Buchcover Sebastian Grusnick / Thomas Möller: Mein Bruder der Elbenritter hat nicht mehr alle Ziegel auf dem Dach

Finn ist zehn Jahre alt, besucht die vierte Klasse und scheint ein ganz normaler Junge zu sein. Doch...

Rezension von Doris Schmitt-Constabel

Kaum haben die Eltern des zehnjährigen Finn den Pflegejungen Yuki in die Familie aufgenommen, da klaut Yuki während des Schulausflugs ins Museum einen goldenen Schlüssel. Steif und fest behauptet er ein Elbenritter zu sein, der das Tor zu seinem Volk öffnen müsse. Das klingt doch einfach nur verrückt und ausgedacht! Oder etwa doch nicht? Sicher ist: Finns Leben steht Kopf und er steckt urplötzlich nicht nur in Schwierigkeiten, sondern auch in einem aufregenden Abenteuer über den Dächern der Stadt. 

BuchtitelMein Bruder der Elbenritter hat nicht mehr alle Ziegel auf dem Dach
AutorSebastian Grusnick / Thomas Möller
GenreAbenteuer
Fantasy
Comic & Graphic Novel
Lesealter8+
Umfang172 Seiten
VerlagDressler
ISBN978-3-7513-0013-1
Preis13,00 €

Finn ist zehn Jahre alt, besucht die vierte Klasse und scheint ein ganz normaler Junge zu sein. Doch wovon weder Mitschüler*innen, Lehrer*innen noch seine Eltern etwas ahnen: Finn kann nicht richtig lesen und schreiben, was er bisher erfolgreich durch unauffälliges Verhalten, und mit Hilfe einer Vorlese-App verbirgt. Nun aber kommt der gleichaltrige Yuki als Pflegekind in die Familie, mit dem Finn nicht nur sein Zimmer teilen muss, sondern der auch in seine Klasse geht. Der neue Bruder hingegen bleibt aber alles andere als unbemerkt und benimmt sich richtig schräg: morgens schwingt er sein unsichtbares Schwert im Garten, ständig singt er vor sich hin und in der Schule spricht er in seltsamen Reimen. Finns Lese-Rechtschreibschwäche droht aufzufliegen. Als Yuki nun nicht nur behauptet ein Elbenritter zu sein, sondern gleich der Auserwählte, der das verschlossene Tor zur Elbenwelt finden müsse, um Elben, Trolle und Kobolde zu befreien, klingt das zunächst absolut unglaubwürdig. Ist Yuki eigentlich noch ganz bei Sinnen? Doch dieser scheint sich seiner Sache so sicher, dass nun auch Finn langsam an diese irre Geschichte glaubt. Doch vor allem wittert er seine Chance, den nervigen Elbenbruder nach Erfüllen seines Auftrags rasch wieder loszuwerden: Finn willigt also ein, Yuki bei seinem seltsamen Plan zu helfen. Doch gleich beim ersten Schulausflug klaut Yuki den goldenen Schlüssel aus dem Stadtmuseum. Die beiden schlittern in ein rasantes Abenteuer, das sie nicht nur über die Dächer ihres Heimatortes führt. 

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Dem Autorenteam Thomas Möller und Sebastian Grusnick gelingt es in dieser fantastischen Abenteuergeschichte Fiktion und Realität so eng zu verknüpfen, dass es den Leser*innen kaum schwerfallen wird sich darin zurechtzufinden. Die fantastischen Elemente scheinen bereits nach den ersten Seiten beinahe real, wozu vor allem der rasante Einstieg in die Geschichte beiträgt, der die Leser*innen sogleich mitten in eine actionreiche Verfolgungsjagd katapultiert.  

