Buchcover Lee Bacon: Roboter träumen nicht

12 Jahre lang besteht das Leben von XR_935 (und das seiner Kollegen SkD_988 und Ceeron _902) aus dem...

Rezension von Anja Sieger

Können XR_935, SkD_988 und Ceeron_902 zu Freunden eines 12-jährigen Mädchens werden und ihm sogar das Leben retten? Und das, obwohl es gar keine Menschen mehr auf der Welt geben sollte, da diese wegen ihres fehlerhaften Verhaltens von den Robotern eliminiert worden sind? Ein spannendes Buch für all jene, die Antworten auf diese Fragen erhalten möchten und zudem Lust darauf haben, eine Geschichte zu lesen, die aus der Perspektive eines Roboters erzählt wird.

BuchtitelRoboter träumen nicht
AutorLee Bacon
GenreScience Fiction
Lesealter10+
Umfang336 Seiten
VerlagLoewe
ISBN978-3-7432-0858-2
Preis14,95 €

12 Jahre lang besteht das Leben von XR_935 (und das seiner Kollegen SkD_988 und Ceeron _902) aus dem Verbolzen/Verdrahten/Montieren von Solaranlagen, dem Aufladen für den nächsten Tag sowie dem Anhören der Reden des SchwarmPräs1denten, die dieser täglich aus dem DigitalDom an die Roboter sendet. Diese Gleichförmigkeit ändert sich jedoch, als eine unzulässige Lebensform im Solarpark auftaucht und diese sich als ein Mensch herausstellt. Da die menschliche Rasse aber vor 30 Jahren von den Robotern eliminiert worden ist, um die Erde zu erhalten, stehen die drei Arbeitskollegen vor mehreren Herausforderungen. Zunächst müssen sie das 12-jährige Mädchen als Menschen anerkennen, dann, dass zumindest Emma als einzelner Mensch keine Bedrohung für die Zivilisation der Roboter darstellt. Durch das Nicht-Melden von Emma haben die drei Roboter einen ersten, gravierenden Verstoß gegen die Schwarm-Gebote begangen. Als sie sich dann aber entschließen, Emma auf ihren gefährlichen Weg hin zu einem rot markierten Punkt auf einer Landkarte zu begleiten, überschreiten sie nicht nur örtlich gesehen die Grenzen ihrer bisherigen Lebenswelt. Auf ihrem Weg geraten die vier immer wieder in gefährliche Situationen, die sie aber gemeinsam meistern. Beim Ziel angekommen, zeigt sich jedoch, dass Emma ihnen nur einen Teil ihrer Geschichte – Leben einer Menschengemeinschaft in einem unterirdischen Bunker, Tod aller Bewohner durch eine mysteriöse Krankheit, Emma als einzige Überlebende – erzählt hat. In Wahrheit ist Emma zum Punkt auf der Landkarte aufgebrochen, um Medikamente für ihre Eltern und die anderen Erkrankten aus einem anderen Bunkerversteck zu holen; davon gibt es nämlich mehrere auf der Erde. Von dieser neuen Sicht auf die Dinge ist besonders XR_935 zutiefst enttäuscht, da er die Geschichten über die Fehler der Menschen bestätigt sieht. Nachdem aber Emma ihn gemeinsam mit den anderen Robotern vor dem Ertrinken und damit vor der Funktionsuntüchtigkeit gerettet hat, ist sein Vertrauen wiederhergestellt, sodass er – wie auch SkD_988 und Ceeron _902 – bereit ist, das Leben von Emma vor dem Angriff der VollstreckungsBots und dem Vernichtungsurteil des Schwarms zu schützen. Dadurch, dass XR_935 sich Zugriff auf die Dateien des Präs1denten verschafft und in diesen einen geheim gehaltenen Ordner mit den guten Seiten der Menschen findet, diesen an den Schwarm schickt, entscheidet sich dieser dafür, Emma nicht zu töten. Emma kann so an die Medikamente für ihre Eltern gelangen, diese und auch die anderen Bunkerbewohner retten und es bricht ein neues Zeitalter im Zusammenleben von Menschen und Robotern an. 

Einen Leseprobe finden Sie hier.

Wie sieht eine Welt aus, in der es keine Menschen mehr gibt? Ist es eine Welt ohne Kriege, Umweltverschmutzung und Ungerechtigkeiten? In Roboter träumen nicht von Lee Bacon trifft man als Leser*in auf eine solche Welt; sie wird nicht von Menschen, sondern von Robotern besiedelt und bereits mit dem ersten Satz des Ich-Erzählers XR_935 wird unmissverständlich klar gemacht, dass die Welt ohne Menschen eine bessere Welt ist.

