Rezension von Christina Gürth
Andro ist neu in der Klasse. Dass er ein Roboter ist, darf niemand wissen, denn seine geheime Mission ist es, die Menschen zu erforschen. Für Andro steht dabei viel auf dem Spiel, denn wird er entdeckt, droht ihm die Abschaltung. Seine Devise: möglichst nicht auffallen! Doch das geht ordentlich schief, denn menschliches Verhalten im Schulalltag ist mit (Roboter-)Logik nicht immer zu erklären und Chaos ist vorprogrammiert. Lesespaß in grafisch ansprechendem Design und mit viel Humor rund um das aktuelle Thema KI und das Verhältnis von Mensch und Maschine.
Buchtitel | Andro, streng geheim! – Fehlermeldung Schule |
Autor | Kai Pannen |
Genre | Science Fiction Comic & Graphic Novel |
Lesealter | 8+ |
Umfang | 173 Seiten |
Verlag | Loewe |
ISBN | 978-3-7432-0893-3 |
Preis | 9,95 € |
Andro, der neue Schüler der 5c, ist kein normaler Junge, sondern ein mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Roboter. Er hat einen klaren Auftrag: Er soll die Menschen erforschen, im Umgang mit ihnen sog. ‚Freundschaftspunkte‘ sammeln und dabei auf keinen Fall seine besondere Herkunft verraten. Allein zu diesem Zweck wurde er von seinen ‚Roboter-Eltern‘ erbaut. Sollte seine Mission scheitern und sein Geheimnis ans Licht kommen, wird er umgehend abgeschaltet - so lautet seine Information.
Im Umgang mit seinen Mitschüler*innen ist Andro fortwährend damit beschäftigt, seine Identität geheim zu halten. Trotzdem gibt es zahlreiche Situationen, in denen er durch sein sonderbares Verhalten fast auffliegt, weil seine Roboter-Logik bei der Erklärung menschlichen Verhaltens immer wieder an ihre Grenzen kommt. Es kommt zu Fehlern und Missverständnissen, die häufig in komischen oder besonders witzigen Situationen enden. Als Mitglied der Robotik-AG unterstützt Andro andere Schüler dabei, einen sog. Kantinomaten zu programmieren, der zukünftig die Essensausgabe in der Schulmensa übernehmen soll. Dadurch erhofft er sich Freundschaftspunkte, wird aber von Lilli angefeindet, die Widerstand gegen den Kantinomaten leistet. Lilli lehnt sich gegen die Pläne des Lehrers der Robotronik-AG auf, weil dadurch die Kantinenmitarbeiterin Frau Becker zukünftig ihre Arbeitsstelle verlieren würde. Andro freundet sich zunehmend mit Lilli an. Als eines Tages plötzlich seine Akkus leer sind, entdeckt Lilli sein Geheimnis. Sie ist tief enttäuscht, dass Andro sie angelogen hat. Um Lilli einen Gefallen zu tun, bringt Andro einen Virus in den Kantinomaten ein, so dass es bei der Vorführung des neuen Gerätes vor der versammelten Schule zu einer grandiosen Essensschlacht kommt. Andro geht davon aus, dass er nun abgeschaltet wird, weil seine Mission gescheitert ist, seine Herkunft aufgedeckt wurde und sein Freundschaftspunktekonto leer ist. Umso erfreuter ist er, als er bemerkt, dass Lilli sein Geheimnis bewahrt und weiterhin mit ihm befreundet sein will.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Wie fühlt es sich an, als Roboter die Schulbank zu drücken? Wenn der Autor Kai Pannen in seinem neuen Kinderbuch Andro, streng geheim! Fehlermeldung: Schule die jungen Leser*innen den Schulalltag aus der Roboter-Perspektive erleben lässt, knüpft er an ganz aktuelle Debatten rund um das Thema Künstliche Intelligenz an. Können Menschen mit Robotern befreundet sein? Wie könnten zukünftig Beziehungen von Menschen zu Androiden aussehen, in denen menschliche Emotionen und mathematische Algorithmen aufeinandertreffen – und die über ein Verständnis von Robotern als Maschinen, welche die menschliche Arbeitskraft ersetzen, weit hinausgehen? Auf einem für Kinder angemessenen Niveau wirft die Geschichte diese Fragen auf, ohne allerdings belehrend oder besonders intellektuell daherzukommen. Schon die Cover-Gestaltung und die Buchaufmachung im Comic-Roman-Stil lassen einen witzig-unterhaltsamen Lesestoff erwarten. Und so verknüpfen sich die Science-Fiction-Elemente mit den bei Kindern äußerst beliebten Antihelden-Erzählformen à la Gregs Tagebuch zu einer sehr kurzweiligen Lektüre.