Erst im Anschluss daran lernt man die beiden sympathischen Protagonisten erst richtig kennen, die gegensätzlicher nicht sein könnten und somit großes Identifikationspotenzial für die jungen Leser*innen bieten. Da ist einerseits Yuki, der Elbenjunge, der selbstbewusst, stets freundlich und mutig auftritt und der durch sein eigenartiges Verhalten überall Aufmerksamkeit erregt. Ganz im Gegensatz dazu steht Finn, aus dessen Sicht dieser Roman erzählt wird. Er repräsentiert den eher zurückhaltenden Jungen, der auf den ersten Blick ganz zufrieden mit seinem Leben wirkt und vertraut agiert. Sein unauffälliges Verhalten ist seine Superkraft. Erst beim etwas tieferen Eindringen in die Geschichte merkt man, wie sehr ihn seine Lese-Rechtschreibschwäche unter Druck setzt. Der Lesende erfährt, wie viel Kraft ihn das Überspielen seines Problems kostet und dass seine Welt sofort ins Wanken gerät, wenn sein Täuschungsgerüst, das er sich mit viel Energie aufrechterhält, angekratzt wird. Als dies durch Yukis schräges Auftreten im Unterricht passiert, scheint Finn zunächst fast zusammenzubrechen. Doch im Laufe der Geschichte erstarkt er zusehends, indem ihm letztlich sogar die Schlüsselrolle in Yukis Plan zuteil wird. Er wirkt und wird gleichermaßen befreit von der Kraftanstrengung des Täuschens und Überspielens. Auf die Offenlegung seiner Schwäche folgt der Mut, zu seinem Problem zu stehen, wodurch es Finn selbst nicht nur besser geht, sondern auch seine Leseleistung kontinuierlich voranschreitet. Am Ende des aufregenden Abenteuers haben Finn und Yuki mit Mitschülerin Stella es nicht nur geschafft, die Elben, Trolle und Kobolde zu retten, sondern Finn hat vor allem sich selbst befreit: Er muss nun keine Angst mehr haben, dass Eltern oder Freunde etwas von seiner Leseschwäche erfahren und er muss sein Problem nicht mehr durch stundenlanges Auswendiglernen vertuschen. So wie Finn schließlich an seinen Elbenbruder glaubt und Yuki zum Erfüllen seiner Aufgabe verhelfen kann, so stehen nun auch Finn Eltern, Lehrer*innen und Klassenkamerad*innen stärkend zur Seite. 

Auch das gelungene Buchcover visualisiert nicht nur die beiden konträren Charaktere, sondern verspricht zudem abenteuerliche und spannende Unterhaltung über den Dächern der Stadt. Schade nur, dass die sehr treffend und liebevoll charakterisierenden Illustrationen von Nikolai Renger im Buch selbst recht rar gesät sind, könnten sie doch gerade den ungeübten Leser*innen Orientierung und Unterstützung in ihrem individuellen Lese(lern)prozess geben. 

Mein Bruder der Elbenritter bietet also ganz gewiss spannende Leseunterhaltung sowie durch die beiden gleichermaßen sympathischen Protagonisten ausreichend Identifikationsmöglichkeiten. Gemeinsam schaffen es Yuki und Finn Kindern mit ähnlichen Problemen Mut zu machen und zu ihren Schwächen zu stehen. Gerade in diesem Gegensatz der Protagonisten liegt das große Potenzial und auch die wertvolle Botschaft des vorliegenden Kinderromans: lernt vom anderen und helft euch gegenseitig. Gemeinsam kann man alles verändern und verbessern, so lange man nur daran glaubt. 

Mein Bruder der Elbenritter lässt sich durch den chronologischen Aufbau und die Konzentration auf eine Handlung mit klarem Spannungsbogen leicht lesen und ist somit die ideale Lektüre für zu Hause sowie für freie Lesezeiten in der Schule. Die überschaubare Gliederung in 27 kurze Kapitel macht eine Einteilung in viele kleine, motivierende Leseeinheiten möglich. Der großzügige Schriftsatz und die übersichtliche Textstruktur ermöglichen eine selbständige Orientierung.  

Vor allem das erste Kapitel, das den Diebstahl des goldenen Schlüssels und somit die spannendste Stelle der Geschichte erzählt, sollte es schaffen, auch Lesemuffel am Ball zu halten und vom Weiterlesen zu überzeugen.  

Da der Roman das Thema Leseschwäche sowie die damit verbundenen Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle auf sehr sensible und manchmal auch lustige Weise aufgreift, ist es als Vorlesebuch in der Klasse hervorragend geeignet und hat einen festen Platz in einer Klassen- bzw. Schülerbücherei verdient. Vor diesem Hintergrund wäre natürlich auch der Einsatz in einer Lesefördergruppe mit Sicherheit für alle Teilnehmer*innen ganz besonders motivierend, die tagtäglich mit ähnlichen Problemen wie Finn kämpfen.