Buchcover Dirk Reinhardt: Perfect Storm

Dylan, Luisa, Felix, Boubacar, Kyoko und Matthew sind sechs Jugendliche, die im realen Leben...

Rezension von Barbara Reidelshöfer

Sechs Jugendliche, sechs Kontinente, sechs Leben. Kennenlernen: online. Sie beschließen, Menschenrechtsverletzungen zu leaken. Doch dabei sind mächtige Länderinteressen gestört und ein junger Agent ist den Hackern auf den Fersen... Ein hochbrisanter, komplexer, aber extrem fesselnder Politthriller, der die Frage stellt, wo die Grenzen für moralisches Handeln liegen, und das jugendliche Unverständnis gegenüber der Schieflage der Welt thematisiert.

BuchtitelPerfect Storm
AutorDirk Reinhardt
GenreKrimi & Thrill
Lesealter14+
Umfang414 Seiten
VerlagGerstenberg
ISBN978-3-8369-6099-1
Preis18,00 €

Dylan, Luisa, Felix, Boubacar, Kyoko und Matthew sind sechs Jugendliche, die im realen Leben zunächst nichts miteinander zu tun haben. Ihr familiärer und sozialer Hintergrund in den USA, Deutschland, im Kongo, in Japan, Kolumbien und Australien unterscheidet sich genauso stark voneinander wie ihre Persönlichkeiten. Aber als sie sich online bei einem Computerspiel kennenlernen und bei ‚Legends of Langloria‘ schwierige Aufgaben gemeinsam als Gilde erfolgreich bewältigen, lernen sie sich immer besser kennen und freunden sich an. 

Nach und nach tauschen sich die ‚Langloria Freedom Fighters‘ auch über private Dinge aus. Dabei erfahren sie von Boubacar über die Verwicklungen einiger US-Unternehmen in den kongolesischen Bürgerkrieg sowie von Menschenrechtsverletzungen in kongolesischen Minen. Dieses bewusste Inkaufnehmen und das unmoralische Profitdenken der US-amerikanischen Konzerne empört die Freunde so sehr, dass sie beschließen, ihre Fähigkeiten nicht mehr nur im Spiel, sondern auch in der Realität einzusetzen. 

Mit ihren Computerkenntnissen und jeweiligen speziellen Begabungen schaffen sie es, das beteiligte amerikanische Rüstungsunternehmen und den Rohstoffkonzern schwer zu schädigen und mediale Aufmerksamkeit zu erreichen. Der Kampf David gegen Goliath scheint erfolgreich zu sein. 

Aber die Jugendlichen wissen zunächst nicht, dass ihnen ein junger Agent des NSA, Jacob, dicht auf der Spur ist. Ihre IP-Adressen, realen Aufenthaltsorte sowie alle Daten sind längst bekannt. Während die idealistischen Hacker versuchen, ihre Mission zu erfüllen und für eine bessere Welt zu kämpfen, wird gleichzeitig die Ergreifung der Zielpersonen minutiös vorbereitet.

So kommt es zur Katastrophe: Der Aktivist Dylan verliert sein Leben und auch die anderen fünf Jugendlichen schweben in Lebensgefahr. Sind sie noch zu retten?

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

„Es gibt noch viel zu tun auf dieser Welt“ - mit diesen Worten endet der Roman. Sie könnten aber gleichsam auch als dessen Motto gelten. Auf alle Fälle sind sie der Impetus der handeln-den Figuren, die für jugendliche Leser*innen so zum Vorbild werden, ohne dass dies aber mit erhobenem Zeigefinger passiert. Denn die sechs Jugendlichen, die Dirk Reinhardt in Perfect Storm auftreten lässt, bieten verschiedene Identifikationsmöglichkeiten. 

Die zwei Mädchen und vier Jungen leben auf sechs Kontinenten und bringen so unterschiedliche Perspektiven und Hintergründe mit, die für die jugendlichen Lesenden einerseits nah, andererseits aber auch fernliegen. 

