendlichen interessant konstruiert, bieten sie Potenzial, auf die ästhetische Bedeutsamkeit der Figurenperspektive bzw. die Leserlenkung näher einzugehen.
Ein insgesamt sehr spannender, ansprechend geschriebener Roman, der auf eindrucksvolle Weise die Auseinandersetzung mit zentralen Wertethemen ermöglicht.
Der Roman richtet sich eher an fortgeschrittene Leserinnen und Leser und bietet vielfältiges didaktisches Potenzial, welches auch verlagsseitig durch Unterrichtsmaterialien unterstützt wird. Mögliche Impulse für den Unterricht:
In diesem Zusammenhang bietet sich der fächerübergreifende Zugang (Deutsch, Geschichte, Religion/(praktische) Philosophie) an.