Dieser Beginn, verbunden mit der Feststellung „Sie ließen uns keine Wahl.“, erzeugt zum einen Spannung, zum anderen aber vor allem Irritation. Diese Art der Eröffnung der Geschichte kann durchaus als eine Provokation der Leser*innen angesehen werden, welche dazu führt, erfahren zu wollen, worin genau die Fehler der Menschen bestanden haben und was konkret mit ihnen passiert ist. Diese Fragen werden natürlich nur durch ein (sofortiges) Weiterlesen beantwortet. Auch wenn die dem Buch zugrunde liegende Idee von Maschinen, die die Menschheit vernichten und die Macht übernehmen, auf den ersten Blick einen zu harten Stoff für kindliche Leser*innen vermuten lässt, ist diese Sorge vollkommen unbegründet, zumal die im Buch verhandelten Themen sich vor allem mit Freundschaft, Toleranz, Verantwortung und Identitätsfindung beschäftigen. Die Eliminierung der Menschen durch die Roboter bildet bezüglich dieser Themen eher einen Rahmen und dieser ist aufgrund einer gelungenen inhaltlich-thematischen Adaption nicht überfordernd für kindliche Leser*innen, da keine Brutalitäten bezüglich der Auslöschung der Menschen durch die Roboter dargestellt werden, auch wenn von Emma die Formulierung des Abschlachtens genutzt wird. In Hinblick auf die Vergehen der Menschen, die aus der Sicht der Roboter zwangsläufig zu deren Vernichtung führen mussten, ist Vergleichbares festzustellen, werden diese doch anhand von Beispielen aus dem Alltagsleben der Menschen veranschaulicht. Die Frage nach der Zumutbarkeit, das zeigt dieses Buch sehr schön, darf also nicht nur die inhaltlich-thematische Seite betrachten, sondern muss auch hinterfragen, wie von ‚unzumutbaren’ Inhalten erzählt wird. Und hier kann man durchaus von einer gelungenen kindgerechten Darstellung sprechen. 

Des Weiteren kann das Buch über den Beginn hinaus durch einen hohen Grad an Spannung überzeugen. Diese wird zunächst durch die Erzählerwahl erreicht, wird doch die Geschichte aus der Sicht von XR_935 vermittelt und dies personal bzw. erlebend. Die Leser*innen nehmen also das Geschehen aus der beschränkten Perspektive eines Roboters wahr und erfahren so mit ihm erst nach und nach die vollständige Geschichte von Emma oder decken mit ihm gemeinsam die Manipulation des Präs1denten auf. Zur Spannung tragen aber natürlich auch die verschiedenen Bewährungsproben für die vier Protagonisten bei. So ist es beispielsweise sehr aufregend zu erleben, wie der Akkustand der Roboter sich immer mehr gen Null bewegt, und gleichzeitig zu lesen, dass sie sich immer weiter von möglichen Ladestationen wegbewegen. Nicht nur an dieser Stelle fiebert man beim Lesen sehr mit. 

Besonders ist das Buch darüber hinaus aber auch in Hinblick auf seine formale Gestaltung. So findet die Kapitelnummerierung passenderweise im Binärsystem statt, werden Übersetzungen/ Erklärungen der Menschenbegriffe fett gedruckt oder die Gedanken von SkD_988 mittels Emojis dargestellt, da dieser nicht sprechen kann. Letzteres ist besonders anregend, wird man doch als Leser*in zu einer Übersetzung aufgefordert. Über die erfindungsreiche Bildsprache kann man oftmals sehr staunen und dies wird der anvisierten Leserschaft vermutlich genauso gehen. Neugier weckend und die Vorstellungsbildung unterstützend ist zudem, dass der*die Leser*in beim Aufschlagen des Buches zunächst auf eine bildliche Darstellung der Roboter-Protagonisten und Emma stößt, wobei sich die Beschriftung des Bildes von Emma durch die fehlende Bezeichnung ihrer Auffälligkeiten von der der Roboter unterscheidet und die hier alternativ zu findenden drei Fragezeichen auch als Fragen an die Leser*innen angesehen werden können.

Stellt sich bezüglich des Themas auf den ersten Blick die Frage nach der Überforderung von 10-Jährigen, ist dies in Hinblick auf die sprachliche Gestaltung und den Aufbau des Buches gar nicht der Fall. Die Handlung wird chronologisch erzählt; die Erzählungen Emmas über das Weiterleben der Menschen werden deutlich als eingebettete Geschichten markiert und sind auch durch den Fettdruck erkennbar. Der Satzbau ist einfach gehalten, was auch überzeugend mit der Erzählerwahl korrespondiert. Auch der Wortschatz ist voraussetzungsfrei; bestimmte Robotertermini können aus dem Kontext erschlossen (oder auch überlesen) werden. Sehr gelungen ist die Bildsprache von SkD_988. Darüber hinaus überzeugen aber auch die (menschlichen) Redewendungen, die Ceeron _902 gerne benutzt, und die diesbezüglichen Roboter-Pendants von Emma. Unter anderem durch diese besitzt das Buch durchaus auch eine humorvolle Seite.