So werden an ihnen Probleme wie das Aufwachsen im Bürgerkrieg und der Verlust von Familie erfahrbar, aber auch Phänomene wie das in Japan häufig auftretende Hikikimoro-Syndrom werden aufgegriffen. 

Die Sechs sind so divers wie das Leben selbst: Der behinderte Surfer Matthew aus Australien trifft auf einen Berliner Zahlenfanatiker mit Asperger Syndrom. Der Kriegshalbwaise Boubacar engagiert sich für Menschenrechte. Ein Mädchen aus der kolumbianischen Oberschicht, dessen Eltern im terroristischen FARC-Umfeld agieren und zu denen deswegen kein Kontakt mehr besteht, hat scheinbar kaum Gemeinsamkeiten mit Kyoko, einer japanischen, depressiven Mangabegeisterten. Dylan, mit 17 Jahren der älteste der ‚Langloria Freedom Fighters‘, ist im echten Leben bedroht vom sozialen Abstieg und auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Vater. 

Diese Kurzbiographien mögen auf den ersten Blick eher reißbrettartig konzipiert erscheinen, aber dieser Eindruck täuscht. Denn – wie immer bei Dirk Reinhardt – sind die Figuren so plastisch und authentisch dargestellt, dass man sie beim Lesen direkt vor sich sieht und am liebsten selbst ein Teil dieser Gruppe wäre.

Im Roman lernt man die Jugendlichen über verschiedene Ebenen kennen. Gerade die Chatverläufe zeigen, wie sich so unterschiedliche Jugendliche miteinander unterhalten, sich gegen-seitig – zum Teil derb und nicht gerade politisch korrekt, dafür aber umso lustiger und echter – aufziehen und schließlich Gemeinsamkeiten entdecken, die weit über die Computerspiel-ebene hinausgehen. Ihr jugendlicher Drang, für Gerechtigkeit und Menschenrechte, gegen Profitgier und Ausbeutung auch ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, wird sehr gut nach-vollziehbar und als Leser*in bewundert man schnell ihre Fähigkeiten und den Mut, alles auf eine Karte zu setzen und aufzustehen für eine bessere Welt, ängstigt sich aber gleichzeitig, ob dieser Weg tatsächlich so richtig ist.

Aber nicht nur die divers angelegten Figuren und deren hohes Identifikationspotential reißen mit, sondern vor allem auch die anspruchsvolle Erzähltechnik, die montageartig verschiedene Textsorten miteinander kombiniert. So wird man als Leser*in fast selbst in die Rolle eines Agenten, der Stück für Stück den Verlauf der Handlung rekonstruiert, hineinversetzt. Von einem Moment zum nächsten wechselt das Setting: Ist man gerade noch bei einer Quest des Online-Spiels ‚Legends of Langloria‘, befindet man sich im nächsten mitten in Uganda und kurz danach in einer Firmenzentrale in San Antonio, um gleich darauf wieder in die Chatprotokolle der sechs Freunde einzutauchen, die Wochen zuvor stattgefunden haben. 

Die illegale Atmosphäre des jugendlichen Hackermilieus wird bereits mit dem geheimnisvoll wirkenden Cover angedeutet, das jugendliche Leser*innen bei ihrer Vorliebe für spannende, ‚coole‘ Themen abholt und so auch leseferne Schichten ansprechen kann, deren Interesse bislang eher nicht von Büchern geweckt wird.

Der häufige, auch abrupte Wechsel des Settings sowie der Zeitebenen mag für ungeübte Leser*innen noch schwer bewältigbar sein und stellt sicherlich ebenso wie das vorausgesetzte Weltwissen eine Herausforderung dar. Allerdings helfen eindeutige Überschriften mit Zeit- und Ortsangabe beim Zurechtfinden der Chronologie ebenso wie ein sehr ausführliches Glossar, das wesentliche Informationen zu politischen Anspielungen und rund ums Thema Hacking und Whistleblowing knapp, aber leicht verständlich an die Hand gibt. 

