Buchcover Wenn Sterne verstreut sind, Victoria Jamieson und Omar Mohamed

Omar und sein jüngerer Bruder Hassan leben seit vielen Jahren im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia....

Rezensiert von Nicole Bachor-Pfeff 

„Niemand sagt einem Stern, er soll nach Hause gehen.“ Mit viel Hoffnung und leisem Humor erzählt die Graphic Novel Wenn Sterne verstreut sindüber eine Kindheit in einem afrikanischen Flüchtlingslager, in der es einem Jungen gelingt, sich und seinem Bruder eine Zukunft zu schaffen.
Ein einfühlsamer Blick in den Alltag geflüchteter Kinder, den die New York Times Bestsellerautorin Victoria Jamieson Omar Mohamed verdankt, dem somalischen Mann, der diese Geschichte selbst erlebt hat.

BuchtitelWenn Sterne verstreut sind
AutorVictoria Jamieson und Omar Mohamed
GenreComic & Graphic Novel
Lesealter10+
Umfang258 Seiten
Edition1. Auflage
VerlagAdrian Verlag
ISBN978-3985850501
Preis9,95 €
Erscheinungsjahr2022

Omar und sein jüngerer Bruder Hassan leben seit vielen Jahren im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia. Sie sind während des Bürgerkriegs aus Somalia geflohen, nachdem ihr Vater auf seiner Farm erschossen wurde. Auf der Flucht verlieren die beiden Jungen ihre Mutter. Omar muss sich von nun an um seinen jüngeren Bruder Hassan kümmern, welcher seit seiner Geburt (bis auf ein einziges Wort) nicht sprechen kann und immer wieder unter Krampfanfällen leidet. Im Lager finden sie in Fatuma, einer älteren Frau in der Nachbarschaft, eine Art Pflegemutter. Die Brüder bewältigen ihr Leben im Lager aber weitgehend selbstständig und sehr tapfer - immer in der Hoffnung, ihre Mutter wiederzufinden und dass der Krieg enden würde und sie nachhause zurückkehren könnten. Doch die Zeit zieht dahin und es wird immer deutlicher, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllen wird. 

Nach sieben von Langeweile, Hunger, Hitze und Albträumen geprägten Jahren erhält Omar die Chance, die Schule im Camp zu besuchen. Zunächst zögert er, weil er denkt, seinen Bruder nicht alleine lassen zu können. Aber er erhält ungeheure Unterstützung von vielen Mitmenschen aus dem Lager, die ihn zum Schulbesuch überzeugen. Sein Ziel: Schulabschluss, Visum für die USA, Studium, UN-Mitarbeiter werden, um anderen Flüchtlingen zu helfen. 

Es ist ein sehr langer Weg. Aber durch Disziplin, unendliche Geduld, Fleiß, Glück, viel Liebe und Unterstützung schaffen die beiden Brüder das Unglaubliche. Dieses Glück wird beeindruckend deutlich, altersgerecht und verständlich vermittelt.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Wenn Sterne verstreut sind ist ein wichtiges, starkes und tiefgründiges Buch, das zutiefst berührt, aber durch den reduzierten Zeichenstil, der etwas an den Stil von Hergé erinnert, emotional auf Distanz bleibt. So kann man sich sehr gut in die Figur Omars, aus deren Perspektive erzählt wird, hineinversetzen, von ihr mitnehmen lassen und mitfühlen. Trotzdem bleibt diese Schicksalsgeschichte auf Abstand und auch für sensible Leser*innen noch ertragbar.

Auch wenn hier eine ganz besondere kindlich-männliche Biographie im Kontext einer Fluchtgeschichte bearbeitet wird, ist das überall auf der Welt relevante Thema der Selbstfindung und des Erwachsenwerdens auch auf europäisch geprägte Biographien übertragbar. Unter den angesprochenen Lesern und Leserinnen werden sich aber auch Kinder befinden, die die Erfahrungen Omars zumindest teilweise teilen. So ist dieses Buch aus zwei Perspektiven interessant: Es bietet Identifikationsfiguren für Kinder, die selbst ein solches oder ähnliches Schicksal zu verarbeiten haben und fördert Verständnis und Empathie bei denjenigen, die diesen begegnen. 

