Buchcover Thomas Taylor: Malamander Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea

Das Buch spielt in Eerie-on-Sea, einem verschlafenen Badeort, in dem man im Sommer gut Urlaub machen...

Rezension von Anja Sieger

Ein Buch für all jene, die keine Angst vor einem unheimlichen Mischwesen aus Mensch und Fisch haben, die sich auch vor Hakenhand nicht fürchten und die einen sprechenden Kater nicht seltsam finden. Und für Leser*innen, die den 12-jährigen Sachenfinder Herbie Lemon dabei begleiten wollen, die Rätsel um den Malamander und um das Verschwinden von Violets Eltern zu lösen, und dabei viel Spannung und auch etwas Grusel vertragen können.

BuchtitelMalamander. Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea
AutorThomas Taylor
GenreFantasy
Lesealter10+
Umfang288 Seiten
VerlagCarl Hanser Verlag
ISBN978-3-446-26821-0
Preis17,00 €

Das Buch spielt in Eerie-on-Sea, einem verschlafenen Badeort, in dem man im Sommer gut Urlaub machen kann, der sich im Winter jedoch von seiner rauen und düsteren Seite zeigt. Insbesondere in dieser Zeit spielt die Legende um den Malamander, einem Wesen aus Mensch und Fisch, eine gewichtige Rolle. Denn nur im Winter, bei Nebel soll sich der Malamader sehen lassen, weil er auf seinen seit langer Zeit verschollenen Gefährten wartet. Wenn dieser nicht erscheint, verschlingt der Malamander das von ihm gelegte Ei und verbringt ein weiteres Jahr mit Warten bis zur nächsten Wintersonnenwende. Dieses Ei ist es auch, welches schon seit langer Zeit die Begehrlichkeiten vieler Menschen weckt, soll es doch die sehnlichsten Wünsche seines Besitzers erfüllen. Einer dieser Menschen ist Kapitän Kraken, der vor mehr als 200 Jahren versuchte, das Ei in seinen Besitz zu bringen und diesen Versuch damit bezahlte, dass er seitdem das Leben eines Untoten führt.

Der 12-jährige Protagonist Herbert (Herbie) Lemon, der als Sachenfinder im Grand Nautilus Hotel arbeitet, macht sich zunächst eher unfreiwillig daran, das Geheimnis um den Malamander zu lüften, als er nämlich das Mädchen Violet Parma in seinem Hotel findet, welches 12 Jahre zuvor als Baby von seinen Eltern im Hotel zurückgelassen worden ist. Violet beauftragt ihn, ihre Eltern zu finden und da diese das Leben des Malamanders erforschten, fängt auch Herbie an, sich mit ihm zu beschäftigen. Bei ihrer Suche kreuzen verschiedene Bewohner von Eerie-on-Sea ihren Weg, wobei ihnen keineswegs alle wohlgesinnt sind. Als Herbie und Violet erfahren, dass Sebastian Eels  – mit der Unterstützung von Hakenhand alias Kapitän Kraken – den Malamander finden will, um diesen zu töten und so das Ei in seine Gewalt zu bringen, beschließen sie, dieses Vorhaben zu vereiteln.

Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.

„Aber vermutlich glaubst du nicht an den Malamander. Vielleicht denkst du, so etwas wie einen Fischmenschen kann es nicht geben. Und das ist in Ordnung. Halte dich an Eiscreme und Liegestühle.

Vielleicht ist die Geschichte sowieso nichts für dich. Ja, tu dir einen Gefallen und lies nicht weiter.“ (S. 8)

Mit dieser Empfehlung eröffnet Herbie Lemon seine Erzählung und fordert den*die Leser*in sofort zu einem Widerspruch und einem gegensätzlichen Handeln auf, v.a. wenn es weiterführend heißt, dass man zu seinem normalen Leben zurückkehren, erwachsen werden, heiraten und eine Familie gründen solle – wie langweilig. Viel spannender ist es also, sich auf die Geschichte einzulassen und die männliche und sehr sympathische 12-jährige Hauptfigur Herbert (Herbie) Lemon – Herbie ist gewitzt, schlagfertig, mutig, neugierig und warmherzig – zu begleiten, um mit ihm und Violet das Geheimnis des Malamanders zu lösen und diesbezüglich auch herauszufinden, was mit Violets Eltern passiert ist. Dass Herbie dabei als Ich-Erzähler auftritt und die Leser*innen im Verlauf der Handlung immer wieder direkt anspricht, sorgt ebenso für eine Leserbindung wie die Cliffhänger am Ende der kurzen Kapitel, die dazu führen, dass man das Buch nur ungern aus der Hand legt, weil es so spannend ist. 