Roboter träumen nicht ist ein ganz besonderes Buch, welches sowohl kindliche als auch erwachsene Leser*innen überrascht und ihnen aufgrund einer sehr spannenden Geschichte und einer ungewöhnlichen Beziehung zwischen Robotern und Menschen viel Lesevergnügen bereiten, aber auch zum Nachdenken anregen kann. Durch die Veränderungen im Denken und Handeln auf der Seite der Roboter und auf der der Menschen werden den Leser*innen Perspektiven für ein Zusammenleben in einer besseren Welt angeboten und dies ohne zu moralisieren oder gar den erhobenen Zeigefinger zu benutzen. Eine Welt mit Menschen ist also nicht zwangsläufig eine schlechte(re) Welt und gute Ideen müssen sich auch nicht unvermeidlich zu schlechten entwickeln (siehe Seite 1).

Aufgrund der im Buch verhandelten Themen, die für eine tiefgründige Auseinandersetzung eine Lesebegleitung benötigen (können), bietet sich Roboter träumen nicht als Klassenlektüre an. Dadurch, dass die Roboter geschlechtslos sind und die menschliche Protagonistin ein Mädchen ist, werden auch Mädchen als Leserinnen nicht ausgeschlossen, wobei die dargestellte Roboterwelt aber vermutlich zunächst v.a. Jungen begeistern wird. Und hierdurch hat das Buch natürlich auch ein großes Potenzial für eine private und damit unter Umständen auch unbegleitete Lektüre.

Für eine unterrichtliche Auseinandersetzung bietet Roboter träumen nicht aber weit mehr Potenzial, als nur Themenlieferant für eine problemorientierte Auseinandersetzung zu sein. So wird beispielsweise von XR_935 erzählt, wie Geschichten typischerweise aufgebaut sind; sie besitzen einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, „Sie verlaufen gradlinig vom Start bis zum Ziel.“ (S. 69), aber Emmas Geschichte entspricht so gar nicht diesem Bauplan. Dieses Abweichen vom Gewohnten und die damit einhergehende Wirkung kann mit den Schüler*innen thematisiert werden, gerade auch, weil sich im Verlauf der Handlung herausstellt, dass das von Emma Erzählte nur in Teilen wahr ist und sie ihre Geschichte ein weiteres Mal in einer korrigierten Variante erzählt. In Lösung vom konkreten Beispiel kann darüber hinaus mit den Schüler*innen erkundet werden, wie Geschichten gebaut sein können/ sollten, um Spannung zu erzeugen. Diese Überlegungen können und sollten dann aber wieder zurück zum Buch führen, indem untersucht wird, welche Strategien hier zur Anwendung kommen. Ergiebig für den unterrichtlichen Kontext ist darüber hinaus aber auch eine Auseinandersetzung mit der sprachlichen Gestaltung. So können die sprachspielerischen Bilderrätsel (Emojis von SkD_988) die Schüler*innen nicht nur zu einem Entschlüsseln, sondern auch zum eigenen kreativen Tätigwerden auffordern. Lohnenswert ist zudem auch die Auseinandersetzung mit Fragen nach der Normgerechtheit von schriftlicher Sprache, wenn im Buch Komposita-Schreibungen wie TagesAnsprache, VerladeBahnhof, TransportDronhe oder FamilienEinheit zu finden sind. Aber insbesondere auch die Schreibung von Präs1dent kann förderlich für ein sprachliche Sensibilisierung der Schüler*innen sein.

Roboter träumen nicht ist ein Kinderbuch, welches sowohl für das unterrichtliche als auch das private Lesen geeignet ist. Die vergleichsweise hohe Seitenzahl sollte aufgrund der sehr spannenden Geschichte, der altersgerechten sprachlichen Gestaltung sowie des linearen Handlungsgangs kein Lesehindernis darstellen. Die kurzen Kapitel – im Durchschnitt sind es drei Seiten – tragen zudem zu einem schnellen Lesefortschritt bei, sodass im schulischen Kontext auch ein punktuelles Vorlesen durch die Lehrer*innen und eine Durchführung von Vorlesegesprächen und damit eine Antizipation des Handlungsgangs gut möglich sind.