Der Autor kombiniert die für die Altersgruppe interessanten Themen Roboter, Schule und Freundschaft zu einer kurzweiligen und humorvollen Erzählung, wobei das Thema KI oder das Verhältnis von Mensch und Maschine ein tiefergehendes Nachdenken anstoßen kann. Die Geschichte vermag aber auch rein an der Oberfläche zu unterhalten.
Ein besonderer Reiz liegt dabei in der Ausgestaltung des Protagonisten Andro, changierend zwischen Antiheld und Überflieger, der den Schulalltag aus der Außenperspektive wahrnimmt und dessen überlegene Roboter-Logik vielfach an den unlogischen menschlichen Verhaltens- und Sprechweisen scheitert.
Komik und Humor der Geschichte entstehen hauptsächlich dadurch, dass Andro trotz seiner Super-Logik menschliche Verhaltensweisen falsch interpretiert und sprachliche Äußerungen missversteht. Er nimmt z.B. Redensarten immer ganz wörtlich, was zu zahlreichen witzigen Situationen führt. So schmiert er sich, um „was auf die Rippen“ (S.52) zu bekommen, Kartoffelbrei auf die Brust oder reagiert am Kaffeetisch auf die Aufforderung „Hau rein“ (S. 99) mit einem ordentlichen Faustschlag in das Kuchenstück auf seinem Teller.
Er kennt sich mit den sozialen Normen nicht aus, stellt durch sein oftmals abwegiges Verhalten die geltende Ordnung in Frage und sorgt so mehrfach für ein ordentliches Durcheinander, was für die Leser*innen besonders erheiternd ist. So kommt er etwa im Taucheranzug zur Schule oder sitzt plötzlich im Karnevalskostüm im Klassenzimmer. Und er brandmarkt die Schule als zuweilen recht unlogischen Ort, an dem Lehrer Fragen an Schüler*innen stellen, die sie sich doch eigentlich selbst beantworten können müssten. Den Gipfel des Chaos, das Andro anrichtet, bildet eine fulminante Essensschlacht am Ende des Buches.
Aus kindlicher Roboter-Perspektive erzählt der Protagonist Andro aus seinem Schulalltag und dient dabei jungen Leser*innen als Identifikationsfigur, denn die geschilderten Ereignisse und beschriebenen Gefühlslagen knüpfen vielfältig an die Lebenswelt von Kindern an, auch wenn sie durch die Übertragung in den Science-Fiction-Kontext verfremdet oder ironisch gebrochen sind. Den jungen Lesenden wird schnell klar, dass man nicht unbedingt ein Androide sein muss, um menschliches Verhalten nicht zu verstehen, denn Handlungen oder sprachliche Äußerungen gewinnen ihre eigentliche Bedeutung oft erst durch den Kontext. Neue und unverständliche Situationen durch ihren Kontext erschließen zu müssen, zu scheitern, Fehler zu begehen, zu analysieren, was falsch läuft und Korrekturen des Verhaltens vorzunehmen – all diese sehr ‚menschlichen’ Leistungen muss auch Andro erbringen.
Die Handlung spielt fast durchgängig in der Kindern vertrauten menschlichen Lebenswelt und auch die Zusammenkünfte der Androiden untereinander, d.h. von Andro und seinen Erbauer-Eltern, sind einer typischen menschlichen Kleinfamilie (Vater, Mutter, Kind) nachgebildet. So bestehen die Roboter-Eltern z.B. darauf, dass die ‚Familie‘ grundsätzlich ihre (Strom-)Mahlzeiten immer gemeinsam am Tisch isst, und sie verbieten Andro das Surfen im Internet, weil dort „zu viel menschlicher Blödsinn“ (S.29) zu finden sei - was sie in Andros Augen zu ziemlich „altmodische[n] Modelle[n]“ (ebd.) macht.
Aber nicht nur die Roboter-Welt ist der Menschenwelt nachgebildet, Andro zeigt auch zunehmend menschliche Züge, indem er Gefühle entwickelt. Diese drücken sich hauptsächlich in seiner Freundschaft zu Lilli aus. Mit Lilli wird eine starke Mädchenfigur präsentiert, die sich von den eher typisiert dargestellten Mitschüler*innen Andros deutlich abhebt.
