Buchcover Christian Linker: Y Game: Sie stecken alle mit drin

Janusz hört seine Kumpels Min-Su, Mert und Vinzent über den geheimnisvollen Y sprechen, der...

Rezensiert von Barbara Reidelshöfer

Wer steckt hinter Y? Worauf will das neue Alternate Reality Game aufmerksam machen? Was soll diese ganze Geschichte um angeblich verschwundene Kinder?

Außenseiter Janusz will die Codes knacken. Immer tiefer verstrickt er sich in Ys Gedankenwelt und findet dabei Unglaubliches heraus...  Ein extrem spannender Thriller um Fake News und Verschwörungstheorien, der einen tiefen Einblick in die jugendliche Lebens- und Gefühlswelt gewährt. Unbedingt lesen!

BuchtitelY-Game: Sie stecken alle mit drin
AutorChristian Linker
GenreKrimi & Thrill
Lesealter14+
Umfang247 Seiten
Edition1. Auflage
Verlagdtv
ISBN978-3-423-44046-2
Preis14,95 €
Erscheinungsjahr2022

Janusz hört seine Kumpels Min-Su, Mert und Vinzent über den geheimnisvollen Y sprechen, der verschlüsselte Nachrichten in einem neuen Alternate Reality Game postet und die Community dazu auffordert, das Rätsel um die verschwundenen Kinder zu lösen. Sein Interesse ist sofort geweckt. Da er schnell merkt, dass seine früheren Freunde nicht wirklich mit der Sprache herausrücken und ihn nicht mehr bei ihren Treffen dabeihaben wollen, beschließt er, alleine in Erfahrung zu bringen, wer hinter den Codes steckt. Vor allem, als ihm klar wird, dass die vielen Posts auf eine Verschwörung in seiner Heimatstadt hinweisen, setzt er alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, was es mit den verschwundenen Kindern auf sich hat und wer dafür verantwortlich ist. Vielleicht kann er dadurch den anderen beweisen, dass er kein Langweiler ist, sondern wirklich etwas auf dem Kasten hat? Er will der Erste bei diesem Spiel sein und das Rätsel lösen. Dafür knackt er einen Code nach dem anderen und findet die versteckten Hinweise in der realen Welt, die Y auslegt, um die Täter endlich zur Strecke zu bringen. Nach und nach wird Janusz ein Werkzeug Ys; er verstrickt sich immer mehr in dessen Theorien und kann nicht mehr unterscheiden, was wahr und was fake ist. Für ihn zählt nur noch: das Y-Game zu einem glücklichen Ende zu bringen. Dass beim großen Showdown alles ganz anders ist als  erwartet, stellt seine Welt dann endgültig auf den Kopf.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Christian Linker ist mit seinem neuem Thriller Y-Game: Sie stecken alle mit drin ein höchst lesenswerter Roman gelungen, der nicht nur aufgrund seiner Kürze (247 Seiten!) auch weniger leseaffine Jugendliche ansprechen kann. Gerade Jungen, die selbst gerne gamen und viel Zeit im Netz verbringen, dürften sich schon von dem überaus gelungenen Cover angesprochen fühlen. Der spannende Klappentext macht sofort neugierig und der erste Satz des Romans zieht mit seiner Direktheit in den Bann. Denn das Gefühl, das hinter der Aussage “Die ganze Welt ist ein beschissener Mindfuck” steht, baut einen Sog auf, der durch die große Handlungsspannung konstant erhöht wird. Die immer wieder eingestreuten codierten Posts Ys sowie dessen mysteriöse, tagebuchartigen Einträge, die die eigentliche Handlung kurz unterbrechen, aber den*die Leser*in immer stärker in die verwirrten, monströs-abstruse Gedankenwelt eines Verschwörungstheoretikers ziehen, faszinieren beim Lesen und tragen dazu bei, dass man selbst die Rätsel um die verschwundenen Kinder lösen möchte.

