Rezensiert von Felix Grießhammer
Ein falscher Schritt und man gleitet in die Unendlichkeit. Der sichere Tod. Das ist im Roman Gliss –Tödliche Weite möglich. ‚Gliss’ ist ein mysteriöses Material, das alle Inseln der fremden Welt verbindet. Tritt man darauf, erfährt man völlige Reibungslosigkeit. Wer kein Ziel hat, rutscht in den Tod. Außer natürlich, man weiß, dass am Ende des Weges eine bewohnte Insel ist. Eines Tages findet Ajit aber eine unbekannte Leiche am Rand seiner Insel. Woher kommt der Tote, der angeglitten kam? Ajit begibt sich auf eine gefährliche Reise, um die Wahrheit zu finden.
Buchtitel | Gliss. Tödliche Weite |
Autor | Andreas Eschbach |
Genre | Science Fiction |
Lesealter | 14+ |
Umfang | 464 Seiten |
Edition | 1. Auflage |
Verlag | Arena |
ISBN | 978-3-401-80967-0 |
Preis | 22,00 € |
Erscheinungsjahr | 2021 |
Ajit wächst im Dorf Hope auf einem unbekannten Planeten auf. Dort werden alle Inseln durch das mysteriöse ‚Gliss‘ verbunden. Wer das ‚Gliss‘ betritt, erfährt Reibungslosigkeit und gleitet in die Weite. Die Zivilisation ist seit ihrer Ankunft auf dem Planeten technisch zurückgeschritten. Wichtige Ressourcen fehlen und das perfekte Material ‚Gliss‘ kann nicht bearbeitet werden. Ajit hat zu Beginn Zukunftssorgen, da er selbst nicht Farmer werden möchte. Es besteht zwar die Möglichkeit, seinem Cousin Nagendra in die Hauptstadt zu folgen, doch schafft Ajit, eigentlich als Erfinder begabt, die Aufnahmeprüfung an der dortigen Universität nicht. Als er zurück ist, findet er am Ufer einen Toten, welcher aus der Weite angeglitten ist. Ajit entdeckt mit Überraschung zudem ein Amulett aus dem bearbeiteten ‚Gliss‘, was er zunächst verschweigt. Nachdem er der Polizei vom Toten berichtet hat, muss er zur Befragung in die Hauptstadt reisen. Das verschwiegene Amulett führt dazu, dass Ajit unter Hausarrest gestellt wird. Sein Cousin Nagendra, der für die Regierung arbeitet, täuscht Ajit, indem er ihm die Heimreise empfiehlt. Um der nun drohenden Strafe zu entgehen, flieht Ajit mit zwei Freunden, Majala und Phil, auf einem selbstgebauten ‚Glisser‘. Sie gleiten in die Ferne und finden eine unbekannte Zivilisation. Gemeinsam erkunden sie die neue Welt. Auf der Reise zum großen Rat werden sie jedoch von Nagendra, der sich einen eigenen ‚Glisser‘ gebaut hat, und dessen Soldaten überfallen. Diese wollen die von Ajit entdeckte Welt angreifen und deren Werkzeug zur ‚Gliss‘ -Bearbeitung stehlen. Ajit gelingt jedoch die Flucht und er kann die Bewohner warnen. Nach Nagendras Verhaftung kehrt er selbst nach Hope zurück.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
„Dieser Tote war anders. Er sah irgendwie … vertrocknet aus. Verbrannt beinahe. […] Mich gruselte die Vorstellung, über das endlose Gliss zu schliddern, ohne jede Möglichkeit, anzuhalten oder umzukehren oder überhaupt irgendeinen Einfluss darauf zu haben, wohin man geriet … und dann ein Stück Brot dabeizuhaben, das letzte Stück Brot, das man aß, ehe man auf seiner Reise verhungerte. Wobei, wahrscheinlich verdurstete man vorher.“ (S.89f.)
Bereits das Buchcover sorgt mit seiner abwechslungsreichen Gestaltung aus roten, silber-verspiegelten und schwarzen Tönen für einen Blickfang. Drei schwarze Silhouetten blicken von der Unterseite des Buches perspektivisch in die Ferne. Im Zentrum des Buchcovers steht der Titel Gliss. Tödliche Weite. Die Buchgestaltung, Farbgebung und Schriftgröße, wirkt außerordentlich anziehend und motiviert leseschwache Leser*innen das Buch aufzuklappen und mit dem Lesen zu beginnen.
Gliss. Tödliche Weite überzeugt darüber hinaus durch eine äußerst interessant gestaltete Erzählwelt. Im Roman werden alle Inseln durch das mysteriöse ‚Gliss‘ verbunden, das im Eingangszitat erwähnt wurde. Die Bewohner der Inseln haben nur die Möglichkeit, mit sogenannten ‚Glissern‘ von einer Insel zur nächsten zu kommen, indem sie sich – die richtige Zielrichtung angepeilt – vom Ufer abstoßen. Eine Navigation auf dem ‚Gliss‘ ist bisweilen nicht möglich. Die Siedler im Roman sind seit ihrer Ankunft auf dem Planeten technisch rückständig. Die Menschen leben als Farmer, um auf den Inseln überleben zu können. Große technische Selbstverständlichkeiten wie Smartphones, Internet, usw., die den jugendlichen Leser*innen aus ihrer eigenen Lebenswelt vertraut sind, gibt es dort nicht. Die Romanfiguren können derartige Geräte nicht nachbauen. Für die Leser*innen ist es deshalb bereits hier interessant, eine Welt vermittelt zu bekommen, die zwar im Weltall einer fernen Zukunft spielt, an vielen Stellen aber an eine typische Western-Szenerie erinnert, wie man sie aus Büchern und Filmen kennt. Die erzählte Welt überzeugt somit durch ihre Alterität. Eschbach gelingt es hervorragend, mit kleinen Details das Interesse an der fremden Welt zu wecken, sodass man sich als Leser*in regelrecht in ihr verliert.