Ein übergeordneter Spannungsbogen trägt durch die Geschichte, die aber insgesamt vor allem durch witzige Einzelepisoden lebt. Und so dürfte es die Lesenden eher weniger stören, dass die Informationen über die Hintergründe von Andros Geheimauftrag in diesem Band etwas spärlich ausfallen. Es ist durchaus denkbar, dass geplante Folgebände die Motive für die Roboter-Mission in der Schule noch weiter erhellen.
Die Erzählstruktur ist auch für ungeübte Leser*innen geeignet, da die Geschichte einem chronologischen Aufbau folgt und durchgängig aus der Perspektive Andros erzählt wird. Satzstruktur und Wortschatz sind für die Zielgruppe 8+ gut zu bewältigen und auch die textinterne Erklärung vieler Redewendungen ist positiv hervorzuheben. Die insgesamt 173 Seiten werden durch 20 kurze Kapitel in überschaubare Leseeinheiten gegliedert. Die Seitengestaltung ist zudem sehr abwechslungsreich, so dass Leseeinsteiger nicht von einer ‚Bleiwüste‘ abgeschreckt werden.
Jede Einzelseite weist typographische Besonderheiten auf, dazu kommen vielfach Illustrationen und witzige kleine Bildelemente im Comic-Stil, die das erzählte Geschehen kommentieren oder ergänzen. Dadurch wird der Text stark aufgelockert und oftmals wird das Textverständnis durch die Abbildungen unterstützt.
Schon die Cover-Gestaltung verspricht eine witzig-unterhaltsame Lektüre und verweist auf die im Buchinnern verwendete Bebilderung im Comic-Stil, so dass sich Liebhaber*innen dieser Art von Büchern, Jungen wie Mädchen, bestimmt angesprochen fühlen.
Mit dem ersten Band der Andro-Reihe haben Kai Pannen und Mareikje Vogler einen gelungenen Reihenauftakt vorgelegt, der neben kurzweiligem Lesespaß auch die Gelegenheit zu tiefergehenden Diskussionen zum Thema KI bietet, aber vor allem durch seinen Humor und die Comic-Roman-Aufmachung auch bei ungeübten Leser*innen punkten kann.
Das Buch ist bei Antolin gelistet und eignet sich sowohl für die private Lektüre als auch für offene Leseförderformate in der Schule (z.B. Lesekisten).
Mit etwas Vorbereitung ist der Text gut zum Vorlesen geeignet, da die Bildanteile nicht zwingend notwendig für das Textverständnis sind. Dies zeigt auch die gelungene Hörbuchfassung, gelesen von Nils Kretschmer, die bei headroom erschienen ist. Das Hörbuch ist als szenische Lesung mit Geräuschen angelegt und so beschaffen, dass es sich auch für eine kombinierte Rezeption aus Buch und CD (bzw. Download) eignet, was vor allem für Kinder, denen der lange Leseatem noch fehlt, hilfreich sein könnte.
Durch das zentrale Roboter-Thema ist auch ein Einsatz des Buches im Kontext von Veranstaltungen wie Roboter-AGs oder Coding-Workshops denkbar. Trotz der einfachen Unterhaltung, die das Buch ermöglicht, gibt es Anknüpfungspunkte, um sich intensiver mit dem Text auseinanderzusetzen. Je nach Klassenstufe und Alter der Kinder bieten sich unterschiedliche Themen an: Coding, Künstliche Intelligenz, Roboter und Emotionen, das Zusammenleben von Mensch und Maschine. Aber auch Fragen im Zusammenhang mit der möglicherweise problematischen Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen sind anschlussfähig.
Ein weiterer Themenkomplex im Roman, der Kinder zu einer genaueren Betrachtung einlädt, ist der Bereich ‚Sprache‘. Sprache und Bedeutung, Verstehen und Missverstehen, uneigentliches Sprechen (z.B. sprachliche Ironie) und sogar das aktuelle Thema gendergerechte Sprache werden im Text verhandelt. Da sich ein großer Teil des Humors aus dem besonderen Umgang mit Sprache speist, könnte auch die sich an die Romanlektüre anschließende Auseinandersetzung der Kinder mit dem Sprachaspekt bewusst witzig und humorvoll gestaltet werden.
So könnten Kinder beispielsweise nach dem Vorbild Andros Redewendungen szenisch darstellen, um die wörtliche und die übertragene Bedeutung zu erarbeiten. Auch das Erfinden lustiger Kantinomaten-Menüs kann für spielerische Wortschatzarbeit genutzt werden oder als Schreibanlass für Vorgangsbeschreibungen (z.B. für besonders unkonventionelle Rezepte) dienen.