Dass die Identifikation mit dem Protagonisten Janusz so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass dieser ein ganz normaler, sympathischer Jugendlicher ist, der ganz alltägliche Probleme mit Schule und Eltern hat, gerne Computer zockt und auch sonst einfach das macht, was alle in seinem Alter tun. Dass er trotzdem ein Außenseiter ist, wird im Roman kaum problematisiert, erklärt aber sein immer stärkeres Hinabgleiten in Ys Alternate Reality Game, fehlt ihm doch zusehends eine andere Sicht auf die reale Welt. Wie er sich immer mehr in den Verschwörungstheorien und Fake News verliert, wird beängstigend nachvollziehbar beschrieben und veranschaulicht so eindrücklich ein Phänomen unserer Zeit.

Aber nicht nur die Themen rund um Fake News sind anschaulich und authentisch, sondern auch alle auftretenden Figuren in Y-Game sind trotz der Kürze des Romans erstaunlich differenziert getroffen. 

Es überrascht positiv, dass im Verlauf des Romans noch andere Themen ein Gewicht bekommen, auf die weder Cover noch Klappentext hinweisen: Am dominantesten ist hierbei die sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Janusz und Chiara, die auch für den Jungen selbst völlig aus heiterem Himmel kommt. Dass aus dem Versuch, mithilfe des etwas seltsamen Mädchens Informationen über Y zu erhalten, tatsächlich seine erste große Liebe entsteht, verwirrt ihn zutiefst. Wie diese ungewohnte Situation, die verwirrenden, einzigartigen Gefühle des Verliebtseins und die Entdeckung der gemeinsamen Sexualität von Linker geschildert werden, ist die eigentliche Überraschung des Romans. Denn es gelingt ihm im Gegensatz zu vielen anderen Jugendromanen, überaus glaubwürdig und offen ein authentisches Bild der ersten Liebe in Zeiten der sexuellen Reizüberflutung durch das Internet zu zeichnen und dabei alle Unsicherheiten und Fragen eines Heranwachsenden sensibel und ohne jeden Kitsch aufzugreifen. Genau damit bietet er den jugendlichen Leser*innen neben der aktuellen politischen Dimension des Romans eine Ebene zur Reflexion und Identitätsentwicklung, die im Internet und wohl auch oft genug im Kreis der Familie und bei Freunden so nicht geboten wird. 

Gerade diese typische Coming-of-age-Thematik und deren gelungene Umsetzung trägt dazu bei, dass Y-Game: Sie stecken alle mit drin viel mehr als ein normaler Thriller ist. Dadurch kann er auch Jugendliche ansprechen, die sich nicht genuin für die Themen Gaming und / oder die politischen Fragen rund um Fake News und Verschwörungstheorien interessieren. Dazu trägt besonders die Figur Chiaras bei, die im Verlauf der Handlung immer mehr Gewicht erhält. Dass sich am Ende herausstellt, dass ihre Ticks tatsächlich eine posttraumatische Ursache haben und ihre psychischen Probleme größer sind, als sie zunächst scheinen, gibt der Handlung eine überraschende Wendung. Wie Linker auch dieses derzeit beliebte Motiv im Jugendbuch geschickt und wie nebenbei integriert, kann ebenfalls überzeugen, vor allem, da es an keiner Stelle zu Überfrachtung, einer Banalisierung oder gar Spannungsabfall führt. 

Im Gegenteil, die Handlungsspannung ist durchgehend extrem hoch. Mit Y-Game: Sie stecken alle mit drin liegt ein echter Page-Turner vor.  Als Leser*in kann man sich dem Sog um die Identität und Gedankenwelt Ys nicht entziehen. Aufgrund der klaren, prägnanten Sprache, der Kürze des Romans, die gleichzeitig eine große Bandbreite an Themen geschickt entfaltet, und der differenziert gezeichneten, authentischen Protagonisten spricht der Roman sowohl leseschwächere als auch leseerfahrene Jugendliche an.

