Buchcover Emil Kaschka: Grünholz

Jonas, der aufgrund seiner Haarpracht von allen Wuschel genannt wird, ist neu im Internat...

Rezensiert von Frank Münschke

In Grünholz erzählt der jugendliche Jonas von seinem ersten Schuljahr in einem konservativen Internat. Behandelt werden typische Themen der Adoleszenz: Freundschaft, Liebe, Mobbing, Identitätssuche. Der Roman überzeugt durch eine direkte und klare Sprache, ein interessantes Setting und eine sympathische Hauptfigur. Dabei verzichtet Emil Kaschka auf den genretypischen Pathos und es gelingt ihm, auch schwere Themen anzugehen, ohne dabei die Leser*innen bedrückt zurückzulassen.

BuchtitelGrünholz
AutorEmil Kaschka
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang190 Seiten
Edition1. Auflage
Verlagkeiper
ISBN978-3903322424
Preis17,51 €
Erscheinungsjahr2021

Jonas, der aufgrund seiner Haarpracht von allen Wuschel genannt wird, ist neu im Internat ‚Grünholz‘, das sich irgendwo im österreichischen Niemandsland befindet. Er schließt dort schnell neue Freundschaften, aber lernt auch die negativen Aspekte des Internatslebens kennen: Als Frischlinge werden Jonas und seine neuen Freunde – allen voran sein Zimmerkollege Oskar – zum Opfer von Degradierungsritualen älterer Schüler. Insgesamt überwiegen aber zuerst die positiven Seiten: Es kommt zu wilden Partys, nächtlichen Ausbrüchen aus dem Internat, zaghaften Liebschaften und Gesprächen über das Leben. Doch Oskar leidet immer mehr unter dem Mobbing der älteren Schüler und der Tatsache, dass er seine Homosexualität in diesem sozialen Raum nicht frei entfalten kann. Er wird immer verschlossener und nach weiteren Schikanierungen nimmt er sich das Leben. Jonas gibt sich die Schuld an dem Selbstmord, da er sich in den Tagen vor dem Suizid nicht intensiv genug um Oskar gekümmert hat. Am Ende des Romans – die Handlung umfasst ein Schuljahr – ist Jonas durch die Erfahrungen einerseits reifer, andererseits auch nachdenklicher als zuvor. 

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Grünholz, der Debütroman des österreichischen Autors Emil Kaschka, ist auf der einen Seite ein typischer Coming-of-Age-Roman: Es werden gängige Themen des Genres aufgegriffen, wie Liebe, Freundschaft, Mobbing, Tod und Identitätsfindung. Dabei steht der Reifungsprozess der Hauptfigur im Zentrum der Geschichte. Auf der anderen Seite unterscheidet sich das Erstlingswerk von vielen aktuellen Vertretern des Genres: Kaschka behandelt zwar ernste Themen, es gelingt ihm allerdings, die Leser*innen nicht (allzu) betroffen zurückzulassen. Das hat sehr viel mit der Erzählstimme des Romans zu tun: Der Ich-Erzähler Jonas aka Wuschel erzählt sehr direkt und in klaren Bildern. Zudem kommt der Roman – und das ist ein weiteres Qualitätsmerkmal – weitestgehend ohne das genretypische Pathos aus, das gerade in amerikanischen Coming-of-Age-Romanen der letzten Jahre sehr dominant ist. Dadurch wird Grünholz zu einem erfrischenden Roman. 

Der Protagonist Jonas ist insgesamt eine sehr sympathische Hauptfigur, mit dem sich die Leser*innen identifizieren können: Er hat eine gewisse Selbstironie, ist clever und empathisch. Gleichzeit wirkt er in einigen Situationen – gerade wenn es um die Annäherung an das andere Geschlecht geht – etwas unbeholfen, was ihn aber durchaus noch liebenswürdiger macht. Seine Gedankengänge sind dabei immerzu nachvollziehbar. Im Laufe des Romans entwickelt er sich, er wird einerseits selbstbewusster, andererseits auch selbstkritischer. Das hat vor allem mit dem Selbstmord seines Freundes und Zimmerkollegen Oskar zu tun: Aus der engen und offenen Freundschaft wird – ausgelöst durch Oskars Krisensituation und die damit einhergehende Depression – eine immer distanziertere Beziehung.  

Es überwiegen insgesamt innere Spannungsmomente, die sich aus den Figurenkonstellationen und Jonas‘ Innensicht ergeben, aber dennoch kommt es auch – gerade im zweiten Teil – zu äußerer Spannung, etwa wenn Jonas und seine Freunde nachts aus dem Internat fliehen. Ebenso finden sich immer wieder sehr humorvolle und absurde Passagen. Ein Beispiel dafür ist die Szene, in der sich ein lebendiges Schwein in ein Internatszimmer verirrt hat. 

Grünholz entwirft zusammenfassend einen räumlichen Mikrokosmos, der sehr viel über das Aufwachsen, die Unsicherheit der Jugend und adoleszente Krisensituationen im Allgemeinen sagt. Und dennoch: Der Roman behandelt zwar schwere Themen, durch die direkte Sprache und die reflektierte und sympathische Hauptfigur wirkt er nicht zu bedrückend. 

Der Roman eignet sich grundsätzlich auch als Privatlektüre, vor allem aber als Schullektüre ab der 8. Klassenstufe. 

Im schulischen Kontext könnten anhand des Romans die Konventionen (Themen, Erzählmuster, Figurenprofile) des Coming-of-Age- bzw. Adoleszenzromans herausgearbeitet werden. Ebenso bietet es sich an, Grünholz mit weiteren Internatsromanen zu vergleichen: Etwa mit Crazy (1999) von Benjamin Lebert. Aber auch Bezugnahmen zu literarischen Klassikern wie Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) von Robert Musil und Unterm Rad (1906) von Hermann Hesse können fruchtbar gemacht werden.