Vorwiegend wird das Schicksal der beiden Jungen erzählt; es bleibt aber im Nebenstrang der Erzählung ausreichend Platz, um auch das Schicksal vieler Mädchen in den Flüchtlingslagern nachzuvollziehen. Leserinnen und Leser erhalten viele Einblicke wie beispielsweise in die Gefühlswelt dieser Kinder – und einen intensiven Blick über den eigenen Tellerrand hinaus.


Durch die Dramatik der Erzählung und deren Wirklichkeitsbezug setzt die Spannung gleich zu Beginn der Graphic Novel ein, innerhalb der Erzählung zeigt sie manchmal Längen. Trotzdem fällt der Spannungsbogen nie ab. Die Handlung wird sowohl über die direkte Rede in Sprechblasen erzählt als auch über größere aus der Perspektive Omars erzählende Textpassagen entfaltet. Die Handlungsführung ist klar und strukturiert, die Kapitel grenzen diese sinnvoll ein, so dass sich der Leseprozess gut unterbrechen und wieder aufnehmen lässt. 


Der Sprachstil, das Vokabular und die Komplexität der Satzkonstruktion sind angemessen, zumal immer durch den Kontext, den die Zeichnungen bieten, erschließbar. Auch die Dialoge sind authentisch. Ein Beispiel, um dies zu verdeutlichen: Jeri möchte seinen Freund Omar und seinen Bruder Hassan überzeugen, Englisch zu lernen, um nach Amerika gehen zu können, das ersehnte Paradies. Jeri: „Hör zu, Hassan, wenn du in Amerika leben willst, musst du Englisch lernen.“ Omar: „Wie oft soll ich‘s dir noch sagen?! Wir gehen nicht nach Amerika, wir gehen nach Somalia zurück, wenn der Krieg vorbei ist.“ (S.23).


Der Titel greift eine zentrale Aussage im Buch auf, die auch durch die Covergestaltung veranschaulicht wird: zwei kleine Jungs, die umarmt und lächelnd unter einem schönen afrikanischen Sternenhimmel spazieren. Die Farben sind sehr harmonisch, die Figuren positiv und liebenswert, sodass sich vom ersten Moment an ein emphatisches Berührtsein einstellt. Die pastellige Farbgebung des Covers wird über die ganze Graphic Novel hinweg in jedem einzelnen Panel beibehalten. Für eine altersgerechte Lektüre ist die Schriftgröße allerdings etwas klein, was vermutlich dem kleinen handlichen Format des Buches geschuldet ist. 


Wenn Sterne verstreut sind ist eine (auto)biografische Graphic Novel. Der Co-Autor Omar Mohamed schildert seine eigene, ganz persönliche Kindheits- und Überlebensgeschichte. Der heute erwachsene Omar lebt mit seiner Frau, seinen fünf Kindern und seinem Bruder Hassan in Pennsylvania/USA und hat sich seinen Berufswunsch aus Kindheitstagen erfüllt: Er arbeitet als Sozialarbeiter für Geflüchtete und hat mit dem Verein Refugee Strong seine eigene Hilfsorganisation gegründet. Ziel dieser ist es, Schülerinnen und Schüler in Flüchtlingslagern zu unterstützen. Manchmal verfasst auch das wirkliche Leben unfassbare Wunder.

Das Buch eignet sich zur privaten Lektüre, aber auch als Unterrichtslektüre. 

Niemand, der in Europa aufwachsen durfte, kann sich vorstellen, wie es ist, Jahre in einem Flüchtlingslager zu verbringen und dort aufzuwachsen. Omar Mohamed und Victoria Jamieson beschönigen nichts, weder Omars Frust und Trauer noch die zu früh verheirateten Mädchen. Hier gibt es viel Gesprächsbedarf und viele Gesprächsanlässe. 

Im Unterricht bietet sich eine Graphic Novel als Textgrundlage für szenisches Spiel oder Theater an. Hieraus könnte über mehrere Klassen hinweg ein Theaterprojekt entstehen.

Fachübergreifend lassen sich über Webquest-Aufgaben beispielsweise die politischen und historischen Hintergründe recherchieren. In höheren Klassen könnte der gesamte Diskurs über Migrations- und Fluchtbewegung durchleuchtet werden. Alles in allem könnten dann die verschiedenen Ergebnisse zu einen Thementag oder Themenabend zusammengeführt werden.