Y-Game: Sie stecken alle mit drin ist für alle schulischen und außerschulischen Lesefördermaßnahmen geeignet. Er spricht auf den ersten Blick Leser*innen an, die gerne intelligente Thriller lesen und sonst z. B. zu Ursula Poznanskis Werken greifen. Aber auch Jugendliche, die gamen, könnten sich durch das Cover angezogen fühlen, ebenso wie politisch interessierte Schüler*innen, die sich mit Literatur Sachthemen nähern möchten.


Der Roman sollte in keiner (Schul-)Bibliothek fehlen und dort auch prominent ausgestellt werden, um möglichst viele Leser*innen zu erreichen. Hier kann man Y-Game: Sie stecken alle mit drin entweder thematisch oder genrespezifisch präsentieren.


Im unterrichtlichen Kontext kann der Roman sehr vielfältig eingesetzt werden. So kann er im Deutschunterricht ab Jahrgangsstufe 9 als Klassenlektüre gemeinsam gelesen werden, da er neben der Leseförderung über das bei Schüler*innen beliebte Genre des Thrillers auch eine vielfältige Themenbreite aufweist, die wesentliche Prozesse des literarischen Kompetenzerwerbs bzw. des Literarischen Lernens initiieren und vertiefen kann.

Ebenso ist fächerübergreifendes Arbeiten gut vorstellbar, da sich v.a. die Aspekte rund um Medienerziehung und Politische Bildung mit gesellschaftswissenschaftlichen Fächern verknüpfen lassen. Aber genauso ist eine Kooperation mit dem Fach Biologie in Bezug auf Sexualerziehung denkbar.

Der Roman eignet sich ebenfalls hervorragend für individualisierte Leseverfahren: Egal ob (digitale) Leseportfolios, (digitale) Buchvorstellung, das Schreiben von Buchrezensionen, die Herstellung von Booktubes oder Buchtrailern, der Einsatz des Romans bei Bookslams- oder Bookdates – mit Christian Linkers Thriller sind alle bewährten, aber auch innovativen didaktischen Formate denkbar.

Aufgrund der Aktualität des Themas bietet sich darüber hinaus ein themenorientiertes Leseprojekt an, das Y-Game: Sie stecken alle mit drin mit anderen (Sach-)Texten zum Thema Verschwörungstheorien verknüpft. Die Auswahl verschiedener Texte geht auf die individuellen Interessen und Genrevorlieben ein, ermöglicht aber gleichzeitig einen vertieften Diskurs über ein gemeinsames Thema.

Der Lerngruppe wird dazu folgender Textpool zur Verfügung gestellt, der noch beliebig erweiterbar ist:

- Ursula Poznanski: Shelter

- Martin Schäuble: Sein Reich

- die Sachbücher Fake News: Falschmeldungen in Nachrichten und Politik: kompakt zusammengefasst von Karoline Kuhla und Manfred Theisens Nachgefragt: Medienkompetenz in Zeiten von Fake News

- die Graphic Novels Fake News und Verschwörungstheorien: Wie man Gerüchten nicht auf den Leim geht von Gérald Bronner sowie Glauben Sie an die Wahrheit – Humorvolle Comic-Reportage über Verschwörungstheorien von Doan Bui und anderen (erscheint im August 2022)

- die Browser-Spiele Fake it to make it und Get bad news

Durch Aufgaben, die alleine oder in Lesegruppen bearbeitet werden und die einzelnen Texte miteinander verknüpfen, findet eine vertiefte Auseinandersetzung mit jeweils einem Werk statt. In gemeinsamen Austauschphasen präsentieren die jeweiligen Expertengruppen ihren Text und die dazugehörigen Arbeitsergebnisse. Davon ausgehend können gemeinsame vergleichende oder weiterführende Aufgaben bearbeitet und diskutiert werden, sodass die Klasse von den einzelnen Lesefrüchten der Mitschüler*innen profitiert.