Buchcover Lisabeth Posthuma: Baby & Solo

Joel ist 17 und hat Aufenthalte in der Psychiatrie und eine jahrelange Psychotherapie hinter sich....

Rezension von Ina Brendel-Kepser

Joel will seine Vergangenheit und die Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich lassen. Er will vergessen, dass das Schlimme überhaupt passiert ist. Die neue Arbeit in der Videothek ist dafür ein Anfang: Als Anspielung auf Star Wars heißt er hier Solo. Doch das Schlimme, das die Leser*innen lange nur erahnen können, kommt zurück… Eine spannende Geschichte über den Wahnsinn und den Beginn einer großartigen Freundschaft zwischen zwei ganz besonderen Figuren.

BuchtitelBaby & Solo
AutorLisabeth Posthuma
GenreComing of Age
Lesealter14+
Umfang430 Seiten
VerlagHanser
ISBN3446271198
Preis19,00 €

Joel ist 17 und hat Aufenthalte in der Psychiatrie und eine jahrelange Psychotherapie hinter sich. Eigentlich will er nur ganz normal sein und da kommt der Job in der Videothek (die Geschichte spielt 1996) gerade recht. Da alle Mitarbeiter*innen dort ein filmisch inspiriertes Pseudonym tragen, wird Joel den Namen Solo (nach Han Solo aus Star Wars) annehmen. Zudem lernt er durch den Job einen Haufen skurriler Kolleg*innen kennen und findet sich ins Team und in seine neue Rolle ganz gut ein. Wäre da nur nicht „das Schlimme“, das immer wieder auftaucht, ebenso wie dieses Mädchen, das so echt wirkt, aber doch nur eine Halluzination ist. Keine Halluzination ist dagegen seine taffe Kollegin Nicole alias Baby (aus dem Film Dirty Dancing). Auch Nicole hat ein Problem, denn sie ist schwanger und muss eine folgenreiche Entscheidung treffen. Baby und Solo freunden sich trotz aller Widernisse an; jedoch hat der junge Mann eine Heidenangst, dass seine Vergangenheit auffliegt. Kann er ehrlich zu Nicole sein oder holt ihn die Vergangenheit vorher ein?

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Baby & Solo ist ein vielschichtiger Coming of Age-Roman über einen Jugendlichen, der die eigene belastende Vergangenheit vergessen will. Jedoch wird der Leser mit hineingenommen in die wiederkehrenden Halluzinationen, in denen immer ein Mädchen auftaucht, das Joel sehr gut zu kennen scheint. Joels Geschichte, gerahmt von einem Epi- und einem Prolog, verteilt sich auf 39 Kapitel und begibt sich genau auf die gefürchtete Auseinandersetzung mit der schmerzhaften Vergangenheit – als Bewährungsprobe für die Gegenwart. Das Schlimme, das immer nur angedeutet wird, wird erzählerisch lange aufgeschoben, was die Handlungsspannung erhöht, da der Leser/die Leserin im Unklaren darüber bleibt, welches traumatische Erlebnis die Familiengeschichte bestimmt hat. Bei dem tragischen Ereignis handelt es sich um die Selbsttötung von Joels Bruder, dessen sexuelle Orientierung ihm in seinem homophoben Elternhaus zum Verhängnis geworden war. Die soghafte Hinwendung des Protagonisten zur Vergangenheit durchzieht den Roman, dessen Gegenwartsebene mit ebenfalls großem Konfliktpotenzial aufwartet: die Trennung von Joels Eltern, Babys Schwangerschaft und ihre ungewöhnliche Familie, die undurchschaubare Kollegin alias der Pate, die Auseinandersetzung mit einem homosexuellen Kollegen, die Verführungsversuche der Chefin der Videothek. Dies alles treibt die Handlung voran und wird überaus lakonisch erzählt, mit Dialogen, deren schräge Komik und Ironie den besonderen Figuren überaus gut entspricht und absolut überzeugt. Vor allem das Milieu der Videothek bietet dafür ein passendes Setting und die zahlreichen filmischen Anspielungen lohnt es sich zu entdecken. 

Joels Lebensgeschichte mag mit ihren speziellen Ereignissen auf den Leser zunächst fremd wirken, zugleich repräsentiert der Protagonist einen typischen Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst. Dass er dabei ein Mädchen an die Seite gestellt bekommt, das ihrerseits riesige Probleme hat, extrem eigenwillig agiert, aber letztlich bereit ist, ihr Leben in die Hand zu nehmen, legt die Basis für eine solide Freundschaft, die viele Stürme erleben muss und diese überdauert.

Platte Lösungen gibt es nicht – dieses Leitmotiv greift der Roman sehr gekonnt und authentisch auf. Die Länge des Romans sowie auch die narrative Komplexität der Rückblenden erfordern einen nicht ganz unerfahrenen Leser, der aber, wenn ihn Joels Schicksal erst einmal gepackt hat, die Lektüre nicht abbrechen wird.

Baby & Solo ist mit über 400 Seiten sicher keine Klassenlektüre für alle Schüler*innen, sondern verlangt durchaus einen Leser, den das umfängliche Lesepensum nicht abschreckt. Vor allem eignet sich das Buch daher für thematische Lesekisten in freien Lesestunden, als Titel auf Leselisten für Buchvorstellungen und zur Anschaffung für die (Schul-)Bücherei.

Intermedial kann die Playlist zum Buch auf Spotify mit elf Titeln ein Teaser zum Buch sein. Ebenso findet sich ein Interview mit der Autorin auf der Website des Hanser Verlags.