Rezension von Nicola König
Fahren ohne Führerschein, Leben in der Wildnis, ein unterirdischer Bunker und gleich zwei Freundinnen – der Sommer und das Wiedersehen mit seinem Vater könnten sich schlechter für Juri gestalten. Dass sein Vater inzwischen zum Prepper und Reichsbürger mutiert ist, der sich mit Waffen auf sein eigenes Reich vorbereitet, erkennt Juri fast zu spät. Ein spannender und brisanter Polit-Thriller!
Buchtitel | Sein Reich |
Autor | Martin Schäuble |
Genre | Abenteuer Coming of Age |
Lesealter | 12+ |
Umfang | 237 |
Verlag | Fischer KJB |
ISBN | 978-3-7373-4194-3 |
Preis | 14,00 |
Juri (15) ist der einzige aus seiner Klasse, der in den Sommerferien nicht verreist. Deshalb beschließt er, der Tristesse seines Alltags in Stuttgart – seine Mutter muss viel arbeiten und ihr Freund sitzt meist betrunken in der Wohnung – zu entfliehen und seinen Vater zu besuchen: erstmals nach 10 Jahren. Dass dieser inzwischen im tiefsten Schwarzwald zum Reichsbürger mutiert ist, bemerkt Juri erst spät. Zunächst taucht er in eine fremde, abenteuerliche und faszinierende Welt ein: Er baut an Modellen und angelt mit seinem Vater, erlebt die Wildnis, errichtet einen Bunker und lernt die Freunde seines Vaters sowie die Dorfbewohner kennen. Dabei verliebt er sich auch in die siebzehnjährige Jule. Zunehmend aber verstören Juri die Verschwörungstheorien seines Vaters und als sie einen alten Bekannten aus dem Gefängnis abholen und dieser Waffen bei sich trägt, spürt Juri, dass es sich nicht um harmlose Spinner handelt. Mit Jule und ihrer Clique gewinnt er nicht nur neue Freunde, sondern auch Mitstreiter gegen die rechte Gesinnung und Gewalt der Reichsbürger.
Eine Leseprobe kann hier eingesehen werden.
Der Plot der Geschichte ist realistisch angelegt und bietet den Leser*innen unterschiedliche Zugänge. So erlaubt die Ich-Persepktive zunächst ein Eintauchen in die Welt und Sorgen Juris, ohne dass der Autor zu stark psychologisiert. Zwar werden zahlreiche Themen eines Coming-of-Age Romans angeführt; doch diese sind geschickt in die Beobachtungen Juris integriert. So wird die trostlose Welt der Mutter ebenso detailliert wie das wilde und fremde Schwarzwald-Dasein des Vaters beschrieben. Nach und nach beginnen die Lesenden zusammen mit Juri sich jedoch zu wundern: über die auftauchenden Waffen, das patriachale Leben der Freunde seines Vaters, das Anlegen eines Bunkers. Aus einem Sommerferienroman mit der ersten großen Liebe wird zunehmend ein Polit-Thriller, der an Tempo aufnimmt, als Juri versucht zu flüchten. Dabei verzichtet der Roman auf psychologische Erklärungen: Warum Juris Eltern sich getrennt haben oder warum Juris Vater zum Reichsbürger geworden ist, erfahren die Leser*innen nicht. Die Perspektive bleibt konsequent bei dem 15-Jährigen und ist damit äußerst authentisch. Dem Protagonisten werden damit ebenso wie den Leser*innen Rückzugsmöglichkeiten geschaffen und erlaubt.
Die Stärke des Buches liegt in seiner Zurückhaltung: Dies betrifft das Innenleben der Protagonisten ebenso wie die historisch-politischen Hintergründe der beschriebenen Reichsbürger- und Prepper-Szene. Diese sparsame Darstellung und Konzentration auf die Perspektive des 15-Jährigen entlasten zunächst einmal Leser*innen, die nicht das Bedürfnis haben, sich auf die Gefühlsebene einzulassen. Gleichzeitig stellt diese Stärke eine Herausforderung für die Lesenden und ihr Verständis des Romans dar: So müssen in einem begleitenden Unterricht diese Leerstellen nicht nur markiert, sondern auch gefüllt werden.
Dies bietet Potentiale für den Deutschunterricht: Schüler*innen können zu den politischen und gesellschaftlichen Dimensionen recherchieren. Wovor haben die Prepper Angst? Welche Weltvorstellungen liegen ihnen zugrunde? Was sind die Prinzipien der Reichsbürger und wie stehen sie zum Staat? Hier können sich vor allem die Schüler*innen in den Unterricht einbringen, die an historisch-soziologischen Themen Interesse zeigen und die gerne Sachtexte lesen.
Aber auch das Aussparen der Motive erfordert eine besondere Aufnahme im Unterricht. In diesem Zusammenhang bieten sich handlungs- und produktionsorientierte Verfahren an. So lässt sich beispielsweise die besondere Stimmung, die im Schwarzwald herrscht, in Form eines Trailers abbilden. Das Verfassen von Polizeiprotokollen und Interviews mit dem Vater im Anschluss an die Romanhandlung kann dabei unterstützen, sich mit den Motiven der Reichsbürger auseinanderzusetzen.
Eine eigenständige Lektüre ist denjenigen Schüler*innen zu empfehlen, die mit den politischen Hintergründen vertraut sind.