Spannung wird aber auch dadurch erzeugt, dass die verschiedenen Figuren alle irgendetwas mit dem Malamander zu tun haben und sich für den*die Leser*in erst nach und nach erschließt, welche Interessen jeweils bestehen. Diese Aufdeckung erfolgt aber durchaus leserfreundlich, indem in die chronologisch erzählte Geschichte die Vorgeschichten der anderen Figuren (z.B. Geschichte von Violets Eltern, aber auch von Kapitän Kraken und sogar vom Malamander selbst) als Erzählungen der Figuren integriert werden. Auch die sprachliche Gestaltung überfordert geübtere Leser*innen nicht; die Satzkonstruktionen variieren zwischen Hauptsätzen sowie einfach und mehrfach zusammengesetzten Konstruktionen, das Vokabular entfernt sich nicht von den Verstehensvoraussetzungen der anvisierten Leserschaft und durch ein bildhaftes Erzählen wird nicht nur eine hohe Anschaulichkeit erzeugt, sondern auch die Phantasie angeregt. Einige Dialoge wie die Wortduelle zwischen Herbie und Mr Mollucs sind durch ihre sprachspielerische Gestaltung (z.B. Spiel mit Mehrdeutigkeiten) zudem ausgesprochen witzig. 

Für aufmerksame Leser*innen hat aber auch die Gestaltung des Buches einiges zu bieten. So weist jedes Kapitel vor der Kapitelüberschrift ein kleines, vignettenartiges Bild auf, welches auf den jeweiligen Inhalt einstimmt. Ansprechend ist darüber hinaus, dass jedes Kapitel von einer (immer die gleiche) stilisierten Zeichnung des Malamanders abgeschlossen wird. Wenn Kapitel Untergliederungen aufweisen, wird dies zudem von einem Fischskelett angezeigt. Gestalterisch überzeugend und unterstützend ist auch die Karte von Eerie-on-Sea, die sich auf den Innenseiten des Einbands befindet. Für die Leser*innen besteht so die Gelegenheit, sich einen Überblick über den Handlungsort zu verschaffen und die Abenteuerstationen von Herbie und Violet nicht nur auf der Textebene nachvollziehen zu können. 

Alles in allem ein tolles Buch für Jungen, aber nicht nur für diese. Durch einige am Ende unbeantwortete Fragen (Was ist mit dem Gefährten des Malamander passiert? Leben Violets Eltern noch? Und was ist eigentlich mit Herbies Eltern, der fünf Jahre zuvor ohne Erinnerung an sein bisheriges Leben in einer Zitronenkiste an den Strand gespült wurde?) und den sehr ansprechenden ersten Band kann der Malamander für Jungen, die nicht so gerne lesen, aber schon gut lesen können, ein Türöffner für ein Gern-Lesen werden.

Angesprochen werden v.a. Jungen, die mit dem Lesenkönnen (Prozessebene) keine (größeren) Probleme haben, die aber nicht so gerne lesen (Subjektebene). Durch die Spannung, die sofort einsetzt und die über das gesamte Buch gehalten wird, kann ein regelrechter Lesesog entstehen, sodass man am Ende überrascht ist, das Buch schon ausgelesen zu haben. Die Fragen, die am Ende unbeantwortet bleiben, führen im besten Fall dazu, dass die Leser*innen schon gespannt auf den Folgeband warten.

Diesbezüglich ist das Buch v.a. für die private Lektüre, aber auch für die Klassenbibliothek (Lesestoff für freie Lesezeiten / Vielleseverfahren) zu empfehlen. Wenn es darum geht zu erforschen, warum und wie Texte Spannung erzeugen, bietet es aber auch durchaus Potenzial für eine Klassenlektüre / eine unterrichtliche Behandlung. Wenn das Buch nicht vorab als Ganzschrift gelesen wird, können beispielsweise Methoden des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts, die ein Antizipieren des Handlungsfortgangs zum Gegenstand haben, zur Anwendung kommen. Aber auch Vorlesegespräche bieten sich ob des geringen Kapitelumfangs an. 

Dadurch, dass wir neben Herbie mit Violet auch eine weibliche Hauptfigur haben, sollte eine Klassenlektüre in Hinblick auf Identifikationsangebote für beide Geschlechter und somit eine gemeinsame Leseförderung unproblematisch möglich sein.