Nicht außer Acht lassen sollte man jedoch, dass gerade das allmähliche Aufdecken von Informationen zu einzelnen handelnden Figuren, aber auch zur Rolle der NSA und deren Verquickung mit den mächtigen, aber skrupellosen Konzernen, die Handlungsspannung enorm erhöht. Die verschiedenen Textsorten, die von Chatprotokollen über Aktenvermerke hin zu personal erzählten Szenen aus Sicht einzelner Gruppenmitglieder oder auch des NSA-Agenten Jacob reichen, und die Verrätselung um die mysteriöse Figur Cinncinatus sowie einige falsche Fährten, die im Roman gelegt werden, sind wie kleine Mosaiksteine, die man zu einem großen Ganzen zusammenpuzzeln kann und die auch anspruchsvollere Leser*innen fesseln werden.

Besonders beeindruckend an Perfect Storm ist das umfassende und detailreiche Panorama einer digitalen und globalisierten Welt. Neben den weltpolitischen Verflechtungen sind hier vor allem die Möglichkeiten des Hackings und Whistleblowings zu nennen, die Dirk Reinhart sorgfältig recherchiert hat und für die erzählte Welt des Romans Perfect Storm glaubwürdig und differenziert umgesetzt hat. 

Die Frage, ob man für ein gutes Ziel Gesetze brechen darf, wird anhand der Geschichte der sechs Langlorian Freedom Fighters, die unerlaubt und gegen alle Widerstände in die Netzwerke der Konzerne eindringen, sichtbar – beantworten muss sie jedoch der*die Leser*in selbst. Dies wird trotz der großen Sympathie für die jungen Helden sicher nicht ganz ohne Widersprüche und Kontroversen funktionieren; denn mit dem Tod des Anführers Dylan wird deutlich, dass das Vorgehen auch Konsequenzen hat, die andere Menschen betreffen. 

So endet der Roman, ohne eine universelle Antwort zu geben, aber mit dem Hinweis: „Es gibt noch viel zu tun auf dieser Welt“. Diesen letzten Satz auch als Aufforderung an sich selbst zu verstehen, wäre nicht die schlechteste Folge einer unglaublich spannenden, gesellschaftskritischen und formal wie literarisch eher anspruchsvollen Lektüre, die Jungen wie Mädchen ab 15 Jahren bis ins Erwachsenenalter begeistern kann. 

Aufgrund der hohen Komplexität des Themas und der anspruchsvollen erzählerischen Gestaltung ist der Roman sehr gut als Klassenlektüre in den Jahrgangsstufen 8-10 einsetzbar. Zwar ist derzeit noch kein Unterrichtsmaterial vorhanden, aber der Roman bietet vielfältige Anknüpfungspunkte, auch fächerübergreifender Art. Zum Thema Hacking gibt es mit dem Thriller 23 einen zwar schon etwas älteren, aber überaus gelungenen Spielfilm, den man im Sinne eines Medienvergleichs heranziehen könnte.

Besonders gut lässt sich Perfect Storm in leseanimierenden Verfahren wie Bookslams, Bookdating, (digitalen) Buchvorstellungen einsetzen. Auch deswegen sollte es in keiner Schulbibliothek bzw. Öffentlichen Bibliothek fehlen. 

Zur Privatlektüre kann der Roman besonders Schüler*innen empfohlen werden, die entweder bereits viel und mühelos komplexere Romane lesen. Auch bisher eher einseitig an Action orientierte Thrillerleser*innen könnten bei Perfect Storm Lesefreude entwickeln und gleichzeitig Einblicke in gesellschaftspolitische Fragestellungen gewinnen. 

Ein besonderes Potential für die Leseförderung ergibt sich bei Jugendlichen, die zwar wenig lesen, aber Interesse an aktuellen weltpolitischen Gegebenheiten zeigen und z. B. mit gesellschaftskritischen, idealistischen Bewegungen sympathisieren oder von der Thematik Hacking / Whistleblowing fasziniert sind.