Gleichzeitig wirft der Autor in seinem Roman auch gesellschaftskritische Themen auf. Seit der Ankunft der Siedler hat sich aus der ehemaligen Offiziersmannschaft des Schiffes, mit dem die Siedler den Planeten erreicht haben, eine Art Militärdiktatur entwickelt. Das Narrativ, als einzige überlebt zu haben, hält die Gesellschaft zusammen. Besonders interessant wird der Roman in dem Moment, als die Hauptfigur Ajit nach ihrer Flucht eine zweite Zivilisation entdeckt, in der sich die Demokratie durchgesetzt hat. Diese neue Welt enttarnt Ajits Gesellschaft als Abtrünnige und Rebellen. Dieser fesselnde Perspektivwechsel lädt die Leser*innen zum Nachdenken ein.
Doch nicht nur das Science-Fiction-Setting dürfte die Leser*innen gebannt zum Weiterlesen verleiten, auch die harmonisch wirkende Figurenkonstellation erhöht den Lesegenuss. Die Handlung wird ausschließlich aus der Perspektive des jungen Ajit erzählt. Der Autor verzichtet dabei auf erzähltechnische Experimente und entscheidet sich für ein personales Erzählverhalten, das es den Leser*innen einfach macht, den Ereignissen aus Ajits Sicht zu folgen. Gleichzeitig sorgt die erzähltechnische Gestaltung für die notwendige Spannung, da man als Leser*in immer nur so viel weiß, wie die Hauptfigur selbst. Die große unbekannte Weite muss man mit Ajit entdecken – und fiebert dementsprechend mit. Ajit ist ein durchweg sympathischer Jugendlicher, der sich in dieser fremden Welt zurechtfinden muss. Den von der Gesellschaft vorgegebenen Lebensweg – er soll wie sein Vater Farmer werden – findet er wenig erstrebenswert. Stattdessen träumt er von einer Karriere als Erfinder und Tüftler, jedoch fehlt ihm hierzu der notwendige Schulabschluss. Hinzu kommt, dass ihm das Lernen schwer fällt, weswegen er die Aufnahmeprüfung an der Universität nicht besteht. Bereits hier zeichnet sich ab, dass sich jugendliche Leser*innen mit der Hauptfigur identifizieren können. Erfrischend wirkt auch die weibliche Nebenfigur Majala, mit der Ajit und dessen Freund Phil zu ihrer gemeinsamen Reise über das ‚Gliss‘ aufbrechen. Diese widersetzt sich an vielen Stellen einer herkömmlichen Rolle als ‚Sidekick‘ und überzeugt durch kreative Ideen, mutigen Handlungen und ein klischeefreies Auftreten. Innerhalb der Figurenkonstellation fällt Ajits Cousin die Rolle des Bösewichts zu, dessen Entscheidungen ebenfalls immer in sich nachvollziehbar sind. Für leseschwache Jugendliche ist es ein Gewinn, dass die Handlungsträger*innen der Geschichte und ihre Beziehungen untereinander durchwegs erkennbar sind. Auf der Grundlage einer starken Romanidee, einer interessanten erzählten Welt und einer für leseschwache Jugendliche nachvollziehbaren Figurenkonstellation entspinnt sich im Roman eine klar strukturierte Handlung, die den Leser durchgehend einnimmt. Egal ob der Fokus gerade auf äußerer Handlung oder auf der Beschreibung der Welt liegt – man bleibt im Roman gefangen und möchte in ihm versinken und selbst einmal über das ‚Gliss‘ bis zum Romanende gleiten.
Der Roman ist als private Lektüre für Jugendliche ab 14 vollends zu empfehlen. Vor allem leseschwache Jungen werden am Roman Freude haben, da die einzelnen Kapitel kurz sind und sich somit schnell ein Lesefortschritt bzw. Leseerfolg einstellt. Die Figuren handeln vertraut, die erzählte Welt ist interessant gestaltet und die Handlung schreitet in angenehmen Maßen voran, sodass das Ende des Romans zügig erreicht ist.
Im schulischen Kontext bietet sich der Roman als Klassenlektüre zwar für leseschwache Klassen an, jedoch ist der Roman derzeit nur als Hardcover für 22€ verfügbar. Hier gilt es, noch bis zum Erscheinen des Softcover abzuwarten.
Über den Einsatz als Klassenlektüre hinaus eignet sich das Buch jedoch auf jeden Fall als freie Lektüre im schulischen Kontext. Der Roman sollte in der örtlichen Schulbücherei nicht fehlen. Ist der Roman in den Bestand der Schulbücherei aufgenommen, so kann er auch bei einem leseanimierenden Verfahren (beispielsweise einem Book-Slam) eingesetzt werden.