Buchcover Angie Thomas: Concrete Rose

Der 17-jährige Maverick, genannt Mav, lebt allein mit seiner Mutter, die mit zwei Jobs versucht,...

Rezension von Ina Brendel-Kepser

Der 17-jährige Maverick ist ein Ghetto-Kid und Mitglied einer Gang. Eigentlich weiß er selbst, dass Stehlen, Dealen und der Krieg mit anderen Banden keine Perspektive bietet. Doch das Leben am Rande der Gesellschaft ist hart, hinzu kommt eine ungewollte Vaterschaft, während sein eigener Vater im Gefängnis sitzt. Hell yeah, verdammt. In authentischem Rapper-Slang liefert Angie Thomas mit Concrete Rose eine dramatische und hochaktuelle Geschichte um einen jungen Afroamerikaner - das Prequel zu ihrem preisgekrönten Roman The Hate U Give.

BuchtitelConcrete Rose
AutorAngie Thomas
GenreGegenwart & Zeitgeschichte
Lesealter14+
Umfang416 Seiten
Verlagcbj
ISBN978-3-570-16605-5
Preis20,00 €

Der 17-jährige Maverick, genannt Mav, lebt allein mit seiner Mutter, die mit zwei Jobs versucht, sich und ihren Sohn über Wasser zu halten, in ärmlichen Verhältnissen im Ghetto von Garden Heights, der Vater sitzt seit Jahren im Gefängnis. Auch Mav ist Mitglied der King Lords, einer Gang, für die der Drogenhandel und gewalttätige Übergriffe zum Alltag gehören. Dennoch will Maverick eigentlich ein anständiger Kerl sein. Er hängt an seiner Mutter und liebt seine Freundin Lisa.

Aber ein One-Night-Stand mit Iesha (während einer Beziehungspause) führt zu schwerwiegenden Konsequenzen: Iesha wird schwanger, ist aber nicht in der Lage, das Kind zu versorgen. So wird Mav unversehens alleinerziehender Vater und ist damit mehr als überfordert. Der Schulabschluss rückt in weite Ferne, das Geld wird immer knapper und Lisa will sowieso nichts mehr von ihm wissen. Als sein Cousin Dre auf offener Straße erschossen wird, verliert Mav einen engen Vertrauten und plant, Rache zu nehmen. Die Vaterschaft und sein Sohn Seven bringen ihn indessen dazu, sich der Zerreißprobe zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und sich von der Gang loszusagen. Glücklicherweise gibt es Menschen wie den Lebensmittelhändler Mr. Wyatt, der dem jungen Mann einen Job anbietet und an ihn glaubt. Dass zwischenzeitlich auch Lisa ein Kind von Mav erwartet, macht die Dinge insgesamt nicht einfacher, aber Mav erkennt, dass es sich lohnt, für ein Leben jenseits der Straße zu kämpfen.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

Der Roman Concrete Rose erzählt die Vorgeschichte zum preisgekrönten Roman The Hate U Give von Angie Thomas; für ihr Debüt wurde die Autorin unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 (Preis der Jugendjury) ausgezeichnet. Im Mittelpunkt von Concrete Rose steht Maverick, der später der Vater von Starr, der Protagonistin in The Hate U Give, sein wird. Die Geschichte spielt somit ca. 15 Jahre früher und rollt Mavericks Jugend auf. Auch in diesem Buch gelingt es der Autorin, die selbst als Person of Color in Amerika aufgewachsen ist, die spezifischen Erfahrungen mit Rassismus und struktureller Ungleichheit in einer spannend zu lesenden Handlung mit lebendigen Milieuschilderungen zu gestalten. Der Ich-Erzähler Maverick ist eine glaubwürdige und vielschichtige Figur, dessen Situation und sein soziales Umfeld ihm mutige Entscheidungen abverlangen, die den Jugendlichen überfordern und großem Zwiespalt aussetzen. Die Ausweglosigkeit und der immer drohende Absturz in die Kriminalität werden am Beispiel der Figurenkonstellation im Mikrokosmos von Garden Hights drastisch und realistisch geschildert. Daraus entsteht eine faszinierende Coming of Age-Geschichte. Denn Maverick, der quasi über Nacht erwachsen werden muss, hat Sehnsüchte und kämpft um ein Leben in Rechtschaffenheit. Dabei hat er mächtige Gegenspieler, aber auch Menschen, die ihn unterstützen wie seine Mutter, der Lebensmittelhändler und letztlich auch seine Freundin Lisa (die 15 Jahre später seine Ehefrau sein wird). Mit den beiden Frauen werden den Gangmitgliedern, ihren Bandenkriegen, der Selbstjustiz und dem rauen Leben auf der Straße höchst interessante Figuren gegenübergestellt, die keineswegs genderkonform agieren, sondern sich unter den gegebenen Umständen ihre eigenen Freiheiten erkämpfen. Alle Figuren überzeugen durch starke Charaktere mit Ecken und Kanten, deren Miteinander nicht konfliktfrei verlaufen kann. Dass mit Mav ein alleinerziehender Teenie-Vater im Mittelpunkt steht, ist ein ungewöhnliches Setting im Jugendroman, aber zugleich gesellschaftlich progressiv, zumal dem jungen Mann trotz aller Widernisse der Ausbruch aus seinem ‚alten‘ Leben letztlich gelingt. 

Weit davon entfernt, sich ins Korsett des problemorientierten Jugendromans einspannen zu lassen, offenbart der Roman tiefe Einblicke die Probleme von Rassismus und Ungleichheit in den Lebenswelten junger Afroamerikaner. Zugleich ist dieses literarische Plädoyer für Gleichheit und Toleranz ein fesselndes und poetisch dichtes Werk. Die authentische Slangsprache der Jugendlichen ist lebhaft und transportiert die Atmosphäre der jugendlichen Lebenswelt perfekt. Wenn die Figuren vor sich hinfluchen, ihre Dowgs verteidigen, Props zollen und Ablehnung mit einem nope bekräftigen, dann mag das für erwachsene Leser*innen erklärungsbedürftig wirken (dafür existiert ein umfangreiches Glossar), jugendliche Leser*innen dürften der Lässigkeit dieses Register aufgeschlossen gegenüberstehen und die Dialoge äußerst unterhaltsam finden. Nicht zuletzt ist die sprachliche Diktion – genau wie in The Hate U Give – in vielen Anklängen dem Rapper Tupac Shakur gewidmet. Musik – und auch dies dürfte jugendliche Leser*innen ebenfalls stark interessieren – spielt daher immer wieder eine große Rolle. Aus den musikalischen Reminiszenzen stammt nicht zuletzt die titelgebende Rose, die im Beton wächst und im Roman leitmotivisch wiederkehrt.  Mit über seinen 400 Seiten und 30 Kapiteln ist der Roman im Bereich eines mittleren Leseniveaus einzuordnen, wobei vor allem das Interesse an dem spannenden Thema ein großer Leseimpetus für Leser*innen sein kann.

Leser*innen von The Hate U Give werden die Welt von Garden Heights und ihre Figuren sehr schnell wiedererkennen, aber auch ohne die Bedingung einer vorausgehenden Lektüre verspricht der Roman Unterhaltung und Denkanstoß zugleich. 

Ein (ggf. fächerübergreifendes) Unterrichtsprojekt sollte unter Einbezug beider Romane deren inhaltliche und formale Zusammenhänge thematisieren (Prequel) und dabei auch den Medienverbund mit der Verfilmung von The Hate U Give (2018) unbedingt berücksichtigen.